„Fort mit Dir nach Paris!“ Dieses berühmte Zitat stammt aus einem der Briefe Leopold Mozarts, die er im Februar 1778 an seinen zusammen mit dessen Mutter in Mannheim weilenden Sohn Wolfgang schrieb. Der Briefwechsel aus dieser Zeit markiert einen entscheidenden Wendepunkt in der Vater-Sohn-Beziehung und so bildet er auch einen Schwerpunkt in einem Kapitel, das Silke Leopold in ihrer bei Bärenreiter/Metzler vorgelegten Biografie (anlässlich der 300. Wiederkehr von Leopold Mozarts Geburtstag am 14. November 1719) mit „Der Ratgeber“ überschrieben hat.
Die Überschrift deutet schon an, worum es der Autorin in diesem Kapitel und in ihrem Buch insgesamt geht: Sie möchte Leopold Mozart so weit es geht aus sich heraus in den Blick nehmen und nicht – wie es in der unüberschaubaren Mozart-Literatur immer wieder geschehen ist – aus der Perspektive Wolfgang Amadés. Das bedeutet einen erheblichen Erkenntnisgewinn, etwa wenn wir viel über das politische und konfessionelle Umfeld erfahren, in das Leopold hineingeboren wurde und das ihn stark prägte, ohne dass er sich davon aber in seinem Interesse für darüber hinausgehende Ideen hätte einschränken lassen.
Aus einer profunden Kenntnis der Epoche heraus vermag es Silke Leopold dann auch, Mozarts kompositorisches Werk – anhand des Wenigen, was überliefert ist – prägnant zu charakterisieren: Kirchenmusik, Konzertantes oder Sinfonisches auf der Höhe der Zeit und – wie im Falle der lange Zeit dem Sohn zugeschriebenen „Neuen Lambacher Sinfonie“ durchaus auch auf der Höhe von Wolfgangs jugendlichen Geniestreichen. Besonders gelungen ist die Einordnung der so genannten „Gelegenheits-Musiken“ (darunter die „Bauernhochzeit“ oder die „Schlittenfahrt“), wobei die Autorin zum einen deren quantitative Bedeutung in Bezug auf das Gesamtwerk relativiert, zum anderen aber deren exakt auf bestimmte Hörerkreise zugeschnittene Qualitäten herausstellt.
Um so bedauerlicher ist es, dass in dem komplett vierfarbigen, auf wenig lesefreundlichem Bilderdruckpapier reich illustrierten Band kein einziges Notenbeispiel mit Musik Leopold Mozarts zu finden ist. Nur ein paar Zeilen mit didaktischen Beispielen aus der Violinschule von 1756 sind wiedergegeben, wobei Silke Leopold die Schrift überzeugend in den Kontext anderer Lehrwerke der Zeit stellt und eine gute Zusammenfassung der Inhalte gibt (siehe auch S. 16!).
Sachlich, ohne besserwisserischen Eifer ordnet sie auch Leopolds Rolle als „Wegbereiter“ (so die Kapitelüberschrift) der Karrieren seiner Kinder ein. Die strapaziösen, aber für die musikalische Bildung seiner Kinder entscheidenden Reisen einmal aus dem Blickwinkel des organisierenden Vaters nachzuvollziehen, ist zweifellos ein Gewinn. Im eingangs erwähnten Kapitel „Der Ratgeber“ stößt dieser Perspektivwechsel dann aber auch an seine Grenzen. Wenn etwa die „Ratgeberschaft“ des Vaters gegenüber dem Sohn die Züge emotionaler Erpressung annimmt, werden entsprechende Briefauszüge zwar ausführlich zitiert („daß du weist und einsiehest, daß unser Glück und Unglück, ja mein Längeres Leben, oder auch mein baldiger Todt, nächst Gott so zu sagen in deinen Händen ist“), aber nicht weiter kommentiert.
Trotz solcher Einwände wird jedoch fortan zunächst zu diesem Buch zu greifen sein, wenn man sich mit Leopold Mozarts Lebensleistung auseinandersetzen möchte.
Die vermissten Noten findet man dann in dem empfehlenswerten Katalog, den die Internationale Stiftung Mozarteum zu ihrer noch bis 9. Februar 2020 im Salzburger Mozart-Wohnhaus gezeigten Ausstellung herausgebracht hat. Die Abbildungen sind zahlreich und gut, allerdings für manche Objekte zu kleinformatig. Über die elf Textbeiträge, unter anderem von Cliff Eisen (zum Komponisten allgemein), Eva Neumayr (zur Kirchenmusik), Ulrich Leisinger (zur Violinschule) und Ulrich Konrad (zum Briefeschreiber) kann man sich kompakt und zuverlässig über Leopold Mozart informieren.
Wer es in Sachen kompositorisches Werk genauer wissen will, wird in Erich Broys Augsburger Dissertation fündig. Der Musikwissenschaftler bringt anhand stilkritischer Analysen von Sinfoniekopfsätzen Licht in die schwierige Datierung von Leopold Mozarts Schaffen, wobei ihm die Schriften des Zeitgenossen Joseph Riepl den theoretischen Hintergrund liefern. Der zweite Band lässt mit über 160 Seiten Notenmaterial großzügige Einblicke in die untersuchten Sätze zu.
Wer sich nicht von dem mit wenigen Abbildungen aufgelockerten, engen Satzspiegel abschrecken lässt, kann auch Dieter Riesenbergers Buch „Leopold Mozart (1819–1787)“ in Erwägung ziehen. Auf 362 Seiten (nicht 565, wie auf der Verlagshomepage und anderswo im Internet zu lesen ist) entfaltet der Autor einen zuverlässigen, an den ausführlich zitierten Briefen und anderen Dokumenten entlang erzählten Gang durch Mozarts Biografie und stützt sich in den kurzen Kapiteln zur Violinschule und zu den Kompositionen auf vorhandene Sekundärliteratur. Eine echte Konkurrenz für Silke Leopolds Buch ist es somit nicht.
- Silke Leopold: Leopold Mozart. „Ein Mann von vielen Witz und Klugheit“. Eine Biografie. Bärenreiter/Metzler, Kassel/Berlin 2019, 280 S., Abb., € 29,99, ISBN 978-3-761820-86-5
- Internationale Stiftung Mozarteum (Hg.): Leopold Mozart. Musiker – Manager – Mensch. Verlag Anton Pustet, Salzburg 2019, 208 S., Abb., € 24,00, ISBN 978-3-702509-3-30
- Erich Broy: Leopold Mozart – Komponieren in einer Zeit stilistischen Wandels (Beiträge zur Leopold-Mozart-Forschung Band 6). Wissner-Verlag, Augsburg 2019, 2 Bände, 506 Seiten, Abb. Notenbsp., € 59,80, ISBN 978-3-957861-62-7
- Dieter Riesenberger: Leopold Mozart (1719–1787). Unter Mitwirkung von Gisela Riesenberger. Donat Verlag, Bremen 2019, 362 S., Abb., 24.80 €, ISBN 978-3-943425-89-5
Stellungnahme / Leserzuschrift zu dem Artikel „Aus der Perspektive des Vaters“ von Juan Martin Koch in der „nmz“, November 2019, S. 13
Ich möchte nicht unhöflich sein. Daher bezeichne ich die Besprechung „Aus der Perspektive des Vaters“, erschienen in der November-Ausgabe der „nmz“, in der sich der Rezensent u.a. zu der in meinem Verlag erschienenen Leopold Mozart-Biographie von Dieter Riesenberger äußert, lediglich als unausgewogen und lieblos.
Kritik an Werken meines Hauses, selbst wenn diese manchmal über das Ziel hinausschießt, gehört zum Geschäft. Wenn sich aber mehr als der Eindruck aufdrängt, dass es dem Rezensenten offenbar vor allem darum geht, ein Buch im Vergleich zu anderen Publikationen ohne wirkliche Nennung von Gründen schlecht zu reden, gehört es zu den Pflichten eines Verlegers vom alten Schlage, als den ich mich begreife, sich schützend vor seinen Autor zu stellen und ihn gegen solche Unbill zu verteidigen.
Mit wenigen nichtssagenden Worten, die sich zudem verfälschender Hinweise bedienen, wird dem Leser am Schluss kundgetan, Professor Riesenbergers Werk, das übrigens auf jahrelangen und umfassenden Recherchen beruht, stelle keine „echte Konkurrenz“ zu dem von Frau Silke Leopold dar. Dazu Folgendes: Aufgabe eines Rezensenten sollte es nicht sein, das eine Buch in Konkurrenz zu dem anderen zu setzen oder sie gegeneinander auszuspielen, sondern das jeweils Neue und Besondere an ihnen zu würdigen. Riesenberger befindet sich nicht im Wettstreit zu anderen Leopold Mozart-Biographien. Der wissenschaftliche Wert seines Werkes steht für sich selbst, beruht nicht auf einem „engen Satzspiegel“, „wenigen Abbildungen“ oder einer irrtümlich im Internet angegebenen Seitenzahl. Auch dass der Autor ausführlich aus „Briefen und anderen Dokumenten“ zitiert, sagt nichts über die inhaltliche Qualität aus. Falsch ist die Behauptung, er stütze sich zudem in „den kurzen Kapiteln … auf vorhandene Sekundärliteratur“. Der Leser muss glauben, der Autor hätte das bei der Darstellung des Lebenswerkes von L. Mozart nicht getan. Im Übrigen ist es selbstverständlich, dass jede Biographie über eine bekannte Persön-lichkeit des 18. Jahrhunderts auf bereits vorhandene Darstellungen zurückgreift.
Der Umfang der Darlegungen des Rezensenten zu dem Buch von S. Leopold ist sechsmal so groß wie der zu dem Band von D. Riesenberger. Das offenkundige Missverhältnis wird noch dadurch gesteigert, dass, vergleicht man den reinen Textteil der beiden Werke, Riesenbergers Band etwa 300 Seiten, S. Leopolds hingegen 200 Seiten umfasst. Da nicht zu behaupten ist,
dass die Autorin bzw. der Autor fabulieren oder sich in nichtssagenden Abschweifungen ergehen, spricht viel dafür, dass Riesenberger nicht allein vom Umfang her, sondern auch inhaltlich vermutlich mehr oder mindestens genauso viel bietet wie S. Leopold. Ein Beispiel mag es belegen. So sucht man z.B. bei ihr vergeblich nach L. Mozarts Bedeutung als politischer Kommentator, wie von Riesenberger am Beispiel des Bayerischen Erbfolgekrieges (1778/79) überzeugend dargelegt.
J. M. Koch rühmt an der Biographie von S. L., dass sie L. Mozart nicht – wie sonst üblich – aus der Perspektive von Wolfgang Amadé darstelle, was zugleich einen erheblichen Erkenntnis-gewinn bedeute und daher viel über das „politische und konfessionelle Umfeld“ zu erfahren sei, was darüber hinausgehende Interessen L. Mozarts jedoch keineswegs ausgeschlossen habe. Genau diesen Anspruch erfüllt die Biografie Riesenbergers in hohem Maße; sie geht sogar noch gründlicher und ausführlicher auf die genannten Aspekte ein. Ebenso gelingt es Riesenberger – wie der Rezensent ebenfalls lediglich an S. L. hervorhebt –, L. Mozarts kompositorisches Werk differenziert zu charakterisieren, was J. M. Koch aber unterschlägt, vermutlich wohl auch unterschlagen „muss“, weil er den Gedanken einer wie immer gearteten Ebenbürtigkeit der beiden Werke erst gar nicht aufkommen lassen will.
Als „bedauerlich“ bezeichnet er es, dass bei S. L. „kein einziges Notenbeispiel mit Musik Leopold Mozarts zu finden ist“. Riesenberger hingegen gibt auf über acht Seiten zu verschiedenen Aspekten des kompositorischen Schaffens solche Beispiele. Koch unterschlägt es jedoch, dem Leser diese Information mitzuteilen, obwohl es angesichts des von ihm bei S. L. festgestellten Mangels mehr als nahegelegen hätte. „Zufall“ dürfte das vermutlich nicht sein. Vielleicht sind J. M. Koch die vielen Notenbeispiele bei Riesenberger aber gar nicht aufgefallen. Eine solche Fehlleistung dürfte dann allerdings eher dafür sprechen, dass er die Biografie von Riesenberger vielleicht nicht gründlich genug gelesen hat. In die gleiche Richtung weist J. M. Kochs Hinweis auf die „wenigen Abbildungen“. Es sind immerhin 41, wobei bewusst darauf verzichtet worden ist, Bilder oder Dokumente abzudrucken, die im Zusammenhang mit dem Werdegang von Leopold M. nicht gerade als bedeutsam erscheinen.
Ebenso verhält es sich mit der Rolle von L. Mozart als „Wegbereiter“; hier hebt der Rezensent hervor, wie es S. L. gelungen sei, die Karrieren seiner Kinder zu fördern, und wie sie mit „Ge-winn“ die für deren musikalische Bildung bedeutenden Reisen „aus dem Blickwinkel des orga-nisierenden Vaters“ nachvollziehbar mache. Auch das ist bei Riesenberger, der dem musikali-schen Werdegang und den Beschwernissen der Reisen 30 Seiten mehr als S. L. widmet, profund beschrieben und vor Augen geführt. Es erübrigt sich, Weiteres zu diesem Punkt zu sagen.
Nicht zu Unrecht weist J. M. Koch darauf hin, dass S. L. bei der Schilderung von Vater Mozart als „Ratgeber“ zwar viele Briefauszüge zitiert, diese aber ungeachtet ihres erpresserischen Charakters „nicht weiter kommentiert“. Anders bei Riesenberger, der sich des Problems annimmt und dem Leser dazu Erklärungen anbietet. Gleichwohl gelangt Koch zu dem Schluss, dass, wer sich „mit Leopold Mozarts Lebensleistung auseinandersetzen möchte“, fortan zu dem Buch von S. L. zu greifen habe – ein Ratschlag, dem der geneigte Leser aus den dargelegten Gründen nicht folgen sollte. Beide Werke stehen nicht in einem Wettbewerb miteinander, sondern ergänzen sich in vielfacher Hinsicht.
Helmut Donat-von Bothmer (Donat Verlag, Bremen)