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Gadji beri bimba… Hugo Ball als magischer Bischof, Lautgedichte vortragend. Zürich, Cabaret Voltaire, Juni 1916. Foto: Wikimedia Commons
Gadji beri bimba… Hugo Ball als magischer Bischof, Lautgedichte vortragend. Zürich, Cabaret Voltaire, Juni 1916. Foto: Wikimedia Commons
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Aus und vorbei mit dem tönenden Zopf der Tradition!

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Seit 100 Jahren geistert Dada als Untoter Irrsinn durch die Moderne · Von Anna Schürmer
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Als Dada 1922 seine Auflösung erklärte, wurde die Kunst des Irrsinns zum Geist, der nun seit 100 Jahren in der Kunstwelt umgeht: Der Glaube an die ästhetische Produktivität der Destruktion und Provokation, mit dem über geltende Normen und Spartengrenzen hinweggefegt wird und der nur die ernste Beständigkeit verachtet. Dieser Geist irrlichtert als Untoter Irrsinn durch die ästhetische Moderne und nennt sich selbst beim Namen: DADA.

Dass die kunsthistorische Narration des Dadaismus den Eckdaten des Cabaret Voltaire folgt, jener legendären Zürcher Künstlerkneipe, die von 1916 bis 1922 ihren höchst lebendigen Irrsinn bis in den Surrealismus trieb, ist nur die deutlichste, weil namensgebende Episode. Wenn deshalb also derzeit die Einhundertjahrfeier der Dada-Bewegung begangen wird, beginnt seine Ideengeschichte doch mit der Jahrhundertwende, als ein erstes Zappeln der Moderne durch Europa ging. In der Musik waren es Arnold Schönbergs Emanzipation der Dissonanz und Igor Strawinskys eruptive Klangkraft, die mit klingendem „éclat“ das Tor zur musikalischen Moderne weit aufstießen. Weitaus radikaler gingen allerdings Andere zu Werke, beziehungsweise an dessen Zerstörung: Die Futuristen machten aus dem Kunstskandal eine Kunst des Skandals. Wenn die Verbindung der maschinen- und kriegsbegeisterten Bewegung mit dem pazifistisch lächelnden Irrsinn des Dada auch oft abgestritten wird, so kann der Futurismus doch als erstes Aufflackern des dadaistischen Geistes interpretiert werden, der sich auch klingend bemerkbar machte: Weniger in den Kompositionen von Luigi Russolo, wenngleich seine lärmtönenden, „mechatronischen“ Intonarumori zwei für die klingende Moderne relevante Paradigmen setzten: Die Emanzipation des Geräuschs sowie der Einsatz technischer Medien. Bedeutender für den Geist von Dada aber war die Manifest-Kultur und die ereignishafte Betonung der Aufführung durch die performative Ansprache des Publikums, aber auch die radikale Ablehnung der Tradition und der unerschütterliche Glaube an eine von allen Fesseln befreite Zukunftsmusik: Nicht stillschweigend ersetzt eine neue Kunst eine ältere, lautstark geht sie aus deren Zerstörung hervor.

Radikale Verweigerungshaltung

Der zermürbende und verlustreiche Erste Weltkrieg entzog dem aggressionsbetonten futuristischen Konzept die Legitimation und bereitete darin gleichermaßen den Boden für den Aufstieg des Dada, der bar der futuristischen Kriegsbegeisterung, aber nicht weniger radikal, den untoten Geist des Irrsinns beschwor. Die Ideen ästhetischer Diskontinuität und De(kon)struktion lebten fort und verspotteten die untergehende bürgerliche Vorkriegsordnung samt ihrem totalitären Geltungsdrang mit einer radikalen Verweigerungshaltung, die sich als Clownerie, Maskerade, Bluff oder reiner Unsinn tarnte und jede Kontemplation und Verehrung von Kunst ihrem Gelächter aussetzte. Es war kein Zufall, dass Dada während des Kriegsgetümmels in der Schweiz auflebte, wo eine transnationale Exilanten- und Künstlerschar im Zürcher Cabaret Voltaire zusammentraf, um den dadaistischen Geist zu proklamieren: In Soireen, bei denen zu Musik Manifeste, Lautgedichte, Tanz und theatrale Szenen vorgetragen wurden. Musik war hier nicht bestimmend, aber stets immanent. Oder man folgt den Worten des österreichisch-deutschen Dadaisten Raoul Hausmann: „Aus und vorbei mit dem tönenden Zopf einer, ach so herrlich begründeten Tradition! Dada siegt auch in Tönen!“

Schulterzuckendes Grinsen

Der Geist von Dada ist grenzüberschreitend: Der Untote Irrsinn schreitet nicht nur über künstlerische Spartengrenzen lächelnd hinweg, indem er Text und Bild, Ton und Aktion zu multimedialen Entgrenzungen verbindet. Er hebelt auch die Dialektik von Kunst und Leben aus und übergeht sogar nationale Grenzen mit schulterzuckendem Grinsen. Von Zürich aus verbreitete er sich über seine multinationalen Träger, die ihn zur ersten globalen Kunstströmung machten: In Deutschland etwa zollte Erwin Schulhoff dem Futurismus mit Stücken wie „In futurum“, einem Paradebeispiel dadaistischer Kunstnegation, Tribut und gab mit der „Sonata erotica“ eine anzügliche Zugabe. Zum europäischen Schmelztiegel der transnationalen Bewegung aber wurde Paris, die damalige Welthauptstadt der Avantgarde. Der französische Dada existierte zwar überwiegend als literarische, von Guillaume Appolinaire beseelte Linie; allerdings flankierte er programmatisch die zahlreichen, auch musikalischen Saalschlachten in Paris, der Welthauptstadt des Bühnenskandals. Entscheidend für diese namensgebende Epoche des Dadaismus war aber seine kurze, doch intensive Ausprägung im transatlantischen Melting Pot: New York. Denn die europäischen Künstler nahmen den dadaistischen Geist mit ins amerikanische Exil, wo ihr intensivierter Austausch dadaistische Blüten trieb.

Musikhistorische Bedeutung gewann allen voran Edgard Varèse, der nicht nur Kontakte zu futuristischen Exilanten pflegte, von denen er die Liebe zum Geräusch und zu perkussiver Erschütterung übernahm. Der Franzose, der später die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm und damit sinnbildlich für die Verschränkung von Alter und Neuer Welt steht, verkehrte auch in den Dada-Kreisen um Francis Picabia und Marcel Duchamp. Der Vater der Konzeptkunst stellte bereits 1915, beseelt vom dadaistischen Geist der Zukunft, fest: „Wenn Amerika doch nur einsähe, daß Europas Kunst fertig ist – tot – und daß Amerika das Land der Kunst der Zukunft ist.“ In New York prallten die historischen Avantgarden aus der Alten Welt mit der jungen, von Traditionen unbelasteten Kunstszene Amerikas aufeinander. Und wenn auch Man Ray bemerkte, dass „die Idee des Skandals und der Provokation als eines der Prinzipien von Dada dem amerikanischen Geist völlig fremd“ sei, drückte der Spektakel liebende Geist des Irrsinns der Kunst und Kultur in Amerika doch seinen nachhaltigen Stempel auf.

Entscheidend für das Weiterleben des radikal-experimentellen Dada war die Konsequenz, mit der sich die Bewegung 1922 auflöste. Beim „Kongress von Paris“ kam es zum Bruch der heterogenen Bewegung, die nach Kriegsende in alle Richtungen und in ihren Untergang strebte. Der Zeitpunkt der Auflösung war bemerkenswerter Weise aber auch der Moment, als der Bewegung die Etablierung und damit der Verrat aller ihrer ästhetischen Überzeugungen drohte. Allerdings stand der Geist von Dada schon unmittelbar nach seinem Begräbnis in anderer Gestalt wieder auf, denn die Goldenen Zwanziger boten das rechte Klima für jeden Irrsinn wider die klingende Norm. Unter ihrem Schlachtruf „Épater la bourgeoisie“ stellten die Bohémiens den gültigen bürgerlichen Werten eine freie Lebensart entgegen und spiegelten so den Geist von Dada, welcher dem Spießbürgertum eine respektlose Kunst entgegengestellt und darin auch politisch wurde.

Nicht totzukriegen

Seit den 1930er-Jahren brachen Zeiten an, die nur wenig Anlass zum schelmischen, geschweige denn kritischen Nonsens boten. Nicht nur wurde im Faschismus alles, woran Dada glaubte, als ‚entartet‘ bezeichnet; auch wurden seine ästhetischen Vertreter vertrieben, wenn nicht Schlimmeres. Ein Geist freilich ist nicht totzukriegen – und so spukte nach 1945 schon bald wieder der Untote Irrsinn durch die Kunstwelt. Nicht zufällig blühte er in den USA auf, wo sich, wie schon im Ersten Weltkrieg, die versprengten Avantgarden im Exil trafen und die amerikanische Kunstwelt mit einem radikalen Kunstverständnis aufluden. Während sich Europa nach dem Exitus auf seine Wurzeln besann, beschwor man in Deutschland das Prinzip der Kulturnation und stellte nur langsam den Anschluss an die künstlerische Gegenwart her.

Als dann zu Beginn der 1950er-Jahre die junge Komponistengeneration um Pierre Boulez und Karlheinz Stockhausen den radikalen Sprung in die Zukunftsmusik wagte, war der musikalische Neuanfang so konstruktivistisch wie der deutsche Wiederaufbau. Zwar teilte die Nachkriegsavantgarde mit Dada die Negation der Vergangenheit, doch wollte sich nach den Schrecken des Krieges nur schwer ein humorig-anarchistischer Geist einstellen. Vielmehr wurde der klassischen Musiktradition und ihrer modernen Fortsetzung in der Neuen Musik der ‚Ernst‘ als Beiname verpasst.

In den USA aber konnte ästhetisch-respektloser Witz gedeihen: Unbelas-tet von der Schwere der Tradition bot sich hier ein idealer Nährboden für den Geist von Dada. Mit Siegermentalität schüttelte Amerika im Zuge der weltpolitischen Kräfteverschiebung auch die europäische Kulturhegemonie ab und emanzipierte sich mit einer zunehmend eigenständigen Kunstszene. Die Gallionsfigur dieser originär amerikanischen Avantgarde war ein Musiker: John Cage. Mit lächelndem Witz fegte der Amerikaner Traditionen über den Tisch und besann sich bei seinen bahnbrechendsten Neuerungen unverkennbar auf den dadaistischen Geist: Mit seinem „Prepared Piano“ huldigte er dem Geräusch und mit „4’33’’“ dessen radikalster Erweiterung: Stille. Als Cage die Aleatorik zum Kompositionsprinzip erklärte, bediente er sich dadaistisch-schamlos bei Dada, das den Zufall als schöpferisches Prinzip gepriesen hatte. Auch der ewig lächelnde Amerikaner war also ein Wiedergänger und Medium des Untoten Irrsinn. Im Windschatten von John Cage formierte sich eine weitere Bewegung, die ohne den dadaistischen Geist kaum vorstellbar ist: Fluxus. Die Happenings der Aktionskunst sind kaum denkbar ohne die dadaistischen Konzepte: die Betonung überraschender Ereignishaftigkeit und die radikale Negation der Tradition, die bewusst-performative Provokation des Publikums und die Entgrenzung von Kunst und Leben sowie die Zusammenführung verschiedenster künstlerischer Disziplinen und Medien.

Und wo ist der Untote Irrsinn heute? Nach dem postmodernen Exitus und der Pluralisierung aller Lebenswelten ist es schwieriger geworden, den Geist von Dada aufzuspüren. Er ist schließlich ein Gestaltenwandler und muss in Zeiten der massenmedialen Inszenierungslogik auf eines seiner liebsten Instrumente verzichten: den Schock. Denn, wo der Mainstream den Skandal bemüht, schlägt der Geist des Irrsinns leisere Töne an.

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