Seit einiger Zeit überfällt einmal im Jahr eine eindrucksvolle Käfer-Invasion die Musikakademie Schloss Weikersheim, Heimstatt der Jeunesses Musicales Deutschland (JMD): Drei Tage lang ziehen gemeinsam 25 Kinder zwischen 8 und 12 Jahren mit ihrem Cello auf dem Rücken über den Renaissance-Marktplatz. Sie alle sind Teilnehmer des „Children’s Cello Camp“, das die Jeunesses in Zusammenarbeit mit der Cello-Pädagogin Sabine Heimrich 2006 aus der Taufe hob.
Heimrich erinnert sich daran, wie sie schon in ihrer Anfangszeit als Lehrerin in Saarbrücken zwei bzw. vier kleine Cellisten zusätzlich zum Einzelunterricht „aufeinander losgelassen“ und diese Arbeit mit mehreren Celli für die Kinder als unglaublich befruchtend erlebt hatte. So war es nur folgerichtig, dass sie das Orchester „Cello-Kids“ ins Leben rief, das sich inzwischen weit über das Saarland hinaus einen Namen gemacht hat.
Auch die Gewandhausorchester-Flötistin Gudrun Hinze-Hönig berichtet von ähnlichen Erfahrungen: Sie spielt seit Jahren mit Kollegen im Flötenensemble „Quintessenz“ und führt in Leipzig gemeinsam mit der dortigen, äußerst kooperativen Musikschule Flöten-Tage für Kinder und Jugendliche durch. Ein Ziel dieser Flöten-Tage sei, sagt Hinze-Hönig, viele junge Flötisten aufzufangen, die keinen Platz in Orchestern finden und für die die traditionelle Kammermusik noch zu schwer ist.
Die Jeunesses Musicales Deutschland übertrug nun, gemeinsam mit den beiden Dozentinnen, diese lokalen Ideen auf bundesweit ausgeschriebene Wochenend-Kurse. Von Beginn an waren diese hervorragend besucht – offensichtlich traf man hier eine Lücke im Angebot. Weikersheim bietet mit seinen Cello-, Flöten- und Geigencamps ein niederschwelliges Angebot für wenig fortgeschrittene Instrumentalisten, bei dem mit einem Ensemble aus gleichen Instrumenten mit hoher Energie und einem großen Begeisterungsfaktor gearbeitet wird. Gerade hier lernt ein Spieler optimal vom anderen, und das akkordische Denken und Hören wird enorm gefördert.
Dr. Ulrich Wüster, Generalsekretär der JMD, sieht in den neuen Kursen eine wichtige Ergänzung des musikpädagogischen Spektrums der Jeunesses, gerade auch in ihrer Arbeit als Jugendorchesterverband. Hier werde in optimaler Weise verwirklicht, was uns aktuell die venezolanischen Ensembles vorführen: die Freude am gemeinsamen Spiel, das Brennen für Musik, unabhängig vom Niveau der Einzelspieler. Die Weikersheimer Camps sind Breitenbildung im besten Sinne des Wortes. Sie sollen und können, genau wie der Klassenunterricht an allgemeinbildenden Schulen, nicht das Allheilmittel sein und ersetzen nicht die gesonderte und gezielte Förderung von Begabten und Hochbegabten. Aber sie zeigen, wie auch schon im Anfänger-Bereich ein Bewusstsein für Qualität geweckt und gleichzeitig in hohem Maße durch gemeinsames Musizieren motiviert werden kann.
Auch die soziale Komponente der Kurse kann man nicht hoch genug einschätzen. Die Dozentinnen erleben immer wieder, dass Kinder zum ersten Mal in ihrem Leben mit Gleichaltrigen Musik machen und dabei realisieren, dass sie nicht die einzigen sind, die sich mit so etwas „Merkwürdigem“ wie einem Instrument befassen. Und dass diese anderen Kinder trotzdem „normal“ sind und man mit ihnen drei Tage lang viel Spaß haben kann. Deshalb ist auch das Beiprogramm integraler Bestandteil der JMD-Camps: Die Dozenten oder die Betreuerin aus dem Freiwilligen Sozialen Jahr Kultur singen mit den Kindern, spielen Fußball oder Tischtennis, basteln mit ihnen und machen Geschicklichkeitsspiele.
Diese intensive Betreuung ist der notwendige Gegenpol zu den drei Probenphasen pro Tag, denen die Kinder mit Feuereifer und anscheinend unerschöpflicher Energie folgen.
Der hohe Energie-Level der Weikersheimer Camps – eine Kombination von anregendem Ort, zeitlicher Gedrängtheit, neuen Dozenten und Freunden – unterscheidet sie auch vom wöchentlichen Unterricht zu Hause. „Man kann den Kindern auf kleinstem Raum viele unbekannte Facetten ihres Instrumentes nahe bringen“, so Sabine Heimrich. „Sie lernen, sich auf den Kurs und dann auf das Konzert hin vorzubereiten und zusammenzuspielen, wir stellen aber einfach auch neue Stücke aufs Pult, die wir vom Blatt musizieren.“ Und bei den Flöten verliebte sich so manche Teilnehmerin Hals über Kopf – in eine Piccoloflöte: „Zwei Mädchen“, so Gudrun Hinze, „bekamen das Instrument zum ersten Mal in die Hand gedrückt – wir mussten es ihnen schließlich um halb elf abends entreißen ...“. Für die JMD sind die Kurse dann ein Erfolg, wenn es gelingt, bei Kindern ein Feuer anzuzünden, das im besten Fall bis zum nächsten Kurs brennt – da zeigen sich die Kinder, ganz zeit-untypisch, völlig begeistert und gar nicht „cool“, selbst wenn sie es vermutlich so bezeichnen würden.
„Wenn ich eine Mail bekomme, in der ein Vater oder eine Mutter schreibt: Seit dem Camp in Weikersheim hat mein Kind wieder viel mehr Spaß beim Üben. Oder: Wir haben den ganzen Nachmittag Kammermusik gemacht“, sagt Sabine Heimrich. „Dann haben wir unser Ziel erreicht!“
Informationen zu den Kursen der JMD unter www.jmd.info