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200. Geburtstag von Offenbach. Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln
Wahre Musik ist anarchisch – Jacques Offenbach um 1875. Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln
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Der Meister des musikalischen Lachens

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Jacques Offenbach zum 200. Geburtstag · Von Georg Beck
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Köln hat ein Offenbachjahr ausgerufen. Eine Kölner Offenbach-Gesellschaft, von der man glaubte, es habe sie eigentlich immer schon gegeben, wenn nicht geben müssen, (in Wahrheit gibt es sie seit Dezember 2015) hat unter weitgehender Ausschöpfung ihrer Möglichkeiten die Kultur- wie die Politikschaffenden der Domstadt und des Bundeslandes mit dem Offenbachvirus infiziert. Was schon mal als Erfolg gewertet werden darf. Sehr beachtlich, was aus der Flüstertüte da alles herausschallt. Es regnet Veranstaltungen. Eine Offenbach-Ausstellung wandert. Es wird choreographiert, debattiert und konferiert (in Köln und in Paris), promeniert („Wandeln Sie nachts durchs Museum und genießen Sie kammermusikalische Leckerbissen.“), und, ja, musiziert wird auch. Ganz viel sogar.

Und auch an die Kranken, Bettlägerigen hat man gedacht: „Online-Video-Stream aus der Kölner Philharmonie“! „10 Podiumsveranstaltungen mit Ausstrahlung in WDR 3“! Der Ehrgeiz ganz klar. Es gilt, den Offenbachmuffel in uns zu blamieren, gründlich, endgültig, ihm das Wasser seiner versnobten Ausreden abzugraben respektive (es ist die Modulation, die die Kölner Offenbach-Gesellschaft präferiert), „durch die Mitwirkung vieler die Bekanntheit des Kölners in seiner Heimatstadt zu steigern“ – das Offenbachjahr betrachtet als Marketing und Management. Von daher sicher auch die Parole „Rund um den 20. Juni 2019 soll die ganze Stadt ihren Komponisten feiern.“ On a compris. On y arrive.

Kölscher Jung

Eröffnet hat man das Offenbachjahr übrigens (wahrscheinlich war da eine geheime Hoffnung im Spiel) im Rathaus der Stadt. Hausherrin Henriette Reker, die parteilose Oberbürgermeisterin, hatte, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, eine Festansprache gehalten, woraus man freilich nicht den Schluss ziehen konnte, dass die Stadt von nun an Offenbachstadt sein will, so wie etwa das vorgelagerte (immer ein wenig belächelte) Bonn Beethovenstadt ist und auch sein will. „Von jetzt an ist Köln Offenbachstadt!“  Dieses Bekenntnis hat Frau Reker tunlichst umschifft. Wer war Jacques Offenbach? Klar, ein „gro­ßer Sohn“, ja, „einer der berühmtesten Söhne der Stadt“ und, natürlich, der „Erfinder der Operette“. Weiter: Was feiern wir in Jacques Offenbach? Henriette Reker: „ein Kulturprojekt des Miteinanders“. Was insofern zunächst einmal nichts Besonderes ist, als Köln eben dies immer schon macht. Eigentlich kann in Köln nichts gemacht werden, das nicht als „Kulturprojekt des Miteinanders“ auf die Bühne tritt. Wie die Stadt überhaupt selbst ein einziges „Kulturprojekt des Miteinanders“ ist. Und, was hierbei den Fall des Jakob alias Jacques Offenbach angeht, so kadenzierte die eingeschlagene Strategie der Umarmung zwangsläufig in den einen folkloristischen Grundton. „Wer kennt diesen Mann?“ hatten die Gesellschafter großflächig plakatieren lassen. Auf grünem Grund prangte ein schwarz-rot-gelb lackierter Offenbach von allen Werbeflächen der Stadt. Die Antwort auf die aufgegebene Frage hatten die Initiatoren gleich mit dazugeliefert. Offenbach? „Ne kölsche Jung“! Irgendwie, erst recht bei Werbekampagnen, steht er immer Pate in Köln, der Karneval, jene Institution, die neben „dem FC“ (= 1. FC Köln), neben „dem Dom“ (= Hohe Domkirche Sankt Petrus, Kathedrale des Erzbis­tums Köln) sowieso das Einzige ist, das wirklich ernst genommen wird in dieser Stadt. Genial deswegen auch der offizielle Offenbachjahr-Werbeslogan – ein Obama-Zitat verquirlt mit einer Offenbach-Reminiszenz:

„Yes we can can“

Als diese Crème brulée gerade aus dem Ofen kam, hatte man damit für einen kurzen Moment tatsächlich Verblüffung hervorrufen können. Der Rezensent hat das Experiment höchstpersönlich durchgeführt in seinem VHS-Französisch-Kurs zu Düsseldorf, dieser, von Köln aus gesehen, notorisch bespöttelten, notorisch beneideten Nachbarstadt: „Yes we can can“? – Im nächsten Moment hellten sich die Gesichter freilich schon wieder auf und alle wussten Bescheid. Auf die Bilder im Kopf ist eben Verlass. Was abläuft im Oberstübchen, ist dies: geraffte Röcke, geschwungene Beine, spitze Schreie, kurz, eine feminine Chorus Line im Pariser Varie­té-Look des späten 19. Jahrhunderts, dazu aus dem Orchestergraben die mitreißenden Klänge der Offenbach-Bouffe „Orphée aux envers“. Eine Mixtur, die natürlich viel zu schön ist, als dass man nicht mit ihr spielen möchte, weswegen die Kölner Offenbach-Gesellschaft dieses Praliné einerseits gerne herzeigt, im nächsten Moment vor seinem Verzehr warnt. Das schöne Bild habe den Nachteil, schief zu sein, Offenbach habe zwar einen „Höllengalopp“, aber keinen „French Can-Can“ geschrieben, der im Übrigen auch weder „french“, noch „can-can“ sei, sondern eine Marketingmaßnahme eines englischen Tanzunternehmers um 1870 darstelle, 1955 in einem französisch-italienischen Musikfilm neu aufgelegt wurde, folglich mit dem historischen Jacques Offenbach nichts zu tun habe. On a compris. On n’en parle plus.

Wer war Offenbach?

Eine Frage, die auch die Kölner Offenbach-Gesellschaft – im Prinzip (was angenehm auffällt) – für offen erklärt. Es gelte, so Ralf-Oliver Schwarz (als Offenbach-Buchautor das personifizierte Wissenschafts-Gewissen der Gesellschaft), eine „neue Offenbach-Rezeption“ anzustoßen, „aufzuräumen mit Klischées und Legenden“. Gerne geht man da mit. Nur, wie genau soll das gehen, wenn die Offenbach-Produktionen mittelmäßig sind? Und, überhaupt: Wie geht das zusammen mit dem Plakativen des Kommt-und-sagt-es-allen-weiter? Vorderhand, darauf deuten gewisse Indizien, liegen sich neue und alte Offenbach-Rezeption noch entschieden in den Haaren, bewirken ihrerseits jenen „tollkühnen Spagat“, in den die Tänzerinnen des Moulin Rouge mit dem Schlussakkord hineinspringen.

Eine Verlegenheit, die, offenbar, zu Offenbach gehört. Er selbst hätte, wahrscheinlich, verständnisvoll gelächelt. Es war ja immer seine Frage: Wie geht die Dramaturgie eines Sujets, das die Massen ziehen soll, ohne platt zu werden? Was muss die Musik (anders) sagen? Deswegen auch das spezielle Offenbach-Kolorit, deswegen die Psychologisierung von Soloinstrumenten, deswegen die Raffinesse der Instrumentation, der Rhythmik. Gelernt hat Offenbach dies alles im Übrigen bei Hector Berlioz. Noch auf dem Totenbett studiert er dessen „Grand Traité d’instrumentation“ sowie dessen „Troyens“. Es war Berlioz, der Offenbach die Mittel an die Hand gegeben hat, um zum Komponisten des musikalischen Lachens zu werden.

Die Probe darauf geben rund 140 Offenbach-Bühnenwerke im Allgemeinen, „Orphée aux envers“ im Besonderen. Was daraus spricht? Was wir dem entnehmen können? Ernst Krenek meinte, die Handschrift eines der „größten Musikdramatiker“ überhaupt, und ein anderer Komponistenkollege, Kurt Weill, hörte einen genialen Parodisten auf der Höhe von Cervantes und Chap­lin. Apropos. Die Zweitfassung von „Orpheus in der Unterwelt“ entsteht 1874, ein gichtkranker Komponist rafft sich noch einmal auf. Hinter ihm ein Trümmerfeld. Mit dem deutsch-französischen Krieg, dieser, wie Zola schrieb, „furchtbaren Torheit“, diesem „blutigen Wahnsinn“, ist sie über Nacht perdu, die spezielle deutsch-französische Liaison, die der nach Paris ausgewanderte Kölner Jude Jacques Offenbach mit seinem Leben, mit seinem Werk kreiert hatte. Von jetzt auf gleich war er hier „L’Allemand“, war er dort der „Vaterlandsverräter“.

Wohin sich wenden? Was noch tun?

Wie in einem Akt der Verzweiflung unterschreibt Offenbach einen Tourneevertrag nach Amerika. Als er zurückkommt, hat er zwei Sachen vor Augen: den Tod und die Komposition seines allerletzten Werkes „Les contes d’Hoffmann“, dessen Uraufführung im Februar 1881 er nicht mehr erleben wird. „Als ein dem Tod verfallener Mann glich er Hoffmann selber; glich ihm darin, dass er sich wie dieser mit den Dämonen herumschlug.“ Ein Satz aus einem der wohl schönsten Offenbach-Bücher, die es in deutscher Sprache gibt. Geschrieben hat es Siegfried Kracauer; zu einer Zeit, die der Situation seines Antihelden nicht unähnlich war, 1934 im Pariser Exil. Auch er, auch Kracauer, der Frankfurter Jude, konnte eben nicht bleiben, durfte nicht bleiben, wo er zur Welt gekommen war. Ganz und gar verrückt allerdings – wer von Offenbach spricht, kann von den Torheiten der Offenbach-Rezeption nicht schweigen –, dass ausgerechnet Kracauers „Jacques Offenbach und das Paris seiner Zeit“ von anderen exilierten deutschen Juden, von Walter Benjamin, von Theodor Wiesengrund-Adorno angezweifelt, ja, dem allerstrengsten Gericht unterworfen wurde. In einem Brief an Benjamin überlegt Adorno allen Ernstes, die Beziehung zu seinem Freund abzubrechen. Man fasst es nicht – und bemerkt im gleichen Moment: Dieser Ernst, diese Nähe, diese Verzweiflung, die den älteren Offenbach-Autoren die Feder geführt hat, ist aus unseren Offenbach-Diskursen verschwunden. Wer war Jacques Offenbach? – Kracauer wusste es noch. Und es gab noch jemanden, der es auch wusste. Einer, dem wir den Ausdruck „Offenbachiade“ verdanken: Karl Kraus.

Die existierenden Tondokumente der Kraus’schen Offenbach-Abende vermitteln nur einen ungefähren Eindruck dessen, was diese Performances gewesen sein müssen – jedenfalls mehr als Klamauk, mehr als das Vorbereiten und Auslösen von Kalauern, von Gags, zu dem so manche unserer Offenbach-Produktionen geworden sind. Kraus hat Kabarett noch mit C am Anfang und nur mit einem t am Ende geschrieben. Wie das gewesen, was da passiert ist, hat Walter Benjamin 1928 bei einem Berliner Gastvortrag erlebt. Das Setting dies: ein Pianist an einem Klavier, Kraus an einem Tisch, sein Vortrag von Offenbach’schen Werken eine Mischung aus Singsang und Sprechgesang. Benjamin spricht von einem „Wunder“. Auf einmal wird ihm der Blick auf die Musik des Jacques Offenbach frei: „Keine unter Offenbachs Operetten ist so sehr Operette wie das ‚Pariser Leben‘. Die Anarchie als einzig moralische, einzig menschenwürdige Weltferfassung wird zur wahren Musik dieser Operette.“ 

Es gibt diese letzte Fotografie von Jacques Offenbach. Eine, die wahrscheinlich doch der Offenbach-Freund Gaspard-Félix Tournachon, der sich selbst nur Nadar nannte, von diesem französischen Komponisten mit den deutschen Wurzeln gemacht hat. Ein Mann in seinen Sechzigern. Ein Mann mit licht gewordenem Haupthaar, mit Kneifer und mit diesem wilden Backen-Schnauzbart, diesem Gewächs, das sich übergangslos fortsetzt in seinem pelzbesetzten Hausrock, den Offenbach aus Angst vor einem Luftzug auch in seinem letzten Sommer nicht mehr ausgezogen hat. Wer hinschaut, sieht dies: Es sind die Augen, die alles sagen – und alles verbergen. 

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