Hauptbild
Fördern und fordern – die Methoden sind unterschiedlich. Foto: Martin Pudenz
Fördern und fordern – die Methoden sind unterschiedlich. Foto: Martin Pudenz
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Die Verzierungen lasse ich mir von Haydn autorisieren

Untertitel
Aus Anlass des 40. Jubiläums des Bundesjugendorchesters sprach die nmz mit dem Trompeter Reinhold Friedrich
Publikationsdatum
Body

Ins sonnige Spanien ist der Trompeter Reinhold Friedrich für zwei Tage entflohen – aber auch hier, im baskischen El Ciego, hat ihn die Musik fest im Griff. Zwei Tage lang leitet er dort eine Meisterklasse. Die Vermittlung von musikalischer Qualität in lockerer Umgebung ist bei ihm Leidenschaft. Sein Bestes gibt der 50-Jährige auch hier – nach dem Telefoninterview will er noch eine Stunde üben. Im April geht Reinhold Friedrich als Solist des Bundesjugendorchester, das in diesem Jahr sein 40-jähriges Bestehen feiert, auf Tournee. Vor 33 Jahren wurde Reinhold Friedrich hier selbst Mitglied. Sein Sohn David, mittlerweile 18 Jahre alt und Posaunist, gehört ebenfalls zur aktuellen Besetzung dieses gefragten Klangkörper. Aus der spanischen Hotel-Lounge stand Friedrich senior der nmz Rede und Antwort.

neue musikzeitung: Herr Friedrich, wenn Sie das BJO aus heutiger Sicht betrachten, was hat sich hier entwickelt?

Reinhold Friedrich: Das künstlerische Niveau hat sich enorm gesteigert. Schon damals konnte sich die Leistung sehen lassen. Aber es ist kein Vergleich zu heute. Es heißt ja immer, die Jugend ist nicht mehr so toll und früher war alles besser – aber das stimmt überhaupt nicht! Das hat auch die Berufs-Perspektive angehender Musikprofis verändert. Außerdem ist die Anzahl der Orchester rückläufig, das verschärft die Konkurrenz, aber steigert natürlich das künstlerische Niveau.

nmz: Wie waren die Bedingungen, als Sie damals in die Orchesterszene eingestiegen sind?

Friedrich: Damals hat jeder eine Stelle gekriegt, der zur rechten Zeit am rechten Ort war. Das ist heute ganz anders, da gibt es einen erbitterten Kampf um jeden einzelnem Job.

nmz: Warum sind die jungen Musiker von heute besser?

Friedrich: Die Ausbildung ist heute ganz anders. Lehrern ist eine ganz andere methodisch-didaktische Kompetenz in die Hand gegeben, da fließen neueste Erkenntnisse aus der Gehirnforschung ein. Man wird heute nicht mehr einfach Professor, weil man gut spielen kann. Das alles kommt letztlich den Studenten zugute.

nmz: Sie sind bestimmt sehr glücklich, dass nun auch Ihr 18-jähriger Sohn im BJO angekommen ist?

Friedrich: Ja, natürlich! (lacht) Dass wir hier jetzt gemeinsam auftreten können, ist wunderbar. David macht bald Abitur und will dann auch Musiker werden.

nmz: Wann kam bei Ihnen der Wunsch auf, Profimusiker zu werden? 

Friedrich:Sehr früh! Mit sieben Jahren hörte ich Trompete und habe meinen Eltern mitgeteilt, dass ich Trompeter werde. Von dem Moment an war mir klar, das mache ich und nichts Anderes! Meine Eltern haben das immer unterstützt, mein Vater war ein begeisterter Laienmusiker.

nmz: Wie kamen Sie ins Bundesjugendorchester?

Friedrich: Wenn man aus allgemeinbildenden Schulen kommt, ist das Orchester ein ganz großes Aha-Erlebnis! Ich war zum Glück schon in einem Musikgymnasium und geriet dort an Professor Paul Wehrle als Musiklehrer. Der hatte einen guten Draht zum Kultusministerium, er war im Deutschen Musikrat und bei „Jugend Musiziert“. Der war wirklich ein bunter Hund mit unglaublichem Überblick. Er hat mich dann fürs BJO empfohlen. Meine erste Begegnung mit dem BJO fiel aus heutiger Sicht recht lustig aus. Ich war noch ein ganz junger Bursche von 14 Jahren und hatte gerade den Regionalwettbewerb von „Jugend musiziert“ verloren beziehungsweise gerade mal einen dritten Platz ohne Weiterleitung bekommen – und das, obwohl kaum Konkurrenz da war. Trotzdem kam wenig später aus heiterem Himmel eine Einladung vom BJO. Beigefügt war die Aufgabe, etwas zu transponieren. Das konnte ich noch gar nicht. Ich war so verdattert, dass ich alles sofort wieder zurückgeschickt habe. Erst Jahre später kam ich dann ins BJO. Da hatte ich bereits Preise auf Bundes- und europäischer Ebene gewonnen

nmz: Sind Sie womöglich auch beim Marler Debut aufgetreten? 

Friedrich: Natürlich bin ich das! Das war 1975 und eine großartige Erfahrung, so jung mit großem Sinfonieorchester im Rampenlicht zu stehen.    

nmz: Erzählen Sie mehr von Ihren Anfängen beim BJO! 

Friedrich: Ich fühlte mich dort auf Anhieb zuhause. Es herrschte ein lockerer Ton, man ging ungezwungen miteinander um. Völlig anders, als zum Beispiel beim Weltjugendorchester bei der Art Academy of Interlochen, wo ich zuvor teilgenommen hatte. Dort kam es mir manchmal richtig militaristisch vor.

nmz: Was nehmen junge Menschen für Leben und Karriere aus dem BJO mit?

Friedrich: Dieses Orchester fördert die Persönlichkeitsbildung immens! Man spürt den Unterschied bei jungen Menschen, ob sie so etwas mitgemacht haben oder nicht. Das gibt viel mehr Gelöstheit, wenn sie später mal als Profi-Orchestermusiker hart arbeiten müssen. Sie sind offener und gehen entspannter mit psychologischem Stress um.

nmz: Was steht nun aktuell mit dem BJO bevor?

Friedrich: In den nächsten Wochen beginnen die Proben – danach spielen wir unter Leitung von Peter Hirsch fünf Konzerte inklusive einer WDR-Produktion. Ich bin übrigens schon zum vierten Mal Solist mit dem BJO. Als ich einen Preis im Deutschen Musikwettbewerb gewonnen hatte, wurde ich zum ersten Mal eingeladen, danach noch drei weitere Male  – bis jetzt!

nmz: Aktuell werden Sie Joseph Haydns Trompetenkonzert und Olga Neuwirths Kompositionen „miramondo multiplo“  musizieren. Sind vielfältige Welten wie diese idealtypisch für Ihr künstlerisches Selbstverständnis?

Friedrich: Auf jeden Fall. Beides sind zwei Seiten von mir, in denen sich dasselbe ausdrückt. Haydns Trompetenkonzert kann ich jeden Tag neu entdecken. Olga Neuwirths Konzert ist sozusagen ein weißer Fleck auf der Landkarte – mit neuen Spieltechniken, Vierteltönen, Collagen. Damit dies für die Menschen erschließbar wird, ist absolute Qualität gefragt! 

nmz: Das BJO ist bekanntlich extrem geschult in der Neuen Musik.

Friedrich: Die jungen Leute entfalten eine unglaubliche Begeisterung und sind mit so etwas völlig unverkrampft. Hier hat noch niemand eine Abwehrhaltung entwickelt, wie sie leider bei vielen altgedienten „Orchestersoldaten“ besteht.

nmz: Steht jede Musik unmittelbar zu ihrer Zeit nach Ihrer Auffassung?

Friedrich: Natürlich. Und deshalb will ich als Interpret alle Veränderungen mitkriegen. Bei allem, was man spielt, gibt es auch immer eine zweite Möglichkeit. Ich bin bei meinen Studenten weit davon entfernt, denen zu sagen, wie sie spielen müssen. Es geht darum, Möglichkeiten zu erarbeiten, Forschergeist zu entwickeln, Abenteuerlust auszuleben – auf historisch fundierter Grundlage allerdings! Wenn es nichts mehr zu erforschen gibt, ist im künstlerischen Bereich ein Eigentor gefallen. Lebendig zu musizieren, heißt eben nicht, die CD „nachzuspielen“.

nmz: Die Voraussetzungen bei diesen beiden Werken sind aber ganz unterschiedlich. Mit Olga Neuwirth können Sie reden, mit Joseph Haydn nicht mehr. 

Friedrich: Doch! Mit Haydn telefoniere ich manchmal! (lacht herzlich) Ich erlaube mir oft kleine Verzierungen, die lasse ich mir sofort autorisieren. In den Proben gucken mich meine Studenten dann manchmal schockiert an. Aber ich sag dann, ich habe mit Haydn telefoniert und der findet es geil! (lacht)

nmz: Haben Sie sich mit Olga Neuwirth ausgetauscht, um die Interpretation zu erarbeiten?

Friedrich: Nein, Neuwirths Trompetenkonzerte wurden ja schon uraufgeführt, ich habe also nicht dessen Entstehung begleitet. Ich will herausfinden, was es mit mir macht. Würde ich mich jetzt zu viel mit der Komponistin besprechen, käme zu viel Anpassung ins Spiel. Aber beim Konzert werden Olga Neuwirth und ich uns hoffentlich persönlich kennen lernen!

nmz: Findet in der Neuen Musik überhaupt noch eine vielfältige Interpretationskultur statt? Geht der immer rasantere Output an Werken nicht zu Lasten der Halbwertzeit von Kompositionen?

Friedrich: Ich habe mich bewusst davon frei gemacht, immer nur Uraufführungen zu spielen. Auch die klassische Moderne ist mir sehr wichtig. Vor allem ab den 60er-Jahren wird es für die Trompete richtig interessant! Umso verärgerter bin ich über die Neuauflage des MGG, wo etliche Komponisten einfach weggelassen wurden, weil sie den Herausgebern offensichtlich nicht mehr wichtig erscheinen. Das ist blanke Willkür und Vernichtung von Repertoire, ein kultureller Supergau! 
nmz: Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Stefan Pieper

Alle Konzerttermine der Jubiläumstour

Samstag, 11. April, 20.00 Uhr, Interlaken (Schweiz), Konzerthalle
Montag, 13. April, 20.00 Uhr, Hamburg, Laeiszhalle
Freitag, 17. April, 20.00 Uhr, Köln, Philharmonie (Festkonzert mit Live-Übertragung auf WDR3)
Samstag, 18. April, 19.30 Uhr, Garmisch-Partenkirchen, Kongresszentrum
Sonntag, 19. April, 19.30 Uhr, Fürth, Stadttheater
Dienstag, 21. April, 20.00 Uhr, München, Herkulessaal

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!