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Verlagsleiterin Renate Matthei. Foto: privat
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„Es gibt ungeheure Schätze zu heben“ – Die Verlagsleiterin des Furore-Verlags Renate Matthei im nmz-Gespräch

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„Der 1986 gegründete Furore-Verlag widmet sich als einziger Musikverlag weltweit ausschließlich der Veröffentlichung von Noten und Büchern von und über Komponistinnen und vertreibt CDs mit Aufnahmen ihrer Werke. Im aktuellen Katalog finden sich mehr als 1.200 Werke von etwa 160 musikschaffenden Frauen aus Europa, Amerika, Asien und Australien. Die Zeitspanne der Entstehung dieser Musik reicht vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart“, so die Selbstdarstellung auf der Website des Verlags. Am 21. September feiert er sein 25-jähriges Bestehen. Susanne Fließ sprach mit Verlagsleiterin Renate Matthei über Musikkunden, Leitsysteme und Schatzsuche.

 

neue musikzeitung: Frau Matthei, herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum. Wieso hat Ihre offenbar erfolgreiche Idee, Literatur ausschließlich für und über Komponistinnen zu verlegen, bisher nirgendwo auf der Welt Nachahmer gefunden?

Renate Matthei: Als ich 1986 in Kassel startete, dachten viele, dass es in diesem neu gegründeten Verlag nur Musik von Frauen gebe, die auch exklusiv von Frauen gekauft und dann nur von ihnen gespielt würde. Das war zwar eine seltsame Vorstellung, verschaffte aber einen Vorsprung auf dem Markt und es war auch ein Glück. Denn damit einher ging das Vorurteil, „so etwas lohnt sich nicht“. Vor vielen Jahren gab es in den USA dann die Initiative für eine ganz ähnlich geartete Verlagsgründung, verlegt wurde dort aber nur zeitgenössische Musik. Keine wirkliche Konkurrenz also, denn Furore verlegt Musik durch alle Jahrhunderte und alle Besetzungen hindurch. 

nmz: Sie sind gelernte Betriebswirtin, eine gute Rechnerin also. 

Ich wollte etwas ändern

Matthei: Zumindest kann ich Zahlen lesen und deuten. Nach allem, was ich sehe und höre, gestehe ich gerne zu, dass das Engagement für Komponistinnen nicht der Grundstein ist, um Millionärin zu werden. Ich wusste, wenn wir uns so positionieren, agieren wir in einem Feld, in dem man es sehr schwer hat. Denn Frauen spielen im gesamten Musikleben eine geringe Rolle. Mir war das aber wichtig, ich wollte etwas daran ändern. 

nmz: Erinnern Sie sich an die Reaktionen, als Sie 1986 den Verlag erstmals auf der Musikmesse vorstellten?

Matthei: Die Atmosphäre hat mich damals schon sehr überrascht. Denn ich war so sicher, dass die Kollegen und Freunde erfreut reagieren würden, wenn wir endlich die Komponistinnen ins Rampenlicht rückten. Stattdessen fühlten sich viele angegriffen und konnten weder mit dem Verlagsprogramm noch mit mir als Verlegerin umgehen. Es gab aber auch unter den Verlegerkollegen Ausnahmen.

nmz: Was war das für eine Stimmung Mitte der 80er-Jahre?

Matthei: Es war die Zeit der ersten Komponistinnen-Festivals. Auch die Buchbranche hatte gut zwanzig Jahre vorher die Schriftstellerinnen entdeckt. Und der Deutsche Kulturrat veröffentlichte die erste Studie, in der festgestellt wurde, dass Frauen in der Musik einen Anteil zwischen null und einem Prozent haben. Übrigens hat die letzte Untersuchung in dieser Hinsicht vor drei oder vier Jahren stattgefunden: Jetzt sind wir zwischen zwei und vier Prozent. 

nmz: Auch wenn man von Verdoppelung sprechen könnte, nicht gerade viel.

Immer noch eine Nische

Matthei: Ja, eine Steigerung von über 100 Prozent muss man einfach auf sich wirken lassen: Dabei ist das, was wir bei Furore bedienen, immer noch die Nische, es ist nicht das Hauptprogramm. Was wir alle im Radio hören, die Opern, die wir alle besuchen, die Konzerte – keine Komponistinnen weit und breit. Wie viele Komponistinnen sind breiten Kreisen überhaupt bekannt? In Schulen, Universitäten, Musikhochschulen? Geben uns Schulbücher darüber Auskunft oder Einspielungen? Natürlich wird in Donaueschingen mal ein Werk von einer Frau gespielt, aber auf das gesamte Konzertleben hochgerechnet ist das ein verschwindend geringer Anteil. Interessanterweise ist die Komposition einer Frau immer das besondere, die eines Mannes das allgemeine. Auch der Furore-Verlag hat, wenn auch nur in Deutschland, das Attribut „Frauenverlag“, während man über andere Verlage niemals sagen würde, dass es sich um einen „Männerverlag“ handelt.

nmz: Mit der Wahrnehmung durch die breite Öffentlichkeit hat es Neue Musik aber im Allgemeinen nicht leicht.

Matthei: Ich will nicht bestreiten, dass es der zeitgenössische Komponist schwer hat. Aber er hat es doch immer noch leichter als eine Komponistin. Er wird leichter aufgeführt, wird schneller verlegt, kommt schneller in den Rundfunk oder die Zeitung. Anders als ein Schriftsteller muss es einem Komponisten ja erst mal gelingen, dass sein Werk aufgeführt wird. Das ist der ungleich längere Weg der Musik. Denn wer ein Buch schreibt, kann es mit etwas Glück und Geschick direkt an den Kunden bringen. Komponierte Musik dagegen braucht zuerst einen Kurator und dann einen Interpreten. Anders als im Buchladen, wo ich das Buch meiner Wahl aus dem Regal nehmen kann, bin ich als „Musikkunde“ im Konzert auf die Programmgestaltung angewiesen, kann also nicht bestimmen, was gespielt wird.

nmz: War diese Erkenntnis die Initialzündung für die Gründung des Furore-Verlags? 

Matthei: Ich glaube rückblickend, dass es in meinem Leben viele kleine Ereignisse gab, die mich veranlassten, diesen Schritt zu gehen. Ich bin jedenfalls nicht eines Morgens aufgewacht und beschloss, einen Verlag zu gründen.

nmz: Sie selbst kommen aus einer Verlegerfamilie. Um welche Bücher ging es dort?

Es ging immer um Musik

Matthei: Es ging immer um Musik. Mein Vater hatte den Merseburger Verlag gekauft und war lange Zeit Geschäftsführer bei Bärenreiter, so dass ich die Arbeit eines Musikverlages kannte und früh auch bei Bärenreiter „mitarbeiten“ durfte. Wir waren damals alle noch Kinder, aber es hat viel Spaß gemacht, wenn es beispielsweise darum ging, Kataloge einzulegen. Das gab gutes Taschengeld. 

nmz: Dennoch haben Sie den Umweg über Leitsysteme genommen.

Matthei: Ich war Gesellschafterin in einer Firma, die Informations- und Leitsysteme für Großbauten entwickelte: Wir hatten Flughäfen in Iran und im Irak ausgestattet, Krankenhäuser in Saudi Arabien, aber auch die Alte Oper in Frankfurt oder das ICC in Berlin. In dieser Firma war ich mit eher organisatorischen betriebswirtschaftlichen Aufgaben befasst, während meine Mitgesellschafter Designer, Architekten und Grafiker waren. Mit Anfang dreißig habe ich dort aufgehört, weil es mich einfach langweilte. 

nmz: Mit welchen Komponistinnen gingen Sie damals an den Start?

Matthei: Sieben zeitgenössische Komponistinnen waren mein Startkapital, von denen zwei heute noch leben. Das sind Barbara Heller und Eva Schorr. Bewusst hatten wir uns für lebende Komponistinnen entschieden, nicht für die Werke bereits Verstorbener. Das würde ich sofort wieder so machen, denn es lag mir am Herzen, dass diese Künstlerinnen von meinem Engagement für sie profitierten.

nmz: Für welches Repertoire wenden sich Kunden insbesondere an den Furore-Verlag?

Ein breites Repertoire

Matthei: Das reicht heute von der Blockflöte bis zur Oper. Besonders nachgefragt werden die Werke von Fanny Hensel. Hier hat sich der Musikwissenschaftler Diether de la Motte unglaublich engagiert und mir den Rücken gestärkt. Zeichen unserer internationalen Reputation war die Aufführung von Fanny Hensels Oratorium in der Carnegie Hall in New York. In den ersten zehn Jahren flammte bei uns im Verlag immer mal die Diskussion auf, ob wir nicht doch Kompositionen von Männern aufnehmen. Aus heutiger Sicht bin ich froh darüber, mich dagegen entschieden zu haben. Als Kunden am liebsten sind mir neugierige Musiker, die einfach mal etwas anderes spielen wollen und weniger die komponierende Frau zu entdecken suchen, als das Werk. Sie sind meiner Ansicht nach auch die besten Interpreten.

nmz: Wie groß ist das Verständnis junger Komponistinnen, die die Emanzipationswelle der 70er-Jahre nicht selbst miterlebt haben, für die klare Ausrichtung des Verlags? 

Matthei: Die jungen Frauen reagieren zwar differenziert, aber ich würde schon sagen, dass es diese Generation leichter hat. Oft sind sie sich allerdings nicht bewusst, wer für sie die Kämpfe ausgefochten hat, und halten vieles für selbstverständlich. Das jedoch, was Komponistinnen und Komponisten immer und vor allem wollen, ist, verlegt und aufgeführt zu werden. Und so prüfen sie die Verlage hinsichtlich der Frage, wo sie sich am besten aufgehoben fühlen. Einige entscheiden sich für uns, einige für andere Verlage. Manchmal kommen Komponistinnen nach einiger Zeit reumütig zu Furore zurück, weil sie zwar in einem großen Verlag unterkamen, dort aber nicht die Betreuung vorfanden, die sie sich wünschten. Wir dagegen sind klein, agil und wendig. Unsere Entscheidungswege sind einfach kürzer. Und wen wir in den Verlag aufnehmen, den wollen wir auch betreuen.

nmz: Der gute Ruf des Verlags reicht weit über Deutschland hinaus?

Matthei: Gerade im Ausland haben wir ein ausgesprochen gutes Standing! Als Musikverlag hat man es ja leicht, weil Musik nicht übersetzt werden muss. Wir gelten weltweit als die Expertinnen für die Musik von Frauen, insbesondere in den USA und Japan – aber auch in Europa. Je nach Image ist übrigens auch der Umgang mit uns mit unterschiedlich viel Respekt behaftet.

nmz: Die Backlist eines Verlags gilt als sichere Bank, die es einem ermöglicht, gelegentlich Experimente zu wagen. Wie sieht ihre Backlist aus?

Matthei: Auf jeden Fall sind dies die Werke der Romantikerinnen wie die der Komponistin Mel Bonis. Der Verlag lebt, das muss man ehrlicherweise sagen, von der Musik des 18. und 19. Jahrhunderts, nicht von der zeitgenössischen Musik. Allerdings ist das kein Frauenschicksal, sondern eine geschlechtsunabhängige Schwierigkeit.

nmz: Sind Sie denn weiteren Komponistinnen des 18. und 19. Jahrhunderts auf der Spur?

Matthei: Es gibt noch ungeheure Schätze zu heben, aber dazu werde ich natürlich nichts sagen! Schauen Sie sich nur die Musikgeschichte an: Es gab immer Frauen, die komponiert haben, durch alle Jahrhunderte hindurch. Zwar sind auch Kollegen auf der Suche, entscheiden sich aber in den meisten Fällen für zeitgenössische Komponistinnen. Es beschäftigt sich, soweit ich das überblicke, so gut wie keiner mit der Vergangenheit. Dennoch können wir nicht alles, was uns angeboten oder zugetragen wird, verlegen. Unsere Überlegung lautet Tag für Tag von neuem: Welches Werk nehmen wir in Angriff? Welcher Komponistin widmen wir uns in nächster Zeit? Damit verbunden recherchieren wir auch die Biografien und das Umfeld der Künstlerin. Eine sehr zeit- und kostenintensive Arbeit, denn es gibt einfach zu wenige verlässliche Quellen, auf denen wir aufbauen können.

nmz: Wie viele Mitarbeiterinnen hat der Furore-Verlag?

Arbeit im Verbund

Matthei: Wir arbeiten inzwischen im Verbund mit den Verlagen Merseburger, Pan und Euregio in einem Haus. Das bedeutet, dass wir Synergieeffekte nutzen können: Dazu gehören beispielsweise die Auslieferung und die Messeplanung. Jeder Verlag hat jedoch sein eigenes Lektorat. Unser gemeinsames Hauslektorat besteht aus vier, in der Mehrheit promovierten, Musikwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern. Rund 20 Personen arbeiten insgesamt für die Verlage.

nmz: Die Möglichkeit, sich die Noten umsonst über Download-Portale im Internet zu beschaffen, sieht der Furore-Verlag sicherlich ebenso kritisch wie die Kollegen in der Branche?

Matthei: Meine feste Überzeugung ist, dass langfristig alle verlieren, Verlage, Komponisten und Kunden, wenn wir das kostenfreie Vervielfältigen und auch den Download von Noten zulassen. Aus meiner Sicht gibt es derzeit kein sicheres und zufriedenstellendes Modell, deshalb werden wir bei Furore, so lange es geht, den konservativen Weg gehen: Herstellung der Noten, Druck, Vertrieb über den Handel. Ich bin übrigens ziemlich sicher, dass es längst ein Unrechtsbewusstsein bei den Nutzern gibt. Wo kämen sonst all die Anfragen für Leihmaterial her?

nmz: Wie wird am 21. September in Kassel das Verlagsjubiläum gefeiert? 

Matthei: Wir feiern das im Rahmen einer Konzertreihe, die hier in Kassel fest etabliert ist. Der Beitrag von Furore ist ein Harfenkonzert mit Werken von Komponistinnen aus der Klassik. Diese Werke wurden gerade erst beim internationalen Harfenkongress in Kanada aufgeführt und werden dann in Kassel zum ersten Mal in Deutschland zu hören sein. Nach dem Konzert wird es eine große Party geben, zu der Verlagskolleginnen und -kollegen, Weggefährtinnen und -gefährten sowie Freundinnen und Freunde herzlich eingeladen sind!  


Mit 25 Jubiläumskonzerten feiert der Furore-Verlag über das Jahr 2011 verteilt in verschiedenen europäischen Ländern sein Bestehen. Folgende zwei Konzerte in Deutschland sind unter anderem für den September geplant:

21. September, 19 Uhr, „L‘ amour et le printemps – Musik für Sopran und Harfe aus der Zeit um 1800“, Kassel, Ev. Gemeindehaus Rothenditmold

25. September, 17 Uhr, „Markgraf Friedrich als Musik-Mäzen“, Steinsaalder Hohenzollernburg Zwernitz, Sanspareil

 

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