Unter den so genannten „Big Five“ unter den amerikanischen Orchestern (Boston, Chicago, Cleveland, Philadelphia, New York) sind die New Yorker Philharmoniker wohl letztlich das berühmteste, aber auch das umstrittenste, was die Eigentümlichkeit und Kontinuität der Leistung betrifft. Dessen ungeachtet sind sie der Inbegriff eines Weltorchesters, und lange Zeit war die Chefposition einem Schleudersitz vergleichbar – eine Erfahrung, die selbst Taktstockgenies wie John Barbirolli oder Dimitri Mitropoulos nicht erspart blieb. Je prominenter der Ort, desto gnadenloser die Attacken der Presse, desto konstanter und massiver die Auswüchse der Intriganz. Nach dem Vorbild anderer Spitzenorchester, etwa aus Chicago oder Philadelphia hat man sich seit einiger Zeit nun auch in New York darangemacht, die legendären Mitschnitte ruhmreicher Aufführungen der Geschichte klanglich aufzuarbeiten und in umfangreichen hauseigenen Editionen zugänglich zu machen.
Unter den so genannten „Big Five“ unter den amerikanischen Orchestern (Boston, Chicago, Cleveland, Philadelphia, New York) sind die New Yorker Philharmoniker wohl letztlich das berühmteste, aber auch das umstrittenste, was die Eigentümlichkeit und Kontinuität der Leistung betrifft. Dessen ungeachtet sind sie der Inbegriff eines Weltorchesters, und lange Zeit war die Chefposition einem Schleudersitz vergleichbar – eine Erfahrung, die selbst Taktstockgenies wie John Barbirolli oder Dimitri Mitropoulos nicht erspart blieb. Je prominenter der Ort, desto gnadenloser die Attacken der Presse, desto konstanter und massiver die Auswüchse der Intriganz. Nach dem Vorbild anderer Spitzenorchester, etwa aus Chicago oder Philadelphia hat man sich seit einiger Zeit nun auch in New York darangemacht, die legendären Mitschnitte ruhmreicher Aufführungen der Geschichte klanglich aufzuarbeiten und in umfangreichen hauseigenen Editionen zugänglich zu machen.Dies freilich geschieht in New York mit einer editorischen Energie und Akribie, die die Konkurrenten weit aus dem Feld schlägt, mit hunderte Seiten starken, von relevanter Information überbordenden Begleitheften. Die „Mahler Broadcasts“-Kompilation wurde bereits auch hier zu Lande als echte Sensation wahrgenommen, mit grandiosen, bislang nicht offiziell erhältlichen Konzertmitschnitten unter Mitropoulos, Stokowski, Barbirolli und anderen. Nun hat man sich in beeindruckender Breite jenes anderen Heroen der Orchester- und überhaupt der amerikanischen Musikgeschichte angenommen, den viele in der Mahler-Box vermissten: Leonard Bernstein live ist eine gleichfalls zehn CDs umfassende Kiste mit zwei insgesamt 500 Seiten starken Booklets gewidmet, in denen unter anderem sämtliche Konzerte und kommerziellen Aufnahmen mit genauem Programm aufgelistet sind, in denen er (zwischen 1943 und 1989) das Orchester leitete, außerdem sämtliche mitwirkenden Musiker, eine Bernstein-Chronologie, eingehende Werkkommentare mit Tageskritiken und prominenten Aperçus zur Zusammenarbeit. Unter den beteiligten Solisten finden sich Wilhelm Kempff (Beethoven Nr. 3), Lazar Berman („Rach 3“), Byron Janis (Mozart KV 488), Ashkenazy (Prokofieff Nr. 2), Jacqueline du Pré (Schumann), Eileen Farrell und Jess Thomas (Götterdämmerung-Highlights), der fulminante Jazztrompeter Maynard Ferguson (aberwitzig in William Russos launiger 2. Symphonie) und der Meister selbst am Klavier (in Beethovens Tripelkonzert und in Bachs Fünftem Brandenburgischen mit Isaac Stern). Nicht alles mag man als ideale Verwirklichung der objektiv zu Grunde liegenden Struktur anerkennen, aber alles ist durchlebt, überall wird die Musik körperhaft-beseeltes, unwiderstehliches Ereignis. Es gibt echte Überraschungen wie Bruckners sechste Symphonie oder Brittens jubilierende Spring Symphony, historisch Bedeutendes wie die Uraufführung von Charles Ives“ zweiter Symphonie (25. Februar 1951) oder den „Icare“ von Igor Markevitch, fulminante Darbietungen von Hindemiths „Mathis der Maler“-Sinfonie, Varèses „Arcana“, Carl Ruggles’ „Men and Mountains“, Strawinsky, Webern, Lukas Foss und Henze. Daneben bis in die letzte Faser vitale Aufführungen von Klassikern und Romantikern. Als Komponist ist Bernstein hier ausnahmsweise nicht vertreten. Vielleicht am faszinierendsten und unverwechselbarsten ist eine CD: „Bernstein discusses and conducts 20th century music“ mit Kompositionen von Copland, Xenakis („Pithoprakta“), Henry Brant („Antiphony One“), Boulez („Improvisation sur Mallarmé I“) und Cage („Atlas eclipticalis“). Die Einführungen sind teils länger als die Stücke, von einer rundum bewunderungswürdigen Logik, Anschaulichkeit und Eloquenz, unübertroffene Lehrstücke in Publikumserziehung. Nicht nur für Bernstein-Fans findet sich hier viel Lohnendes, von dessen Existenz nur wenige Kenner wussten.Eine Angelegenheit nationalen Hochgefühls ist die in zwei Sets zusammengefasste 10-CD-Kompilation „An American Celebration“, ein Führer durch die amerikanische Musik unter weitgehender Auslassung der Avantgarde. Natürlich findet sich auch hier Avanciertes in hochkarätigen Konzertaufnahmen, so George Crumbs Monumentalopus „Star Child“, Elliott Carters „Concerto for Orchestra“ und Jacob Druckmans eklektische „Lamia“ (mit Jan DeGaetani) unter Boulez. Anerkannte Komponistinnen sind mit gewichtigen Beiträgen dabei: Ellen Taaffe mit der 3. Symphonie, Joan Tower mit „Sequoia“. Es gibt fantastische Mitschnitte unter den ganz großen Maestri: Stokowski dirigiert Bernard Herrmanns „The Devil and Daniel Webster“-Suite und Hanson, Mitropoulos lässt Samuel Barbers „Medea’s Meditation and Dance of Vengeance“, Gunther Schullers Dramatische Ouvertüre und Morton Goulds kursorische Dance Variations zu hinreißenden Ereignissen werden, John Barbirolli gibt Loefflers sentimentgetränkte „Memories of my Childhood“, unter George Szell kommt es zu einer Referenzdarbietung von Barbers „Essay No. 1“, Walter Hendl spielt unter Charles Münch das Klavier in Blochs erstem Concerto grosso, Monteux führt durch William Grant Stills beschauliches „Old California“ und verhilft Paul Crestons 2. Symphonie zu idealer Wirkung, Artur Rodzinski leitet „A Victory Ball“ von Ernest Schelling (zu Western-klischeehaft, um wahr zu sein), Gershwin und Copland; außerdem Paul Paray (Cowell), Guido Cantelli, William Steinberg, André Kostelanetz (Hovhaness), Leonard Slatkin, Zubin Mehta, Kurt Masur, Toscanini (Stars and Stripes), Howard Hanson (Griffes und seine eigene 2. Symphonie) und schließlich elf Mal Bernstein: bezaubernd mit den Großvätern George Chadwick und Edward MacDowell, furios in Varèses „Intégrales“, Ned Rorems mosaikartiger 3. Symphonie, Peter Mennins Concertato „Moby Dick“, Lukas Foss, Roy Harris, William Schuman (6. Symphonie), Virgil Thomson und Copland. Aaron Copland ist der mit Abstand meistvertretene Komponist. Unter den zeitgenössischen Beiträgen sind drei herausragend wiedergegeben: das pathetische Posaunenkonzert von Christopher Rouse (mit Joseph Alessi), das klassizistisch verspielte Klarinettenkonzert von William Bolcom (mit Stanley Drucker) und Steve Reichs „Tehillim“ (unter Mehta). Wer also die amerikanische Musik in großer Bandbreite kennen lernen möchte, ohne sich Atonalität anzutun, kann sich hier weiterbilden, auch mit Hilfe von 500 höchst informativen, abwechslungsreich zu lesenden Bookletseiten.
Zum Schluss sei auf eine zuvor erschienene Edition hingewiesen, die vor allem für Liebhaber historischer Schätze eine Fundgrube darstellt: „The Historic Broadcasts 1923 to 1987“ (10 CDs mit 142 Seiten Begleittext). Hier liegt das Augenmerk auf den großen Dirigenten, Solisten wie Artur Schnabel (3. Beethoven-Konzert mit Szell, fabelhaft!), Artur Rubinstein (Chopins e-Moll-Konzert mit Walter), Jascha Heifetz (Brahms mit Toscanini), Josef und Rosina Lhevinne (Mozarts Konzert für 2 Klaviere mit Barbirolli), Kirsten Flagstad (Wagner), Francis Poulenc und David Oistrach (jeweils mit Mitropoulos) et cetera kommen hinzu. Einzige jüngere Komposition ist John Coriglianos Klarinettenkonzert mit Stanley Drucker und Slatkin in der bisher gelungensten Aufführung. Es ist fast ungerecht, einige Mitschnitte besonders zu loben. Sei’s drum: Stokowski mit einer herrlichen „Schottischen“ von Mendelssohn; Kubelik mit Bartóks „Herzog Blaubarts Burg“ – so tief empfunden und zelebriert habe ich das noch nicht gehört; Monteux und Münch mit Ravel und Debussy; Bernstein dirigiert Berg, Webern und Copland, Reiner die Zweite Brahms’“, Bruno Walter Strauss’ „Symphonia domestica“. Sodann Bruckners Neunte unter Klemperer, Cantelli mit „La mer“, Strawinsky mit Russischem, Rodzinski und Eduard Steuermann am Klavier mit Schönbergs „Ode an Napoleon“, Nadia Boulanger mit Faurés Requiem. Im bestückten Fachhandel sind die Silberlinge vom Big Apple zu bekommen, einzig die gesalzenen Preise von zirka 500 Mark pro Box dürften all jene abschrecken, denen es hierzu entweder an Barem oder an Enthusiasmus fehlt.
Diskografie
- Bernstein Live (Werke von Hindemith, Britten, Varèse, Strawinsky, Beethoven, Bruckner, Wagner, Henze, Xenakis, Brant, Boulez, Cage etc.); 10 CDs
- „An American Celebration“ Vol. 1 und 2 (Werke von Copland, Barber, Chadwick, MacDowell, Hanson, Harris, Herrmann, Creston, Mennin, Rorem etc.); 2 x 5 CDs
- „The Historic Broadcasts“ 1923–87 (mit den Dirigenten Barbirolli, Bernstein, Cantelli, Klemperer, Krips, Kubelik, Mengelberg, Mitropoulos, Monteux, Reiner etc.); 10 CDs
Erhältlich: E-Store online, www.nyphilharmonic.org, Tel.: 001/317/781 18 61, Fax: 001/317/781 46 08