Als Martin Luther seine 95 Thesen angeblich am 31. Oktober 1517 eigenhändig an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg nagelte, löste er Weltbewegendes aus. Wir gratulieren. Dass Ähnliches den 15 Thesen zu kultureller Integration und Zusammenhalt widerfährt, die der Deutsche Kulturrat in wahrlich mühevoller Kooperation mit Parteien und teils sehr kontroversen Verbänden kürzlich in Anwesenheit hochkarätiger politischer und zivilgesellschaftlicher Persönlichkeiten präsentierte (siehe Seite 8), steht leider nicht zu erwarten. Die hart erkämpften, sehr vernünftigen Leitsätze samt ihrer Exegesen landeten zwar in den Händen unserer hinlänglich geschätzten Bundeskanzlerin. Deren kulturelles Engagement freilich ist trotz vielseitiger Blockflöten-Affinität ungefähr so ausgeprägt wie die Nähe Mozarts zur Atomphysik.
Ja, die Rotationsmaschine wurde in den letzten Jahren an dieser Stelle unseres Blattes immer wieder mit dem Jammerlied beansprucht, Künste und Kulturpolitik hätten in unseren ökonomisch blühenden deutschen Landen Prekariats-Rang. Ungestraft dürfen Minister aller Farben sie im Verbund mit den Religionen als „Kitt“, als weichen Fugenfüller zwischen den knallharten kapitalen und ideologischen Kratz-Schollen unserer „sozialen Bürgergesellschaft“ diffamieren. Feinziselierte Worthülsen und schmalzige Lobeshymnen finden unsere gewählten Volksvertreter, wenn sie vor musizierenden Kindern und Jugendlichen zum Beispiel beim Bundesjugendorchester oder – wie soeben – beim Musikschulkongress in Stuttgart auf der Bühne stehen. Dann gerät die holde Muse zum Allheilmittel sonstiger grober gesellschaftlicher Versäumnisse. Und böse Menschen singen keine Lieder, spielen keine Instrumente.
Für Bosheits-Erziehung sorgt nicht zuletzt der Umstand, dass immer weniger Studentinnen und Studenten den Beruf Musiklehrer/-in ergreifen. Kein Wunder bei den allzu oft miserablen materiellen Aussichten in Kombination mit wenig attraktiver Hardware-Ausstattung zum Beispiel der Musikschulen im instrumentalen und digitalen Bereich. Ständig steigende Qualifikations-Ansprüche – auch durch eingeforderte Kompetenz in allen Feldern der Integration – stehen in keinem Verhältnis zur Entlohnung. Wo bleibt der Segen aus überschießenden Steuermilliarden?
Wenn es für Schäubles Gießkanne wahltaktisch noch nicht reicht: möge er doch wenigstens die wahren Profiteure der musikkulturellen Bildung zur Kasse schleifen und die Gelder in die musische Infrastruktur direkt speisen: Apple, Amazon, Facebook, Microsoft, Google & Co. ernten Billionen-Summen von den Früchten unserer einigermaßen noch flächendeckenden, ebenso unterfinanzierten wie kompetenten musikalischen Bildung. Ein paar Cent Steuern zahlen sie auf den Cayman-Islands oder auf Malta. Was die matte GEMA für ihre Kreativen erklagt hat, müsste wenigstens in gleicher Milliarden-Höhe den „Schaffern“ der Grundlagen solchen Geldsegens zufließen: Musiklehrer/-innen. These 1, ans Tor des Finanzministeriums genagelt von
Theo Geißler