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Gemeinsames Symposium des Arbeitskreises Elementare Musikpädagogik und der Landesakademie Ochsenhausen

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Viereinhalb Jahre ist es her, dass sich die Elementare Musikpädagogik zuletzt auf einem großen Symposium der Öffentlichkeit präsentierte. „Gestaltungsprozesse erfahren – lernen lehren“ lautete damals in Stuttgart der sehr EMP-spezifische Titel und wurde an einem inhaltlich wie künstlerisch sehr dichten Wochenende auch in beeindruckender Weise eingelöst (siehe nmz 12-03/1-04). „Musik bewegt Kinder“ hört sich da schon ganz anders an: allgemeiner, offener, werbewirksamer. Das kommt nicht von ungefähr, hatte sich beim Ende April veranstalteten 3. Symposium des „Arbeitskreises Elementare Musikpädagogik an Ausbildungsinstituten in Deutschland“ (AEMP) doch eine Kooperation mit der baden-württembergischen Landesakademie in Ochsenhausen und damit ein noch stärker als in Stuttgart über das eigentliche Fach hinausgehendes Zielpublikum ergeben.

Neben dem nicht zu unterschätzenden logistischen Vorteil – die Akademie mit Direktor Klaus Weigele und seinem Team war nicht nur organisatorisch eine perfekte Gastgeberin – brachte diese Öffnung auch eine willkommene Weitung der Perspektiven für das Fach EMP und seine Anwendungsbereiche. Im Vordergrund standen dabei die allgemein bildenden Schulen, von deren Aktivitäten die meisten der nicht unmittelbar aus dem Fach kommenden Referenten berichteten. Das hieß freilich auch, dass sich Studierende und in der EMP Tätige mitunter in Veranstaltungen wiederfanden, die wenig oder gar nichts mit ihren Arbeitsprinzipien zu tun hatten.
Dennoch dürfte es lohnend gewesen sein, Einblicke etwa in das erfolgreiche Modell der „Singeklassen“ am Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium Eppelheim zu erhalten (Ralf Schnitzer), wo das Singen (verbunden mit relativer Solmisation) den Ausgangspunkt des Musikunterrichts insgesamt darstellt, nicht zuletzt aber mit dem Ziel, semiprofessionelle Chorergebnisse hervorzubringen. Oder in das Pilotprojekt „Jedem Kind ein Instrument“ der Hamburger Hochschule für Musik und Theater, dessen Präsentation „etwas Klarheit in die derzeit diffuse JeKi-Gemenge­lage“ (Christoph Schönherr) zu bringen versuchte.

Schade, dass im JeKi-Pionierland Nordrhein-Westfalen der Kompetenz-Vorsprung einer anderen Hochschule für die Durchführung des Riesenvorhabens nicht genutzt wird. Was Claudia Meyer und Ulrike Tiedemann von der Kölner Musikhochschule aus ihrer Praxis an zwei Kölner Schulen berichteten und praktisch demonstrierten, war jedenfalls dazu angetan, der nicht unbegründeten JeKi-Skepsis einigen Wind aus den Segeln zu nehmen. Klar wurde dabei aber vor allem, dass es sorgfältiger, praxiserprobter und zeitaufwändiger Modelle im Zusammenspiel von Elementar- und Instrumentalpädagogik bedarf, um – in diesem Fall – mithilfe von Streichinstrumenten eine echte Musikalisierung in der Primarstufe zu erreichen. Ob dies in gleicher Qualität wirklich flächendeckend realisierbar ist, bleibt die Frage, die über Sinn oder Unsinn der JeKi-Euphorie entscheiden wird.

Ä hnlich komplex stellt sich die Situation an der Clara-Schumann-Grundschule in Leipzig dar, wo in der Verzahnung von Ganztagsbetreuung, Musikschule und psychologischer Beratung „eine ganz andere Ganztagsschule“ (Johanna Metz/Regina Pauls) mit einem anspruchsvollen Fächerkanon entstanden ist, der von den Schülern mit enormer Lernfreude angenommen wird. Der Workshop von Insuk Lee, der seine Arbeit mit einer 2. Grundschulklasse am „lebenden Objekt“ mit unnachahmlicher Frische und Natürlichkeit demonstrierte, und Hartwig Maags Konzept einer „moving music“ als Alternativangebot zum Musikunterricht in den Jahrgangsstufen 3 und 4 veranschaulichten weitere Impulse, die aus EMP und Rhythmik in die Schulen hineinwirken könnten. Und in die Seniorenarbeit, wie Barbara Metzger an den sorgfältig geplanten und die verschiedenen Bedürfnisse berücksichtigenden Musizierstunden für 5- bis 9-jährige Kinder und Erwachsene ausführte, die Studierende und Dozentinnen der Würzburger Musikhochschule in einem Wohn- und Pflegeheim durchführten.

Jule Greiner wiederum zeigte Wege auf, wie in der Grundschule verschiedenartige Musikstile mit ebenso vielfältigen Möglichkeiten des Musikhörens verbunden werden können. Die Erfahrung von Parametern wie Melodierichtung, Form oder Klangfarbe durch Bewegungsimitation wurde anhand eines Gitarrenstücks von David Qualey demonstriert, das assoziative Hören mit Ravels Pavane aus „Ma mère l’oye“. Dabei bewahrte ein Perspektivwechsel mittels der Vorgabe, die Assoziationen anderer nachzuvollziehen und zu begründen, vor vagen „filmmusikalischen“ Fantasien. Eine Tabelle mit zusätzlichen Vorschlägen zur Aktivierung und Beschreibung anhand konkreter Literaturbeispiele öffnete den Blick auf weitere mögliche Handlungsfelder.

Ein ähnliches Thema hatte sich Barbara Stiller vorgenommen, bei ihr bezog sich das Motto „Bewegt gehörte Musik“ aber eher auf das konzertpädagogische Feld. Eine „Bach-Gymnastik“ zum dritten Satz des E-Dur-Violinkonzerts, eine Mitspielmusik zum ersten Menuett aus der Mozart’schen Haffner-Serenade oder Astor Piazzollas „Tango apasionado“ mit vier unterschiedlich agierenden Zuhörer- beziehungsweise Mitspielgruppen waren Beispiele dafür, wie aus Unterrichtsprinzipien der EMP neue Konzertformen erwachsen können. Die spannende Frage nach dem Verhältnis zwischen strukturellem und assoziativem Hören war im Anschluss an die praktische Demonstration naturgemäß Gegenstand kontroverser Diskussionen.

Neben dem, wohl auch von der Akademie Ochsenhausen als Mitveranstalterin für ihre Zielgruppe intendierten Schul-Schwerpunkt, zeigte der Kongress also viele weitere Facetten der EMP und ihre Schnittmengen mit anderen Disziplinen. So machte Charlotte Fröhlich in ihrem Workshop deutlich, dass die Arbeit mit ADHS-Kindern sich nicht inhaltlich von der mit „normalen“ Kindern unterscheiden muss, dass aber, insbesondere in gemischten Gruppen, auf deren oft kurzräumigere Zeitgestaltung Rücksicht zu nehmen ist und diese fantasievoll in musikalische Gestaltungen integriert werden kann. Renate Reitinger stellte in ihrem Vortrag die Fähigkeiten von Kindern im Vorschul- und Grundschulalter im Bereich des Erfindens und Vorstellens von Musik in den Mittelpunkt. Und Elisabeth Gutjahr zeigte auf, warum der Umgang mit Polaritäten ein entscheidender Schlüssel für künstlerische Erlebnisfähigkeit sein kann. Das Ausloten von Extremen, etwa in Dynamik oder Tempo, und die Kunst der Übergänge dazwischen gehört somit zum Kernbestand elementarer Gestaltungen und kann auch ganz allgemein als Grundprinzip instrumentaler oder vokaler Interpretation angesehen werden.

Diese Form der Abstraktion vom praktischen Tun und die theoretische Reflexion trat in Ochsenhausen im Vergleich zum Stuttgarter Kongress 2003 etwas in den Hintergrund, und so war es Michael Dartsch vorbehalten, mit seinen „Gedanken zu einer Didaktik grundlegender musikalischer Bildungsarbeit im Kleinkindalter“ einen weiteren Bogen zu spannen: Ausgehend vom Philosophen und „Lebenskunst“-Kolumnisten Wilhelm Schmid und seiner Unterscheidung in verwaltende, gestaltende, orientierende und gelassene Lebensführung, sieht Dartsch die Musik als eine Kunst an, die eine besonders große Reichweite innerhalb der Kultur besitzt, weil sie für all diese Formen der Lebensführung Muster bereitstellt. Über die Lehrperson lernt das Kind also im besten Falle auch Muster des Lebens mit Musik kennen. Die Didaktik zielt in Dartschs Augen auf vier Aspekte des Lernens: Grunderfahrungen, Differenzierung der Fühl-, Denk- und Verhaltensmuster, kulturelles Material und das Einbringen von Eigenem folgten einer Reihe von Prinzipien, etwa der Orientierung an Spiel und Prozess, der Intermedialität und der Körper- und Beziehungsorientierung.

Nachdenkenswerte Aspekte erbrachten auch der Eröffnungsvortrag der FAZ-Bildungsredakteurin Heike Schmoll und die wie stets ebenso fundierten wie unterhaltsamen Ausführungen Eckart Altenmüllers zum Singen und Musizieren als „zweites menschspezifisches Kommunikationssystem“. War sein Referat bei aller Begeisterung über das Hören als lernfähigstem Sinn, das die meisten Umschaltstationen im Gehirn aktiviert, vor allem als Plädoyer für eine von vordergründigen Rechtfertigungszwängen befreite Beschäftigung mit Musik zu verstehen, so bettete Heike Schmoll dies in den größeren Zusammenhang aktueller Bildungsdiskussionen ein. Gerne hörte man ihr dabei zu, wie sie die Verwechslung von Bildung und Ausbildung anprangerte, die Zerlegung von Bildung in Schlüsselqualifikationen und inhaltsleere Arbeitsmarktkriterien aufspießte und dies anhand der Abschaffung des Bildungsziels Lesefreude zugunsten von „Text­erfassungskompetenz“ samt der damit einhergehenden „Dominanz von Gebrauchstexten“ exemplifizierte. Die daraus zu ziehenden Konsequenzen für den schulischen Musikunterricht waren weniger scharf umrissen, klar wurde aber in jedem Fall, dass die „Musik in Zeiten des Bildungsutilitarismus“ – so der Titel ihres Vortrags – Gefahr läuft, für die Zwecke wirtschaftskompatibler Durchlauferhitzer missbraucht zu werden.

Allgemein vermisst wurden hochklassige künstlerische Beiträge von Studierenden, wie sie aus Stuttgart noch so eindrücklich in Erinnerung waren. Eine Uli-Führe-Uraufführung, vom Kinderchor „SingsalaSing“ unter Friedhilde Trüün kompetent bewältigt, ein Auftritt der hochklassigen Musikkabarettisten von „Tango Five“ und das Abschlusskonzert mit „Body Sounds“ und „Fiasco Classico“, letztere von den Mitmachaktionen ein wenig in den Hintergrund gedrängt, konnten das aber zumindest ein Stück weit kompensieren. Die EMP aber ist, so scheint es, ihrem Ziel, sich einen festen Platz im Zentrum der musikpädagogischen und bildungspolitischen Diskussionen zu erobern, wieder ein gutes Stück näher gekommen.

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