Seinen – wie ich finde – vorzüglichen Beitrag in dieser Ausgabe über „Glanz und Elend von Musikwettbewerben“ startet unser Autor Harald Eggebrecht mit einem kurzen Ausflug in die griechische Mythologie – unter Verwertung der Ballade „Die Kraniche des Ibykus“ von Friedrich Schiller. Er hätte auch die alten olympischen Spiele als Beispiel wählen können. Vielleicht der zeitlichen Distanz geschuldet neigen wir dazu, den edlen hellenischen „Athlon“ in Sport und Kultur zu beschönigen. Seinen Tiefpunkt erreichte dieser dann nach Griechenlands Niedergang in den römischen Gladiatorenkämpfen.
Deutlich weniger blutig, aber sicherlich nicht minder seelenverletzend vergnügen uns heutzutage Medien aller Couleur dank „Eurovision Song Contest“, „Deutschland sucht den Superstar“ oder jüngst „Sing meinen Song“. Zumindest Schweiß und Tränen vor oder nach dem ge- oder misslungenen Auftritt werden uns Voyeuren statt im Colosseum auf den Flachbildschirmen genüsslich präsentiert. Unvergessen Juroren-Urteile von Dieter Bohlen wie: „Dein Gesinge ist fast aktive Sterbehilfe“ oder „Bei normalen CDs ist ja immer so ein Booklet dabei, bei dir müsste man eine Kotztüte reinmachen“.
Solche Grobheiten befördern Quoten, machen diese Wettbewerbe zu Publikumsrennern. Und veranlassen superliberale Musikapologeten sogar zu der Annahme, endlich würde dem jahrzehntelang unterdrückten – aber fakenews-gestützt bestätigt – von Adorno verbotenen eigenen Singen wieder Motivation und Freiraum geboten. Tja, wir leben laut parteiübergreifenden Sonntagsgelabers angeblich in einem Kulturstaat. Und auch wenn man in unserem von sozialer Marktwirtschaft und angeblicher Freiheit der Künste scheints geprägten Musterland haust, hat sich als Leitkultur der harte Darwinismus offensichtlich spartenübergreifend durchgesetzt.
Anders ist nicht zu erklären, dass kaum ein Sender, kaum eine populäre Internet-Plattform Platz für die Präsentation qualitätvoll und seriös konfigurierter Musikwettbewerbe zur Verfügung stellt. Da geht es – gähn – leider meist um sogenannte klassische Interpretationsformen und Interpreten. Die pressen angeblich für Werbeeinblendungen entscheidende Zuschauer- oder Klickzahlen in Grund und Boden.
So findet allenfalls der renommierte ARD-Wettbewerb mal ein Plätzchen in dritten Programmen. Hochklassige Orchester- oder Chorwettbewerbe des Deutschen Musikrates flimmern in selbsteingestellten YouTube-Clips auf Tablets oder Laptops. Und bayerische Rarität blieb die nächtliche Ausstrahlung der Dokumentation über „50 Jahre Jugend musiziert“. Wobei vermutlich aus grundsätzlicher Verachtung musikpädagogischer Kompetenz durch zahlengesteuertes Redaktionspersonal geflissentlich übersehen wird, wo die Muttererde für ein lebendiges, integratives, engagiertes und soziales Musikleben angesiedelt ist. Diesen selbstgefälligen Volks-Verbildern sei ein wenig Fontane gewidmet – aus „Ikarus“:
Wem jeder Sprung, auch der kühnste, geglückt,– der fühlt sich dem Gesetz entrückt, er ist heraus aus dem Alltagstrott, Fliegen will er, er ist ein Gott; er fällt dem Sonnengespann in die Zügel, da schmelzen dem Ikarus die Flügel. Er flog zu hoch, er stürzt, er fällt: Ein neu Spektakelstück hat die Welt …