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Klarinetten-Plattler mit Rum’n’Rhythm

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Das 11. Tanz- und FolkFest Rudolstadt – Altbewährtes und Neues
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Erstes Juliwochenende im thüringischen Rudolstadt. Wie jedes Jahr wird der Ausnahmezustand über die kleine Stadt im Saaletal verhängt, drei Tage lang – und vier nicht enden wollende Nächte. Denn wie jedes Jahr fallen auch im neuen Jahrtausend die Folkies über Rudolstadt her, nun schon zum elften Mal seit dem Wendejahr 1990.

Erstes Juliwochenende im thüringischen Rudolstadt. Wie jedes Jahr wird der Ausnahmezustand über die kleine Stadt im Saaletal verhängt, drei Tage lang – und vier nicht enden wollende Nächte. Denn wie jedes Jahr fallen auch im neuen Jahrtausend die Folkies über Rudolstadt her, nun schon zum elften Mal seit dem Wendejahr 1990.Adäquat zum vergangenen Jahr war auf der Heidecksburg am Vorabend der offiziellen Eröffnung ein besonderes Konzert angesagt. Die Urgesteine der deutsch-deutschen Folkszene feierten „Silberhochzeit“. 25 Jahre ist es her, dass sich Liederjan (West) und Folkländer/Bierfiedler (Ost) gründeten, um in Ost und in West dem Strom der „tümelnden“ Volksmusik oder abgeflachter Rock- und Popmusik mit einer etwas anderen Bewegung entgegen zu schwimmen. Beide Folkbands kennen sich seit Jahren und standen 1982 erstmals gemeinsam auf der Bühne.

Nun, schon etwas in die Jahre gekommen, feierten beide Bands ihren Fünfundzwanzigsten gemeinsam und deklarierten dieses Großereignis schlichtweg zur „Silberhochzeit“. Und dass aus dem einstig erzwungenen Status der Gütertrennung jetzt eine kreative Zugewinngemeinschaft geworden ist, konnten 3.200 Folkfans miterleben. Zum gelungenen Abend trugen eine Vielzahl Gäste bei: Dick Gaughan, der große schottische Liedersänger, Markus Brachtendorf von Lecker Sachen, die Überbleibsel von Zupfgeigenhansel Thomas Fritz und Erich Schmeckenbecher, die Leipziger Folk Session Band, JAMS-Gründer Jo Meyer und Wolfgang Meyering, um nur einige zu nennen.

Einen Tag später, am Abend der offiziellen Eröffnung, sollten die Rudolstädter und ihre Gäste wahrnehmen, in welches Land, welche deutsche Region und mit welchem Instrument sie im Jahr 2001 entführt werden sollten. Beim schon zur Tradition gewordenen Länderspezial standen die Kleinen Antillen im Mittelpunkt. Während die geografische Lage dieser Inselgruppe gar nicht so leicht zu definieren ist, der vulkanische Inselbogen zieht sich zwischen der Ostküste Puerto Ricos bis an den Nordrand Südamerikas hin, kann man hingegen die Musik eindeutig beschreiben: Rum’n’Rhythm! Lautstark, temperamentvoll und vibrierend ist diese Musik, die sogar eine deutsche Kleinstadt in Schwingung versetzen kann. Calypso, Zouk und Kwedril verzauberten die eher linkisch wirkenden Europäer, deren Blut von der Ebony Steel Band, von Caribbean Brass, von Àja oder der Original Turtle Shell Band in Wallung gebracht wurde.

Weniger traditionell als das Länderspezial war „Focus regional“, die Präsentation der Musik einer deutschen Region. Das Experiment wurde in diesem Jahr erstmals getestet, hat bestanden und wird fortgesetzt. Und welches Bundesland eignet sich für so einen „Testlauf“ besser als Bayern. Die Veranstalter hatten es nicht schwer, genießt doch die bayerische Musik eine Sonderstellung in der deutschen Szene, auch jenseits des Stadels. Und Rudolstadt macht es eben möglich, dass sich sowohl Schuhplattler als auch Biermösl Blosn auf einer Bühne präsentieren. Das Spezial-Konzert Bayern vereinte die Brüder Well mit den Jungen Jodlern Niedersonthofen und die Plattler der Gaugruppe des Isargaus mit dem gesellschaftskritischen Bluessänger Tiger Willi, der in seinen Liedern Themen anspricht, bei denen viele so gern weghören. Das Konzept von „Focus regional“ ist aufgegangen und soll im nächsten Jahr mit der Region Ruhrgebiet fortgesetzt werden.

Auch wenn es unmöglich ist, allen 23 Bühnen einen Besuch abzustatten und man sich am liebsten zerteilen möchte, eins war nicht zu überhören: die Klarinette in allen Varianten. Sie stand beim Instrumentenspezial, auch schon eine Tradition, auf dem Plan. Im Spezial-Konzert „Magic Clarinets“ hatte Wolfgang Meyering wieder Musiker, sprich Klarinettisten, aller Herren Länder vereinigt: Bulgarien, Finnland, Russland, USA, Baskenland, Deutschland. Hier strafte er Walter Kempowski Lügen, der in seinem Buch „Schöne Aussichten“ das Klarinettenspiel als Wurzelgelutsche bezeichnet.

Doch was ist die schönste Musi wert, wenn für den Nachwuchs nicht Sorge getragen wird? Beim FolkFest Rudolstadt gibt es auch hier Altbewährtes und Neues. Bereits zum 10. Mal wurde der Deutsche Folk-Förderpreis (DFF) von „PROFOLK“, dem Sender „MDR Kultur“ und dem „Tanz- und FolkFest Rudolstadt“ in Zusammenarbeit mit dem Musikmagazin FOLKER ausgelobt. Aus den eigenen Reihen ist der DFF seit dem vergangenen Jahr in die Kritik geraten, und seitdem wurden Debatten über die Ausschreibung, über Zielgruppen und Förderung der Sieger geführt. Einen Neuanfang des DFF sollte die neu besetzte Jury bringen.

Mit der Musikerin Cathrin Ausch, dem Folkrapper Markus Brachtendorf, den Musikern Johannes Uhlmann und Robert Zollitsch wurde die Jury erheblich verjüngt und nur Rainer Prüß vertrat als Vorsitzender die „alte Folkgarde“. Der 25-jährige Geiger Toni Geiling konnte den 1. Preis und eine Trophäe, überreicht und gebaut vom Vorjahressieger, entgegennehmen. „Überzeugt hat er durch ein eigenständiges Konzept, seine originäre Art fernab jedweder Klischees, die wunderbare Instrumentalarbeit und seine Bühnenpräsentation während des Wettbewerbskonzerts“, fasste Rainer Prüß die Entscheidung der Jury zusammen. Doch auch von den Nachwuchspreisträgern Matthias und Florian Branschke (Dudelsack), dem Duo Graziella Azad und Stefanie Saß (Geige, Gitarre) sowie Stefan Blöchl (Bandoneon) wird in Zukunft noch einiges zu erwarten und hören sein. Durch Sponsoren wurde es ihnen ermöglicht, fünf Tage lang an einem neu gegründeten außerordentlichen Workshop teilzunehmen.
Der Folkworkshop „Folksommer“ soll zur festen Institution in der ersten Juliwoche werden und wendet sich nicht nur an Musikschüler, sondern auch an deren Lehrer. Das Vermitteln von Techniken und Praktiken der Folkmusik soll helfen, den Zugang zu ihr zu finden. In diesem Jahr wurde noch auf Instrumenten gespielt, die im Musikschulalltag gebräuchlich sind. Mit kompetenten Dozenten aus Dänemark, Tschechien und Deutschland wurden Stile und Techniken unterschiedlichster traditioneller Musikkultur vermittelt. Schade war, dass der Kontrabass-Kurs wegen mangelnder Teilnahme abgesagt werden musste. Hier kann man nur allen Musikschullehrern empfehlen, sich rechtzeitig über das Angebot des nächsten Jahres zu informieren.

Das Tanz- und FolkFest Rudolstadt kann sich hingegen über mangelnde Teilnahme nicht beklagen. Die 60.000 Besucher lassen die Kleinstadt aus allen Nähten platzen und bringt sie an die Grenze des Machbaren. Dass dem Festival keine Grenzen gesetzt werden, beispielsweise durch die schwierige finanzielle Lage der thüringischen Kultur, ist der Kunstministerin Thüringens zu empfehlen und allen Beteiligten nur zu wünschen.

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