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Kunst der Unterhaltung

Untertitel
Kammermusik mit Klavier von Frank Hill im Konzerthaus Berlin, 6. Mai 2012
Publikationsdatum
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Der Komponist betritt die Bühne, ein schlanker freundlicher Mann. Was er zu sagen hat, wird mit den ersten Sätzen vom Publikum deutlich mit verblüfft-heiteren Reaktionen begleitet. „Mut zur Heiterkeit und Kunstmusik“ – tatsächlich ein sehr anregendes Thema. Frank Hill spielt gekonnt mit Formulierungen und entfächert den Gedanken: „Ohne Unterhaltung ist der Ernst ein Irrtum.“

So wurde das Konzert „Kunst der Unterhaltung“ genannt, Hill benennt mit diesem Titel seit 1996 seine Ästhetik. Eröffnet wurde das Thema mit „Drei grotesken Szenen nach Wilhelm Busch“ – Kunstliedern auf Texte der Bildergeschichten. Buschs Verse fanden bisher keinen Platz im Kunstlied, ein Rätsel. Der Bariton Thorbjörn Björnsson zielte mit ausgesprochen transparent-klangschöner Stimme und Freude am Schauspiel punktgenau auf das skurrile Element. „Die feindlichen Nachbarn oder die Folgen der Musik“ – den Reaktionen des Publikums nach zu urteilen ein sehr lebensnahes Thema – wird hier mit Operngestus serviert. „Dilemma“ beinhaltet die unnachahmliche Formulierung Buschs: „… und wenn die Grübelei nicht wär, so schöss ich mich danieder.“ – ein sehr deutsches Thema. „Die kühne Müllerstochter“ ist ein in Notwehr gekonnt Männer tötendes Mädchen. Den 15 Minuten Busch’scher Dramatik hat Hill einen pianistisch anspruchsvollen Klavierpart unterlegt, Gerald Klose formulierte diesen äußerst plastisch aus. Dabei wurde eine verblüffend ausbalancierte Mischung aus Anklängen von Schubert bis Wagner hörbar – Klose wechselte klanglich vom Gitarristen bis zum Opernorches-ter. Theodor Flindell (Violine) und Ron Lepinat (Klavier) erzeugten mit dem Duo „… wach …“ eine suggestive traumartige Sequenz. Auch hier überraschte kompositorisch die gewichtete Mischung aus einer Unzahl von Anklängen. Sie zu nennen, wäre verfehlt, denn die lasurartige Verschmelzung ergibt etwas Eigenes. Beide Interpreten faszinierten mit schrittweise aufbauenden feinnervigen Synkopierungen ebenso wie einer dichten Folge von auseinander hervorgehenden Klangszenen. Flindell brillierte mit außergewöhnlich elegantem Violinton. Lepinats Spiel fällt besonders durch die Präzision auf – ihm schienen die verwobenen langen Synkopenketten federleicht zu fallen. Je leiser die Interpreten im auskomponierten Decrescendo über mindestens fünf Minuten am Ende wurden, umso präsenter wirkte das unhörbar leise Publikum. Flindell und Lepinat beherrschten die Szene geradezu hypnotisch.
Matias de Oliveira Pinto (Cello) und Ron Lepinat war die Spannung vor der Uraufführung von „Clave“ – einem 20-minütigen Werk in großer Form – anzusehen. De Oliveira Pinto ist Brasilianer, vermutlich durchziehen das Stück nicht zufällig rhythmische Phrasen im Sinne der Clave-Kulturen. Die Komposition – wiederum eine massive Kulturmischung und dennoch sofort als von Hill stammend zu erkennen – erfordert wahres Können auf beiden Instrumenten. De Oliveira Pinto bleibt auch in diesen Situationen ein hochintelligenter Charmeur, mit sicheren Instinkten für jede Farbe seines Instrumentes. Clave besteht aus ständigen Taktwechseln, rhythmische Phrasen (Clave) erscheinen aufbauend in allen Registern, das Cello wurde gehäuft mit gestrichenen und gezupften Doppelgriffen bedacht. Besonders der Pianist wird über das Stück in Labyrinthe des Kontrapunktes geschickt. Dennoch bietet das Stück nachvollziehbare Cantilenen. Beeindruckend war, dass es Lepinat gelang, dem natürlichen schönen Cello-Cantabile von de Oliveira Pinto ein sehr weiches sangliches Klavier-Legato an die Seite zu stellen.
In der folgenden Pause wurde deutlich, dass ein erkennbarer Teil des Publikums aus Musikern bestand. Zu Clave hörte ich durchaus Widersprüchliches, von „viel zu kompliziert“ bis „das bisher beste Stück“. Mir schien das Duo noch Zeit zu benötigen. Ethnologisch-jazzbetonter Klangsinn mit großer kontrapunktischer Form verbunden ist mir in dieser Weise bisher nicht bekannt. Hills Harmonik scheint oft aus Quarten, kleinen, großen sowie übermäßigen Sekunden gemischt zu sein.
Nach der Pause folgte die zweite Uraufführung „Drei Reden des Erik Satie“. Die Mezzosopranistin Ines Schumacher hatte mehrere Stimmfächer zu realisieren, Gerald Klose einen im Sinne der Oper auskomponierten Klavierpart zu spielen – über 30 Minuten Werkdauer. Das hinderte Hill nicht, die Komposition so anzulegen, dass Saties Texte bei voller Textverständlichkeit im Vordergrund blieben. Saties Texte „Lobrede auf die Kritiker“, „Die Musik und die Tiere“ und „Der musikalische Geist“ liegen zwischen den Kategorien „liebenswert-komisch“, „hintergründig-boshaft“ und „grandios-vieldeutig“. Die Komposition hebt das bis ins letzte Detail hervor und Schumacher und Klose machten Oper mit höchstem Unterhaltungswert daraus. Schumacher hat alles, was man braucht und zeigte es nachhaltig: Eine ebenso große wie modulationsfähige wunderschöne Stimme bei erheblichem dramatischen Talent und Spielwitz. Und so reagierte dann auch das Publikum auf Erik Saties unwiderstehliche Formulierungen spontan mit zunehmender Heiterkeit.
Als Finale des Abends spielten Flindell (Vl.), de Oliveira Pinto (Vc.) und Klose (Klav.) das Klaviertrio „… und sprechen wir es aus, so geht es verloren …“. Dem will sich der Rezensent in Teilen fügen, die Komposition zu erklären wäre zu aufwändig (das Booklet der CD-Einspielung gibt etwas Auskunft). Allein die sofort überspringende Spielfreude transportierte genug, Trio und Interpreten passten kongenial zusammen. Das gestische Spiel der Interpreten machte die bildhafte Musik sichtbar. In einer hochemotionalen Duo-Kadenz von Violine und Cello zeigte sich die vollendete Klangkultur beider Streicher. Der zweite Satz friert das Thema in Zeitlupe ein, einzelne Ricochét-Töne der Streicher halten ein surreales Gefühl gefrorener Zeit – eine großartige Szene! Das Finale nimmt sehr körperliche rhythmische Phrasen aus dem ersten Satz wieder auf und führt sie bis zur Extase. Die drei Musiker gerieten mehr und mehr in tänzerischen Spielrausch, am Ende explodiert das Stück. Die Musik war der Film.
Die Veranstaltung wurde von exzellenten Interpreten getragen. Wie groß der Aufwand war, einem Personalstil zum Leben zu verhelfen – denn das war es an diesem Abend – lässt sich nur ahnen. Des Komponisten Freude über die glückliche Fügung war jedenfalls unübersehbar. De Oliveira Pinto und Flindell zählen zu den bekannten Namen, sie lernten bei den Konzertmeistern der Berliner Philharmoniker. Ebenso Klose, der auch in langer Zusammenarbeit mit Dietrich Fischer-Dieskau wuchs. Björnsson ist in den Inszenierungen von David Marton an der Schaubühne bekannt geworden. Zu den neueren Namen gehört Lepinat, der schon auf mehreren CDs zu hören ist – mit Bachs „Kunst der Fuge“ oder wie die Mehrzahl der Interpreten des Abends auf der CD „wach“ mit Werken von Frank Hill. Schumacher war eine Überraschung, die unbekannte Sängerin kann es mit großen Stimmen aufnehmen.  
Dem aufwändigen 20-seitigen Programmheft des Konzertes war zu entnehmen, dass neben dem DTKV Berlin die freie Wirtschaft (Banken, Druckerei, Tonstudio und andere) das Konzert unterstützte. Ebenso interessant ist, dass dieser Abend mit Klavierkammermusik von einem Gitarristen komponiert wurde. Und: In einem ausgewiesenen Konzertsaal ein volles Konzert mit Überlänge der Musik eines lebenden Komponisten zu widmen, stellt eine wahrhaft harte Prüfung dar. Frank Hills Musik hat diese zweifellos im Konzerthaus Berlin vor vollem Saal bestanden. Die enorme Spannung im Publikum löste sich erst nach dem letzten Werk – deutlich nach 22 Uhr. Bestens unterhalten traten wir auf den Gendarmenmarkt hinaus …

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