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Geben der Musik eine Zukunftschance (v.li.): Dieter Gorny, Michael Schiewack und Sebastian Purps. Foto: forward2business
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Leben und kaufen

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Der forward2business Kongress 2005 in Halle
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„Der Berliner Goldhut, auch „Urtyp des Zauberhuts“ genannt, könnte als eines der ersten Wearables oder Accessoires gewertet werden. Der Zeremonienhut war etwa 75 Zentimeter hoch, mit Sonnen, Monden und Sternen verziert und mit einem Kinnriemen versehen. Mit ihm besaß man die Macht. Das erfolgreichste Wearable überhaupt benutzen wir schon längst. Es ist nichts anderes als das mobile Telefon, tragbar und trendy.“

Ein kleiner Ausschnitt aus der Rede, die Jacqueline Otten von der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich zur Eröffnung des Zukunftskongresses forward2business 2005 hielt, bringt den Reiz der Veranstaltung auf den Punkt. Neue Sichtweisen auf den Business-Alltag provozierten zum Nach- und Neudenken. Die Designerin traf auf Handyhersteller, der Spieleerfinder auf Fernsehproduzenten, der öffentlich-rechtliche Rundfunkredakteur auf Autoproduzenten, Musikvermarkter auf Internetradiomacher und Musikjournalisten auf Modehersteller, die i-Pods in Jacken einbauen.

„Wie kann man leben, ohne Unbekanntes vor sich zu haben?“. Diese Maxime von René Char (im Poème Pulverisé) war den Anwesenden zu wenig. Science-Fiction-Autor und Zukunftsforscher Karlheinz Steinmüller zufolge „muss die Zukunft nicht ein riesiger, völlig weißer Fleck auf der Landkarte der Menschheit bleiben, zumindest die Umrisse lassen sich ausmachen“. Unter der Anleitung von ihm und weiteren Moderatoren versuchte die anwesende Kompetenz aus Industrie und Handel in die Zukunft von Schlüsselindustrien wie Entertainment-, Auto- und Musikindustrie zu schauen. Die präsentierten und diskutierten Zukunftsvisionen orientierten sich am technisch Machbaren und am ökonomisch Verwertbaren. Was der Mensch braucht, wurde nicht gefragt, nur welche Bedürfnisse geweckt und vom Marketing bedient werden können: „What doesn’t make you come, won’t stay“. Der Mensch reduziert auf seine Primärbedürnisse. Was heißt das im Fall Musik? Sie wird wie Leitungswasser frei verfügbar sein, lautete die These. Plattenfirmen werden keine große Rolle mehr spielen. „Die Künstler werden zu eigenen mittelständischen Entertainmentfirmen und Distributionspartnerschaften“, so die Vision von Dieter Gorny, Executive Vice President MTV Networks Europe.

„Gerade in einer Zeit, in der alles verfügbar ist, werden Rundfunksender immer wichtiger, da sie quasi eine Beraterfunktion einnehmen“, sagte Petra Husemann-Renner vom In-ternetradio motor.de, eine Meinung der sich auch Michael Schiewack, der Programmchef der MDR-Programme Jump und Sputnik anschloss.

Doch vom Beraten allein will man in Zukunft nicht leben. Übers Radio, besonders übers Internetradio kann man Musik auch verkaufen. Kein Zufall also, dass das neue Online-Radio laut.de exklusiv auf dem forward-2business Kongress an den Start ging. So könnte das Radio der Zukunft aussehen: Parallel zum Radiostream wird es Artist-, Event- und Ticketinformation geben. Und selbstverständlich einen Downloadshop beinhalten. Wie war das mit dem Wasser? Wo der Wasserzähler in Zukunft angebracht ist, das heißt wie die Rechtesituation in zehn Jahren aussehen könnte, darüber gab es verschiedene Ansichten, aber einen großen Wunsch: Es soll einer angebracht werden.

Noch weiß man eben noch nicht, wie sich das omnipotente Wearable Mobiltelefon in den nächsten Jahren entwickeln wird. Sicher ist: Es wird zur Schnittstelle zwischen Video- und Musikanlage, zur Schnittstelle Computer und Internet. Telefonieren soll auch noch möglich sein. Doch ob das Mobiltelefon der Zukunft der „kostenfreien“ Welt des Internet oder eher der Gebührenwelt des drahtlosen Telefons zuzurechnen ist, konnte in Halle noch nicht schlüssig beantwortet werden, auch wenn die Anwesenden zum größten Teil allein von ihrer Interessenlage her zu den „Kassierern“ zählten. Die Handyhersteller müssen sich fragen, ob sie am Gerät oder an den Gebühren verdienen wollen, die Musiker müssten wiederum daran interessiert sein, mit Verwertungsgesellschaften zu sinnvollen Abrechnungsmodalitäten zu kommen.

Vor welchen komplizierten Herausforderungen das Urheberrecht steht, zeigte auch die Verleihung des Sputnik Innovator Award an Moby. Seine Stücke sind vom User, also vom Käufer und Hörer, nachträglich noch bearbeitbar. Die Grenzen zwischen Urheber und Nutzer verwischen sich. Moby-Produzent Rupert Evans beschrieb die Revolution, die sich in der Musikproduktion abgespielt hat und die noch lange nicht abgeschlossen ist. Aufnahmetechnologie sei heute für jeden erschwinglich, und zwar in besserer Qualität als sie den Beatles jemals in der Abbey Road zur Verfügung gestanden hat.

Zurück zur Zukunft: Die Grenzen zwischen virtueller und realer Welt werden fließender. So werden heute bereits fiktive Werte aus Internetspielen real auf der Tauschbörse ebay gehandelt. 2015 sollen nicht mehr bloß Spiele verkauft, sondern Welten, die der Spieler nach seinen eigenen Bedürfnissen gestaltet und die möglicherweise auch einen eigenen „Marktwert“ besitzen wie heute das Reihenhaus. Anush Mahadjer von EIDOS skizzierte in seinem Vortrag den „interaktiven Spielfilm“ genauso wie den Soundtrack „auf Platz 1 der Charts“. Dahinter steckt ganz unverhohlen, dass der User durch seine Spielgewohnheiten katalogisierbar wird, dass in virtuellen Welten offen für reale Produkte geworben werde und dass Games- und Musikindustrie stärker zusammenwachsen.

Kann Neuromarketing endlich Antworten geben auf so existenzielle Fragen, warum der Kunde die teure Cola kauft, obwohl die billigere besser schmeckt, oder warum ein Musiktitel in den Charts ganz oben landet, obwohl er sich von zehn anderen nicht unterscheidet? Mit der Einladung von Hirnforschern aus dem Bonner Universitätsklinikum für Epileptologie versuchte das ungewöhnlichste aller Branchentreffen auch darauf erste Antworten zu geben. Weitere Visionen von der schönen Warenwelt von morgen finden Sie schon heute unter www.forward2business.com

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