Ungewohnte Klänge im Vortragssaal des Städtischen Museums Heilbronn. Ungewohnt auch für das Avantgardeerfahrene Publikum beim Internationalen Pianoforum „antasten“. Das kleine, chronisch mit Finanzierungssorgen geschlagene Festival, widmete sich in seiner fünften Ausgabe der Mikrotonalität. Was die großen Festival-Dinosaurier unter allen Umständen leisten (müssen) – sich voneinander unterscheiden nämlich – und wozu sie immer häufiger die Hilfe der Designer wie der ganz großen Geldgeber benötigen, bewirken in Heilbronn (mehrheitlich noch) die Ideen und die Kontakte eines künstlerisch konzipierenden Festivalleiters, des Komponisten Ernst Helmuth Flammer.
Ungewohnte Klänge im Vortragssaal des Städtischen Museums Heilbronn. Ungewohnt auch für das Avantgardeerfahrene Publikum beim Internationalen Pianoforum „antasten“. Das kleine, chronisch mit Finanzierungssorgen geschlagene Festival, widmete sich in seiner fünften Ausgabe der Mikrotonalität. Was die großen Festival-Dinosaurier unter allen Umständen leisten (müssen) – sich voneinander unterscheiden nämlich – und wozu sie immer häufiger die Hilfe der Designer wie der ganz großen Geldgeber benötigen, bewirken in Heilbronn (mehrheitlich noch) die Ideen und die Kontakte eines künstlerisch konzipierenden Festivalleiters, des Komponisten Ernst Helmuth Flammer.Entscheidend waren in diesem Biennale-Zyklus Flammers französische Verbindungen zum Pariser Studio Groupe Recherche Musicale sowie zu den Pianistinnen Sylvaine Billier und Martine Joste. Letztere saß bei der deutschen Erstaufführung von Flammers „Klavierstück VIII für Sechzehnteltonklavier“ an einem Klavier, das nur so aussah wie ein solches. Vertraut war daran allenfalls die Klaviatur verbunden mit einem herkömmlichen Resonanzkörper in schwarz polierter Eleganz.„Kenn’ ich von zu Haus“, spricht der Besucher zu sich. Doch was er aus diesem Instrument zu hören bekam, das kannte er nicht. Eine flächig angelegte Komposition wie Flammers „Klavierstück VIII“ amalgamiert fließende polymetrische Abläufe zu Klangfarbenmelodien, zu einer Art Klangwolke wie von Schwirrhölzern erzeugt, fast unmerklich in ihrer Veränderung – wie ein Insektenschwarm, der in seinem rotierenden Kreisen nur auf den ersten Blick am Ort zu verharren scheint. Auch auf einem Festival, das sich als das Mekka der Klaviermusik-Avantgarde mittlerweile international einen Namen gemacht hat, wurde dies durchaus als „neuartige“ Musik gehört. Dabei ist das Sechzehnteltonklavier alles andere als eine Messeneuheit. Die Idee dazu ist alt, nur hat sie sich auf dem „Markt“ nicht durchsetzen können. So gesehen wurde das Engagement der Pianomanufaktur Sauter für den Bau von Mikrotonklavieren entschieden als „heroische Tat“ gewürdigt. Überhaupt war es eine seltene Erfahrung, Komponisten, Instrumentalisten und Instrumentenbauer auf einem Festival so vertraut im Gespräch zu erleben. Keine schlechte Voraussetzung für den Erfolg des Sendungsbewusstseins des Heilbronner Pianoforums, mit Hilfe der Konzertform den Konzertbetrieb erneuern zu wollen. Ob und wann in diesem Fall auch einmal mikrotonale Musik ins Repertoire eingehen wird, ist gegenwärtig natürlich völlig unprog-nostizierbar, was auch mit der Vielfalt mikrotonaler Experimente und Denkansätze in den letzten einhundert Jahren zu tun hat.
Heilbronn tat insofern gut daran, sich zu beschränken – beispielsweise auf den heute zumal in Europa nahezu vergessenen Julian Carillo, mit dem die Erfindung des Sechzehnteltonklaviers unmittelbar verbunden ist. Für diese Aufklärungsarbeit verpflichtete „antasten“ einen Experten aus dem Schweizer Nachbarland. Der Berner Musikwissenschaftler Roman Brotbeck berichtete luzide vom transatlantischen Wirken eines lateinamerikanischen Pioniers der Mikrotonalität. Musik und Nachdenken über Musik – das zeigte Heilbronn auch – ist nicht voneinander zu trennen.
Was die zur Aufführung gebrachten Kompositionsaufträge fürs Sechzehnteltonklavier angeht, so wurden sie durchaus als Anfang zu einem neuen Kapitel Kompositionsgeschichte verstanden, das die Mikrotonalität in der Musizierpraxis, zumindest im Bewusstsein der komponierenden Klasse, wieder heimisch zu machen hätte. Beiträge dazu kamen unter anderen vom Festivalleiter Flammer, von Georg Friedrich Haas, von den Franzosen Alain Bancquart und Franck Christoph Yesnikian sowie vom Schweizer Komponisten Marc Kilchenmann. Letzterer brachte mit „Vertrautheitsseelig auf Eis“ die prekäre Situation auf den Punkt, indem er ein normal gestimmtes und ein Sechzehnteltonklavier über Eck stellte. „Wie groß“, so die bissige Frage des Komponisten, „dürfen Abweichungen vom Halbton-Raster sein, ohne dass wir uns in unserer Tonalitätsseeligkeit stören lassen?“ Interessant – sind „wir“ immer noch „tonalitätsseelig“? Das Publikum jedenfalls zeigte sich provokationsfest und folgte dem Komponisten bereitwillig aufs mikrotonale Eis.
Bei aller neuen alten Begeisterung fürs Mikrotonklavier – auch diesmal war in Heilbronn die traditionell fürs gewohnte „Halbtonpiano“ geschriebene Klaviermusik ausgiebig vertreten. Vielleicht am intensivsten war dabei der Eindruck, den Paul Heinz Dittrichs „Klaviermusik VII“ hinterließ; nicht nur, weil sie von Irina Emeliantsewa, einer in Berlin lebenden russischen Pianistin, so fulminant interpretiert wurde. Nach dem Schock des New Yorker Attentats und seiner Folgelast – beides lag als Trauma natürlich auch über diesem Festival – öffnete Dittrichs Klaviermusik VII einen emotionalen Resonanzraum, der vom Publikum dankbar betreten wurde. Musik, die standhält. Neben der Mikrotonalität, neben traditionell komponierter Klaviermusik, neben Klavier und Elektronik, präsentierte Heilbronn auch erweiterte Klavierbesetzungen. Das famose Berliner Klavierduo (Linde Großmann/Stanislaw Widulin) lieferte dazu eine bestechende Interpretation der „Zeitspuren“ für zwei Klaviere von Günther Becker und das Freiburger Ensemble Quattro in Quadro eine nicht weniger durchleuchtete Interpretation der Komposition für vier Klaviere von Jörg Herchet.
Fazit von fünfzehn Konzerten in fünf Tagen: ... „antasten“ Heilbronn ist gegenwärtig das einzige Forum, das sich den Weiterentwicklungen des Traditionsinstruments Klavier zu stellen wagt. Da capo.