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Bringt Puls in die Klassik: Kristin Amme. Foto: Birgit Hart
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Musik muss nicht vermittelt werden, gute Musik verführt

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Die neue Redakteurin für zeitgenössische Musik im Bayerischen Rundfunk Kristin Amme im Gespräch
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Kristin Amme ist Redakteurin für zeitgenössische Musik beim Bayerischen Rundfunk. Vorher hat sie in Leipzig und Trento Musikwissenschaft, Soziologie und Komparatistik studiert und als Moderatorin, Autorin und Senderedakteurin für verschiedene Programme des BR gearbeitet (u.a. für das junge Angebot PULS und BR-Klassik). Im Gespräch mit Martin Hufner erläutert sie ihr neues Aufgabengebiet, das sie von Helmut Rohm übernommen hat.

nmz: Frau Amme, seit September 2016 sind Sie Redakteurin für zeitgenössische Musik beim Bayerischen Rundfunk, zuvor arbeiteten Sie bei BR PULS, dem Jugendsender. Wie ist es zu diesem Wechsel gekommen und was nehmen Sie von PULS mit?

Kristin Amme: Seit 2008 habe ich kontinuierlich für das Klassikprogramm des Bayerischen Rundfunks gearbeitet – mit einem besonderen Schwerpunkt auf der zeitgenössischen Musik. Erst einige Jahre später, 2014,  kam PULS hinzu. Dort konnte ich, neben meiner Arbeit als Autorin und Senderedakteurin bei BR-Klassik, regelmäßig moderieren und dabei neue Formate, eine andere Ansprechhaltung und ein durch und durch trimediales Arbeiten austesten. Was ich von PULS mitnehme? Die Lust, Dinge auch mal anders zu machen, etwas auszuprobieren, auch wenn es vielleicht schief geht, mehr Lockerheit am Mikro und das Wissen darum, dass Online, Print, TV und Radio zwar ihre jeweilig verschiedenen Anforderungen haben, aber heute grundsätzlich zusammen gedacht und redaktionell gemeinsam geplant werden müssen.

nmz: Sie haben die Redaktion von Helmut Rohm übernommen, einem ungemein gut in der Szene vernetzten Urgestein unter den Neue-Musik-Redakteuren. Ist das eher Ansporn oder Bürde, oder etwas ganz Anderes?

Amme: Auf viele wertvolle Kontakte – seien es solche zu Komponisten, Autoren, Tontechnikern, Veranstaltern oder Labelinhabern – kann ich zurückgreifen, weil Helmut Rohm sie über die vergangenen Jahrzehnte geknüpft und gepflegt hat. Das ist ein enormer Gewinn. Trotzdem muss und werde ich natürlich meine eigenen Wege gehen, neue Autoren einbinden, Dinge verändern.

nmz: Helmut Rohms Stelle war eine Vollzeitstelle, sie haben nur noch eine halbe. Heißt das auch, dass die Aktivitäten der Neue-Musik-Redaktion nun halbiert sind? Gleichzeitig nehmen die Aufgaben durch trimediale Aktivitäten noch mehr Zeit in Anspruch. Wie kann das zusammengehen?

Amme: Das ist durchaus eine Herausforderung. Zu den Aufgaben, die ich von Helmut Rohm übernommen habe, kommen Tätigkeiten für das tagesaktuelle Programm (Musikplanung, Interviews, Beiträge, Moderation et cetera) hinzu, sodass am Ende eine Vollzeitstelle daraus wird, in der sich auch immer mal wieder das Gewicht vom einen zum anderen Bereich verlagert. An das tagesaktuelle Programm von BR-Klassik angedockt zu sein, hat aber auch Vorteile. So lässt sich die zeitgenössische Musik leichter auch im Programm untertags platzieren und man läuft gar nicht erst Gefahr, sich in seinem Fachbereich einzuigeln. Es provoziert und setzt also eine Offenheit voraus, die ich ohnehin unerlässlich finde. Allerdings bleibt in Zeiten sich verdichtender und zunehmender Arbeit, womit ja die meisten Berufsfelder und längst nicht nur der Journalismus umgehen müssen, die Frage: Wie priorisiere ich? Und wo bleibt Zeit, sich den Kopf auch mal von neuen Ideen und anderen Sinneseindrücken durchpusten zu lassen?

nmz: Wie werden Sie den Bereich Neue Musik beim BR weiterentwickeln? Haben Sie vor, besondere Schwerpunkte zu setzen?

Amme: Mittelfristig würde ich die Sendung „Horizonte“ (immer dienstags und donnerstags ab 22 Uhr bei BR-Klassik) gerne streckenweise etwas magazinisieren, das heißt auch tagesaktuellere Themen wie Veranstaltungshinweise, aktuelle CDs und Interviews mit einbinden. Darunter soll eine tiefergehende Auseinandersetzung, wie sie derzeit in Form der angefeaturten Wort-Musik-Sendungen passiert, jedoch keinesfalls leiden. Außerdem werde ich als junge Redakteurin vermehrt jüngere Ensembles, Komponist/-innen und Akteure einbinden, und verstärkt darauf achten, dass mehr Frauen im Programm stattfinden.

nmz: Das Feld der Neuen Musik ist heute ja noch vielfältiger als noch vor 20 Jahren.  Wie reagieren Sie mit ihrer redaktionellen Arbeit darauf?

Amme: Mit offenen Ohren und Weitherzigkeit. Jede Strömung, jeder Stil hat seine Berechtigung, solange das Handwerk stimmt. Ich versuche, nicht nach persönlichem Geschmack, sondern abbildend vorzugehen und vielen unterschiedlichen musikalischen Themen einen Platz im Programm bei BR-Klassik einzuräumen.

nmz: Sie haben einmal geschrieben: „Wir müssen den Kanal zu eigentlich selbstverständlichen Fragen (wieder) öffnen. Indem wir alltagsnahe und ganz unterschiedliche Hörerlebnisse ermöglichen. Indem wir zum Beispiel im Radio zeigen, wie vielfältig neue Musik ist. Und indem wir immer wieder auch den einen oder anderen Konzept-Batzen beiseiteschieben.“ Nach welchen Kriterien gestalten Sie ihr Programm?

Amme: Radio ist ein Hörmedium. Die Möglichkeiten, die dieser akustische Spielplatz bietet, sind so mannigfaltig, und die möchte ich auch nutzen. Radioprogramm muss sinnlich ansprechend sein, informieren und Spaß machen. Meine Devise: Musik muss nicht vermittelt werden, gute Musik verführt.

nmz: Welche Bedeutung spielen in der heutigen Zeit eigentlich neben dem Senden auf UKW und DAB+ andere sogenannte Ausspielwege? Ihre Kollegen Meret Forster und Oswald Beaujean schrieben: „Seit 1998 hat sich jedoch im Zuge der zunehmenden Digitalisierung die Bedeutung verschiedener Ausspielwege sehr verändert. Darauf reagiert auch BR-KLASSIK mit einem umfassenden Klassikportal, das künftig noch weiter ausgebaut werden wird.“ Welche Defizite und Chancen nehmen Sie dabei wahr? Welche Entwicklungen dürfen wir da in nächster Zeit erwarten?

Amme: Dazu kann ich nicht umfassend genug antworten. Meret Forster und Oswald Beaujean, die die Entwicklung im Blick haben und stetig vorantreiben, können da sicher gut Auskunft geben.

nmz: Internet und sogenannte „Soziale Medien“ führen auch zu geänderten Kommunikations- und Wahrnehmungsweisen. Wie kann da der „lineare“ Hörfunk darauf reagieren? Welche Wünsche und Hoffnungen hegen Sie?

Amme: Für die jüngere Generation ist es längst selbstverständlich, sich über verschiedene Streaminganbieter ein eigenes Musik- und Podcastprogramm zusammenzustellen. Die lineare Struktur des Radios, die darauf abzielt, dass Hörer/-innen ihren Stammsender einschalten und so lange dran bleiben, wie sie das Programm eben anspricht, ist derzeit zwar noch sehr wirkmächtig, wird aber durch den zunehmenden Wunsch, sich sein Programm selbst zu kuratieren, schrittweise verloren gehen. So wie Texte im Netz schon lange nicht mehr linear organisiert sind, wird auch Radio irgendwann bausteinmäßig neben-, hinter-, ineinander passieren. Die größte Aufgabe für uns als Journalist/-innen besteht bei all der Veränderung zukünftig darin, die User durch dieses Dickicht aus Inhalten zu navigieren, clevere Playlists zu erstellen, sich mit intelligenter Verschlagwortung auseinanderzusetzen et cetera. Und warum nicht dabei auch auf die Infrastruktur etablierter Streaming­anbieter zurückgreifen? Um eine Zusammenarbeit mit den großen Playern in Sachen Streaming und Social Media kommt man ohnehin nicht herum. Wie attraktiv Radio im Netz ist und sein wird, hängt auch davon ab, wie und wo man sich im Netz positioniert.

nmz: PULS und BR-KLASSIK tauschen bald ihre Wellen, wenn die Gerichte es nicht verhindern. Für Sie wird UKW somit nur ein kurzes Zwischenspiel sein. Meinen Sie, BR-KLASSIK und ihre Redaktion wird DAB+ als Gewinn verbuchen? Wie wäre Ihr Plädoyer für DAB+?

Amme: Ob DAB+ ein Gewinn ist, wird die Zukunft zeigen. Im besten Falle stößt der Wechsel von UKW zu DAB+ neue Prozesse an. Da gilt es, nicht nostalgisch zurückzuschauen, sondern aktiv mitzugestalten, die Chancen zu sehen, neue Hörer/-innen zu gewinnen und alten Hörer/-innen die Vorteile (zum Beispiel klanglicher Natur) aufzuzeigen und mit Elan die Spielwiese des Digitalen zu bespielen. Dann kann die Veränderung ein großer Gewinn sein. 

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