Erst jetzt wird bekannt, dass der Komponist Kurt-Joachim Friedel bereits am 11. Januar 2013 in Malsfeld-Elfershausen verstorben ist. Sein Wirken war für mich als Zupfinstrumentalist und Dirigent relevant genug für einige Worte des Gedenkens.
Am 5. April 1921 in Stettin geboren, erhielt Kurt-Joachim Friedel seine ersten musikalischen Anregungen durch die Eltern, die beide Klavier spielten. Das Geld für einen regelrechten Musikunterricht war nicht vorhanden. So brachte Friedel sich das Klavierspiel selbst bei und lernte den Violin- und Bass-Schlüssel „spielend“, indem er schon mit sechs Jahren anfing, Noten zu schreiben.
Im Jahre 1936 spielte Friedel Prof. Kittel vor, dem damaligen Leiter des Sternschen Konservatoriums in Berlin. Es herrschte Mangel an Orchesternachwuchs, daher erhielt Friedel zwar nicht den gewünschten Klavierunterricht, aber stattdessen eine Freistelle für Violinunterricht. Hinzu kamen musiktheoretischer Unterricht und Vorlesungen über Musikgeschichte bei Prof. A. Schering.
Entscheidend war 1938 die Bekanntschaft mit dem damals neuen Organisten der Lichtenberger Erlöserkirche, Siegfried Reda. Dieser war nicht nur ein grandioser Orgelspieler, sondern er konnte perfekt aus Partituren spielen und war zudem ein Komponist, der Werke gut erklären konnte. Im März 1939, nach bestandenem Abitur, wurde Friedel sein erster Schüler. Bezahlung und Unterrichtsdauer spielten bei Reda keine Rolle. Manchmal dauerte eine Lektion vier Stunden! Friedel erhielt hier endlich Klavier- und Orgelunterricht, sang im Kirchenchor und vertrat seinen Lehrer bei Trauungen und Taufen.
Anfang 1941 zum Militär einberufen, geriet Friedel in Gefangenschaft, aus der er im August 1945 zurückkehrte. Über Wasser hielt er sich zunächst mit Gelegenheitsarbeiten. 1948 hielt Prof. Mersmann in München einen Vortrag. Friedel zeigte ihm bei dieser Gelegenheit einige seiner Kompositionen. Daraufhin erhielt er eine Freistelle für Kompositionsunterricht bei Prof. Wolfgang Jacobi. Eingeschlossen war die Möglichkeit, in der Münchner Akademie für Tonkunst die Vorlesungen über Formenlehre mitzuerleben. Auch das Tonstudio für Neue Musik von Fritz Büchtger besuchte Friedel regelmäßig.
1954 gründete Friedel eine Familie und zog nach Berlin. Hier setzte er die Kompositionsstudien ab 1955 bei Prof. Siegfried Borris und Herbert Baumann fort. Friedel lebte als freischaffender Organist, Chorleiter und Lehrer für Orgel- und Klavierspiel bis zum Jahre 1981 in Berlin. Zu dem Zeitpunkt erfolgte die Umsiedlung nach Malsfeld in Hessen, weswegen er mir seine kleine Biedermeier-Gitarre verkaufte, die ihm zum spielbaren Schreiben für Gitarre verholfen hatte. Die Schwierigkeiten, die er als freischaffender Musiker in neuer Behausung überwinden musste, schilderte er mir in einer Briefkarte vom 24.12.1992, in der er klagte, mangels Geld den Dachgeschossausbau weitgehend selbst erledigen zu müssen. Friedel, zu dessen oft geistlichen Werken Orgel-, Klavier-, Chor-, Kammer-, Blockflöten- und Zupfmusik zählen, stand im Jahre 1977 plötzlich in einer meiner Orchesterproben mit dem Tegler Zupforchester, hörte zu und wollte uns etwas schreiben. Ergebnis waren vier Werke für Zupforchester, zunächst die „Frühlingssonatine“, uraufgeführt am 19.5.1979. Kurz hintereinander folgten „Sonatine“ und „Dänische Suite“, alle Stücke abseits des Mainstream geschrieben und recht erfrischend. Schließlich eine Volksliederkantate für 4-stimmigen gemischten Chor und Zupforchester, diese am untypischsten für seine sonstige Schreibweise (alle bei Trekel, Hamburg, erschienen).
Sein Oeuvre umfasst etwa siebzig Werke. Die meisten kann man auf der Webseite der Deutschen Nationalbibliothek unter Woe=134378148 nachschlagen. Dort nicht zu finden sind die Suite für Gitarre (bei Berben verlegt), die Frühlingssonatine und die Sonatine für Zupforchester, die Abendmahl-Orgeltrios (Merseburger), die Etüden und die Schule „Klarinette? Na klar!“ (Hofmeister), ferner zwei Trios für Violine, Viola und Cello (Heinrichshofen), das Lieder-Tanzalbum für Blasorchester (Wilh. Halter-Verlag), „Alle sind entartet“ (geistliches Konzert für Sopran oder Tenor und Orgel, Merseburger). Im Carus-Verlag noch „Das Kirchenlied in kleiner Besetzung“ (Chor 1-stimmig und Klavier).
Friedel war nicht nur Kollege, sondern Freund und stand mir öfters beratend zur Seite. Umgekehrt konnte ich ihm in spieltechnischen Fragen viele Tipps geben: Meine Revision seiner 3-sätzigen Sonatine für Mandoline bezeichnete er am 16.6.2010 als „sehr behutsam verbessert“. Überhaupt hielt er Kontakt zu Musikern aus der Praxis, die eventuelle Interpreten sein konnten. Für den Leser von Interesse dürfte eine Passage aus dem Briefwechsel vom 22. Dezember 1989 sein, in der Friedel damals schrieb: „…Mir geht es beim Komponieren für Zupforchester darum, dass die Zupfmusik ernst genommen wird. In der Zeitung für Zupfmusik wurde Klage darüber geführt, dass bedeutende Komponisten der Gegenwart die Zupfmusik nicht ernst nehmen. Aber sind die Zupfmusiker nicht selber schuld daran, dass es so ist? Sie wollen gefällige Musik, unterhaltsame Musik, leichte Musik, tänzerische Musik. Und alles, was sich auf diesem Niveau bewegt, wird angenommen. Alles andere wird abgelehnt. Und nach meinem Empfinden richten sich die Dirigenten ganz nach den Wünschen der Spieler, ohne bei der Programmwahl erzieherisch zu wirken. Letzten Endes sind die Zupfmusiker Laienmusiker und bedürfen der Führung durch einen Fachmann.“ Nun, in den vergangenen 20 Jahren hat sich das doch gebessert! Und in ähnlichem Sinne schreibt er am 20.12.1993: „… Eine Zirkusnummer … Ja, das wollen die Leute hören! Ohrenkitzel, Schaumschlägerei, Interessanttuerei. Oh, wo sind wir bloß in der Musik hingekommen! … Ich will eine Musik schreiben, die durch ihren musikalischen Gehalt ankommt und überzeugt, nicht durch Taschenspielertricks….“
Soweit meine Anmerkungen zu einem aufrechten Musiker, der brieflich und musikalisch sehr ehrlich schrieb und zumindest für mich unvergesslich bleibt.