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Schon jetzt, während noch die letzten Veranstaltungen des Deutschen Musikfestivals stattfinden, läßt sich das Resümee ziehen: Das Deutsche Musikfestival aus Anlaß des 150jährigen Bestehens des Deutschen Tonkünstlerverbandes war ein großer Erfolg, der das weite Spektrum des Tonkünstlerverbandes einem erstaunlich großen Publikum und durch ein Medienecho, das alle Erwartungen übertraf, bewußt machte.
Das Programm des Konzertes in Weimar gab Anlaß zum Nachdenken in zweierlei Hinsicht: Zum ersten Mal nach der Wiedervereinigung konnte in der Stadt von Franz Liszt, in der auch für kurze Zeit Richard Strauss gewirkt hatte, ein gesamtdeutsches Festival eröffnet werden.
Das Konzert mit dem Titel „Vom Solo zum Sextett“ begann mit der engagiert von Bernhard Böttner vorgetragenen Klaviersonate „27. April 1945“ von Karl Amadeus Hartmann. Dieses Werk, in dem expressiv und anklagend das Leid in den Konzentrationslagern zu einer traurigen, schonungslos um Wahrheit ringenden Musik gestaltet wurde, erklang als Mahnung an die schrecklichen Katastrophen, die während der 150jährigen Geschichte des Deutschen Tonkünstlerverbandes Europa erschütterten.
Danach hellte sich das Programm zunehmend auf, wurde unbeschwerter, unterhaltender – als Spiegelbild einer insgesamt glücklichen Entwicklung nach dem II. Weltkrieg. Experimentierfreudig und doch musikantisch war die „Petite Suite grotesque“ für Fagott und Klavier von Stefan Braun, die zusammen mit dem Komponisten von der Fagottistin Amrei Liebold mit hoher Virtuosität und außergewöhnlich schönem Ton vorgetragen wurde. Die beiden jungen Musiker waren bis vor kurzem Schüler am Musikgymnasium Schloß Belvedere in Weimar und studieren jetzt an der Hochschule „Franz Liszt“.
Nach ihnen musizierte das Trio Triton homogen aufeinander eingespielt, mit leichtem Ton, klanglicher Delikatesse und feinem rhythmischen Gefühl Martinus Klaviertrio. In Mendelssohns Streichquartett e-Moll überzeugte das Spohr-Quartett der Weimarer Musikhochschule nicht nur durch eine beachtliche Ensembleleistung, sondern vor allem durch die überragende Gestaltungskraft und die brillante Technik des 1. Geigers Alexeji Barsch-witsch. Instrumentales Theater führte das Posaunenquartett der Weimarer Musikhochschule mit Jan Koetsiers „Die Bremer Stadtmusikanten“ auf. Sie spielten nicht nur voller Witz und Musizierfreude, sondern agierten auch als Schauspieler – eine bühnenreife Leistung. So ernst das Konzert begann, so unterhaltend endete es: Das Thüringer Celloensemble trug Werke von Albeniz und Jacques Offenbach vor.
Das Eröffnungskonzert war programmatisch für die Art, wie Musik beim Deutschen Musikfestival dargeboten wurde: Meisterinterpreten, zumeist Mitglieder des Tonkünstlerverbandes, wie Bernhard Böttner und die beiden von Claudia Schwarze geleiteten Ensembles „Trio Triton“ und „Das Thüringer Celloensemble“, gestalteten zusammen mit hervorragenden Nachwuchsensembles ein Konzertprogramm. Die Schranken zwischen sogenannter zeitgenössischer und klassischer und sogenannter ernster und unterhaltender Musik wurden niedergerissen. Vor allem das Weimarer Posaunenquartett zeigte mit Koetsiers Werk, daß Musik sowohl zeitgenössisch, der E-Musik zugehörig als auch geistvoll und unterhaltend sein kann.
Posaunisten par excellence waren da am Werk! (Thüringische Landeszeitung über das Posaunenquartet der Hochschule Franz Liszt in Weimar mit Koetsiers „Bremer Stadtmusikanten“.)
Detmold: Drei Uraufführungen
Das hohe Niveau der Musikausbildung an der Detmolder Musikhochschule spiegelte das Kirchenkonzert mit dem Blechbläserensemble der Hochschule für Musik Detmold unter dem äußerst begabten jungen Dirigenten Matthias Foremny wieder. Perfekte Technik, genaues Zusammenspiel, vielfältige dynamische Schattierungen ließen die aufgeführte Musik zu einem fesselnden Erlebnis werden. Zu diesem Ensemble traten Solisten von internationalem Rang: die Sopranistin Hanna Krieger, der Tenor Wolfgang Tiemann, der Bariton Peter Ziethen und der Organist Christoph Grohmann.
Dieses Konzert erinnerte an die Gründungszeit des Deutschen Tonkünstlerverbandes mit Liszts „Psalm 23“ und den „Vier ernsten Gesängen“ von Johannes Brahms. Doch in der Hauptsache erklang zeitgenössische Musik, neben Dietrich Manickes „Kleinem geistlichen Konzert zur Reformationsfeier“ und Präludium und Fuge von Rudolf Suthoff-Gross drei Uraufführungen:
Jürgen Ulrich bezog in „Anrufung“ den Kirchenraum in die Komposition ein und ließ verschiedene Bewußtseinsstufen musikalischer Gestaltung – antiphonales, echoartiges Alternieren, gleichzeitiges, polyphones Spiel verschiedener Melodien und klangbezogenes, einheitliches homophones Spiel – als Archetypen von Musik bewußt werden, die über unsere verstandesbezogene Logik hinausgehend Unterbewußtes und Transzendentes einfangen.
Bewegend und eindringlich gestaltete Giselher Klebe Peter Härtlings Text „Der Flörsheimer Wald“ zu einem musikalischen Appell, die schlimme Naturzerstörung durch den Menschen zu beenden. Jürg Baur breitete in seinen „Meditazione sopra Gesualdo“ weitläufig, Zeitgrenzen sprengend, gebrochene, ohne Richtung erklingende, manieristisch verflochtene Melodien und Klänge aus, die teils Zitate aus Gesualdos Musik, teils Ausdruck des 20. Jahrhunderts die enge Verbindung von Spätrenaissance und unserer Zeit zeigten.
Die Uraufführung des Arioso „Der Flörsheimer Wald“ von Giselher Klebe über ein Gedicht von Peter Härtling wurde zum überragenden Höhepunkt der „Musika sacra“ in der Detmolder Christuskirche (Lippische Landeszeitung) / Neue und alte Kirchenmusik in exzellenter Perfektion (Lippische Rundschau über „Musica sacra“ in Detmold)
Hamburg: Kinderorchester
Das Hamburger Konzert spannte den Bogen von musizierenden Kindern zu meisterhafter Interpretation durch das Goldbek Trio. Renate Bruce leitete das Festival-Kinderorchester locker und kindgerecht. Man hörte es der Musik an, was für einen großen Spaß den kleinen Künstlern das Orchesterspiel bereitet. Dabei war es wohltuend, zu beobachten, daß hier nicht Perfektion oder eine Podiumsshow angestrebt werden. Leopold Mozarts „Kindersinfonie“, der „Herbst“ aus Vivaldis „Jahreszeiten“ und die Stücke amerikanischer Komponisten über „Hexen, Magier und Herbstgespenster“ wurden spielerisch und doch gekonnt und vor allem musikantisch musiziert.
Wie wichtig ist gerade in unserer Zeit, daß es möglichst viele solche Orchester gibt! Die Kinder wachsen hier zu einer Gruppe zusammen, lernen „Teamwork“, Konzentration, die Anspannung vor dem Auftritt und das Erfolgsgefühl nach dem Konzert. Der Höhepunkt des Konzertes war die Urauführung von Nicki Marinics „elefantenvariationen“, mit denen der junge Komponist den ersten Preis des Kompositionswettbewerbs für Kinderorchester gewonnen hatte. Mit Witz, dabei ziemlich anspruchsvoll für die kleinen Musikanten, schuf er ein Werk, das auch beim jugendlichen Publikum gut ankommt und zum Mitspielen anreizt.
Das zweite Hamburger Konzert wurde von traurigen Ereignissen belastet. Vor knapp einem Jahr verstarb die Geigerin des Goldbek Trios, Gracina Filipajtis-Lubotsky, bei einem Verkehrsunfall. In dem Kammerballett zu Ravels a-Moll-Klaviertrio sollte eine Hommage für sie getanzt werden. Doch aufgrund eines tragischen Todesfalles in der Familie des Solotänzers und Choreographen Nicolas Musin konnte das Kammerballett nicht realisiert werden.
Den Interpretationen merkte man diese besondere Situation an. Detlef Saßmannshausen am Klavier, der Cellist Martin von Hopffgarten und der Geiger Claus-Peter Thieme spielten mit außergewöhnlicher Intensität und ließen so das H-Dur-Klaviertrio von Brahms und Ravels Klaviertrio zu einem nachhaltigen Erlebnis werden. Insbesondere das sensible, schattierungsreiche, weiche und sich homogen dem Streicherklang anpassende Klavierspiel von Detlef Saßmannshausen und der warme, natürlich klingende Celloton Martin von Hopffgartens begeisterten.
Stuttgart: Hempels „Duell“
Das Stuttgarter Kammerorchester bot ein ausgefallenes Programm, das Musik für Kammerorchester des 20. Jahrhunderts versammelte, die weitgehend an der Tonalität festhält und dennoch moderne Musik ist. Neben Wolf-Ferraris „Serenade“, dem Sextett aus Capriccio von Richard Strauss und Coplands „Apalachian Spring“ erstaunte vor allem die klare und sehr kraftvolle Klangsprache in Arvo Pärts „Cantus“.
Doch zweifellos den größten Eindruck hinterließ die Uraufführung von Rolf Hempels Konzert für Violine und Kammerorchester „Duell“, in dem die Konzertform als „Wettkampf“ und „Kräftemessen“ auf die Spitze getrieben wird. Bis in die kleinsten Details der melodischen Struktur wird die Musik durch Gegensätze mit Spannung aufgeladen.
Die kurzen Sätze zeigen dabei verschiedene Aspekte des Wettkampfes knapp und reduziert, dringen gleichsam zu den archetypischen Merkmalen des „Concertare“ vor, wobei auch Abschnitte eines spielerischen Miteinander erklingen. Hempel gelang hier ein wichtiges Werk für die heute selten gewordene Besetzung Violine und Kammerorchester. Maßgeblich für die erfolgreiche Uraufführung war der Einsatz der Solistin, Tanja Becker-Bender, die mit durchdringendem, aber nie forciertem Ton, perfekter Technik und jugendlichem Draufgängertum dieses Konzert temperamentvoll, mit dem Mut, auch Äußerstes zu wagen, zu einem großem Erlebnis werden ließ.
In aparter Weise mündet das Solo in den weichen Klang des Vibraphons. Das dreiteilige Werk zeigt eine deutliche Strukturierung. Die junge Geigerin Tanja Becker-Bender zeigt große Fähigkeit, diese in die Interpretation einzubeziehen. (Stuttgarter Zeitung über die Uraufführung von Rolf Hempels Violinkonzert „Duell“)
Jugendfestival in Bad Füssing
„Musizieren soll jungen Menschen Freude machen.“ Unter diesem Motto stand das Jugendfestival in Bad Füssing. Über 200 Mitwirkende boten ein facettenreiches Programm, das zeigte, wie reich, vielfältig und begeisternd Musikmachen sein kann. Die ersten drei Konzerte des Nachmittags begannen jeweils mit einem großen Ensemble, dann folgten solistische und kammermusikalische Darbietungen. Das Landesjugendakkordeonorchester Bayern unter Fritz Dobler spielte mit erstaunlicher Professionalität und mitreißender Musikalität Jacobis Norddeutsche Volkstänze und andere Werke.
Der Gospelchor, „spirit grove“ unter Reinhard Bauer, der das zweite Konzert eröffnete, stand in seinem rhythmischen Swing, den unter die Haut gehenden Soli seinen amerikanischen Vorbildern kaum nach. Zu Beginn des dritten Konzertes wurde die Stimmung im Saal durch Samba-Rhythmen der Banda de Moleques, geleitet von Jürgen Schwenkglenks, aufgeheizt. Auch diesem Ensemble hörte man die intensive Beschäftigung mit der südamerikanischen Musik an. Genau das richtige rhythmische „Feeling“ wurde getroffen.
Nach diesen großen Ensembles folgten in den einzelnen Konzerten jeweils hervorragende Kammermusikensembles und Solisten, die zeigten, mit welcher Hingabe und welchem Können im niederbayerischen Raum musiziert und unterrichtet wird. Den großen Abschluß des Konzertes bildete das 4. Konzert, in dem Inka Stampfl das Jugendfestival-Symphonieorchester dirigierte und Harald Genzmers „Sinfonia per Giovani“ aufführte. Sie betonte dabei die musikantische Seite von Genzmers Musik, arbeitete mit feinem Gespür die mitreißende Rhythmik dieses Werkes heraus und ließ das über 120 Mitwirkende zählende Orchester zu einem grandiosen Finale anschwellen. Das Publikum belohnte diese Leistung mit Bravorufen und forderte eine Zugabe. Inka Stampfl, die auch charmant und kompetent moderierte, zeigte in dem Jugendfestival, wie man Musik von und für junge Leute, die freilich auch gerne von älteren angehört wird, einem großem Publikum so präsentiert, daß es begeistert ist: Hier wurde keine Leistungsschau angestrebt, sondern Freude an der Musik verbreitet.
Nach dem prachtvollen Finalsatz brach ein Beifallssturm los, der sich zum Orkan entwickelte. (Neue Passauer Presse über die Aufführung von Harald Genzmers „Sinfonia per Giovani“ durch das Jugendfestival-Symphonieorchester unter der Leitung von DTKV-Präsidentin Inka Stampfl) / Im Bad Füssinger Kursaal überzeugte der Musikverband vor allem durch seine hervorragende Jugendarbeit. (Straubinger Tagblatt über das Jugendfestival in Bad Füssing)
Politische Wirkung
Mit dem Deutschen Musikfestival hat sich der Deutsche Tonkünstlerverband erstmals seit der Wiedervereinigung auf Bundesebene der Öffentlichkeit vorgestellt. Schon jetzt läßt sich sagen, daß die über 90 Konzerte des Deutschen Musikfestivals für den Verband einen nicht hoch genug einzuschätzenden Gewinn an öffentlicher Aufmerksamkeit brachten. Gewiß läßt sich bei Konzerten mit Nachwuchsmusikern, mit neuer Musik, mit der Suche nach neuen Wegen der Präsentation nicht ein Massenpublikum erreichen, was ja auch gar nicht der Sinn der Arbeit des Tonkünstlerverbandes ist. Dennoch hatten die meisten der fünf zentralen Konzerte einen guten Besuch. Überall konnte das an moderner Musik interessierte Publikum erreicht werden. Dabei gab es gewiß Unterschiede. In Weimar und Detmold hätte das Publikum zahlreicher sein können. Überraschenderweise war in Hamburg der Saal trotz des ausgefallenen Balletts fast ausverkauft. Der neue Konzertsaal der Musikhochschule in Stuttgart war sehr gut besucht und das Jugendfestival in Bad Füssing zog mit seinen vier Konzerten über 1.000 Zuhörer an.
Noch wichtiger als dieser gute Besuch war für die öffentliche Aufmerksamkeit die Medienpräsenz: Bei den Konzerten in Weimar, Detmold, Hamburg, Stuttgart und Bad Füssing gab es zahlreiche Vorberichte in den Zeitungen, Interviews mit Prof. Dr. Inka Stampfl im Rundfunk und Fernsehen und Nachbesprechungen.
Ein besonderer Erfolg ist, daß das Mitteldeutsche Fernsehen das gesamte Weimarer Konzert aufzeichnete und daraus einen längeren Bericht zusammenfaßte. Das Stuttgarter Konzert wurde vom Süddeutschen Rundfunk mitgeschnitten, das Detmolder Konzert wurde ebenso mitgeschnitten und wird aller Wahrscheinlichkeit nach vom Westdeutschen Rundfunk gesendet. Im Vorfeld des Festivals strahlte der Norddeutsche Rundfunk eine sechsteilige Sendung über den Deutschen Tonkünstlerverband mit einem umfangreichen Interview mit der Präsidentin Prof. Dr. Inka Stampfl aus. Teile dieser Sendung wurden auch von anderen Rundfunkanstalten übernommen. Rechnet man die Publizität der anderen 86 Konzerte hinzu, so läßt sich ermessen, wie sehr dieses Festival zur Bekanntheit des Deutschen Tonkünstlerverbandes beigetragen hat.
Doch ebenso wichtig waren die Empfänge, die im Anschluß an die fünf zentralen Konzerte von den dortigen Landesregierungen – mit Ausnahme Bayerns – und dem Deutschen Tonkünstlerverband gegeben wurden. Zu diesen Empfängen waren wichtige Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur geladen.
Hohe Mitglieder der Regierungen, Christine Lieberknecht, Ministerin für Bundesangelegenheiten in Thüringen, Ilse Brusis, Ministerin für Kultur in Nordrhein-Westfalen, Staatsrat Dr. Knut Nevermann in Hamburg, Dr. Wolfgang, der Leiter des Kulturamtes der Stadt Stuttgart, Ministerialrat Gerhard Düchs vom bayerischen Kultusministerium, der Passauer Landrat Dorfner und der Präsident des Bayerischen Musikrates Prof. Dr. Alexander L. Suder hielten Ansprachen oder bestellten Grußworte zum 150jährigen Bestehen des Deutschen Tonkünstlerverbandes.
Die Präsidentin des Tonkünslterverbandes, Prof. Inka Stampfl, wies bei den Empfängen und zu Beginn der Konzerte mit großem Engagement auf die Leistungen, die Bedeutung und die zukünftigen Ziele des Deutschen Tonkünstlerverbandes hin. In zahlreichen Gesprächen konnten Kontakte geknüpft werden, die bei der zukünftigen Durchsetzung der kulturpolitischen Anliegen des Deutschen Tonkünstlerverbandes von hohem Wert sind.
Franzpeter Messmer