Body
Noch’n Musikfest. Es gibt doch schon zuviel davon. Jedes Kaff holt sich irgendeinen Musiker irgendeines Sinfonieorchesters, einen Musikhochschulprofessor oder eine Lehrkraft irgendeiner Musikschule, der mit seinen Kollegen und mit denen, von denen man sich künftig Engagements bei Aushilfen, Muggen und wiederum neuen Festivals erhofft, ad-hoc-Kammermusikgruppen bildet, die den Eindruck erwecken, als hätten sie bereits zu Zeiten der Brüder Busch oder der Konzerte am Meininger Hof bestanden.So erfreut sich beispielsweise der Urlaubsort eines bekannten Politikers, St. Gilgen, vermeintlich künstlerisch renommierten Zuspruches von Musiklehrern und freien Musikern aus der Wuppertaler Region, ein sogenanntes „Internationales Musikfestival“, tingelt mit Geisterlogo durch Feudalbauten in Nordrhein-Westfalen und schafft nicht selten ein entgeistertes Publikum, das Rheingau-Festival franst immer mehr eventorientiert ins Kulinarische aus. Tourismus- und Wirtschaftsförderung machen sich heute geschäftstüchtig das internationale Kaufkraftgefälle zunutze, engagieren gute Musiker und Musikerinnen aus Osteuropa und kreieren dadurch immerhin manchesmal Programme, die nicht unbedingt in der Werkauswahl, aber doch im Interpretationsniveau überzeugen.
Zusammenwirkende Kräfte
So weit, so böse. Eigentlich braucht man also kein neues Festival. Aber manchmal kommt es fast von alleine. Es wirkt im Entstehungsprozeß schon überraschend, wenn günstige Umstände aus der Keimzelle einer Idee viele zusammenwirkende Kräfte entwickeln, die ein Kammermusikfest im ersten Anlauf zu einem organischen Ganzen wachsen ließen:
ein stimmiges Programmkonzept mit Werken von Barock bis Avantgarde, die spannungsvoll zueinander in Beziehung gesetzt wurden:
die Spannung und Verbindung von Natur und Kultur – der waldreichen Berge und Talsperren der Rureifel, des malerischen Ortes Heimbach und des großartigen Veranstaltungsraumes, der Turbinenhalle eines Jugendstilkraftwerkes von 1904, einer Kathedrale der Industriekultur, mit der spannungsvollen und spannend gebotenen Musik;
international renommierte, überwiegend junge Künstler in bisher noch nicht gehörter Spielkombination und eine durch die Konzerte in der Kraftwerkshalle wie durch öffentliche Proben im Palas der Burg Heimbach geschaffenes intensives musikalisches Gesamterlebnis;
die ehrenamtliche Tätigkeit und der Idealismus der handelnden Personen des veranstaltenden Vereines in allen organisatorischen Fragen;
die Professionalität des Medienpartners Deutschlandfunk sowie eines Dürener Design-Büros in Fragen der Gestaltung der Printmedien und der Öffentlichkeitsarbeit;
Zuwendungen seitens der öffentlichen Hand vom Ministerium für Stadtentwicklung, Kultur und Sport und von der Stiftung Kunst und Kultur des Landes NRW und die technisch-organisatorische Unterstützung seitens der Stadt Heimbach und des Kreises Düren;
engagiertes Sponsoring von RWE Energie als Veranstaltungspartner und von vielen weiteren privaten Förderern aus der Region und auch überregional, wodurch die Eintrittspreise sehr moderat gehalten werden konnten.
Spezielle Spannungen
Dieses neue Kammermusikfest trägt also aus diesen vielfältigen Aspekten mit gutem Grund den Titel „Spannungen – Musik im Kraftwerk Heimbach“. Und – es boomt. Mit dem beträchtlichen Zulauf beim ersten Fest Anfang Juni diesen Jahres (man war gezwungen, bei allen Konzerten sogar Stehplätze zur Verfügung zu halten) hatten die Veranstalter nicht gerechnet. Ein weiteres Konzert (SPANNUNGEN special) am 11. September mit den Principles des Los Angeles Philharmonic Orchestras und Lars Vogt war ohne separate Werbung lange vor dem Konzerttermin ebenfalls ausverkauft. Auch für das nächste Kammermusikfest vom 7. bis 13. Juni 1999 stellen viele Kartennachfragen bereits jetzt die Veranstalter vor das Problem, im begrenzten Raum noch zusätzliche Plätze zu schaffen. Immerhin, die Kosten der Kammermusikwoche sind nicht davongelaufen, durch den überaus hohen Publikumszuspruch waren die Eintrittseinnahmen höher als erwartet.
Seine Entstehung verdankt dieses kammermusikalische Ereignis der Idee seines künstlerischen Leiters Lars Vogt, und dem Zusammentreffen mit dem Vorstand des Vereins der Freunde und Förderer von Kunst und Künstlern im Kreis Düren e.V., der (trotz seines umständlich wirkenden Namens) diese Vorstellung eines Kammermusikfestes spontan aufgriff, zu einem schlüssigen Veranstaltungskonzept entwickelte sowie die Finanzierung und die organisaorisch-technischen Rahmenbedingungen der Veranstaltungsfolge gewährleistete. Die Aufgabenteilung war schnell gemacht. Zwei Mitglieder hielten ständigen Kontakt zu Lars Vogt und den anderen Künstlern und sorgten für deren ständige, doch dezente Betreuung. Die Kreisverwaltung Düren stellte das notwendige Verwaltungsbacking, die Stadt Düren den Kartenvertrieb, die Stadt Heimbach den Transportdienst, Feuerwehr und Sanitätsdienst. Mitglieder des Vereins sorgten für die technisch-organisatorischen Voraussetzungen mit Podesten, Stühlen, Auf- und Abbau, Abendkasse und Programmverkauf, Werbung und Plakatverteilung, Beschallungstechnik, Fahrdienst für Künstler, Fahrzeugsponsoring, Programmheftkonzeption, und und und ...
Prominente Künstler
Zu dieser reichen Musikwoche kamen Tabea Zimmermann, Marie Luise Neunecker, Antje Weithaas, Tatjana Masurenko, Truls Mørk, Boris Pergamenschikow, Christian Tetzlaff, Alexej Lubimov, Michael Collins, Konrad Beikircher und natürlich Lars Vogt. Auf dem Programm des Anfangskonzertes standen das C-Dur-Terzett von Dvorák, die Hornsonate von Hindemith, Brahms Klarinettenquintett, Contemplation von Ysang Yun im ersten Konzert. Im zweiten Konzert wurde die Uraufführung der Auftragskomposition von Spannungen an Volker David Kirchner, „Il Canto della Notte“, und seine Tre Poemi Beethovens Streichtrio op. 9 und dem Geistertrio gegenübergestellt. Werke von Schumann und Kurtágs Hommage á Robert Schumann korrespondierten im dritten Konzert, dessen Abschluß durch das 15. Schostakowitsch-Quartett im abgedunkelten Kraftwerk zwischen den großen Maschinen eine noch intensivere Atmosphäre entstehen ließ. Zu Galina Ustvolskayas Grand Duet im vierten Konzert (finden Sie mal am Samstag in der Eifel noch ein spontan benötigtes Cellopodest mit ausreichender Resonanz für das Stück) trat Mozarts Klavierquartett KV 478 und Brahms G-Dur-Sonate für Violine und Klavier. In der Matinee am Sonntag ließ Christian Tetzlaff die Zuhörer, trotz gerissener und neu aufgezogener Saite, in atemloser Spannung eine Bachsche d-Moll-Partita erleben, gefolgt von Schuberts Es-Dur-Klaviertrio. Der Abschlußabend führte über die Sonate für Cello und Klavier op. 102 von Beethoven und Mozarts Kegelstatt-Trio zu einem sagenhaft dicht musizierten f-Moll-Klavierquintett von Brahms.
Pläne für die Zukunft
Für das nächste Jahr sind als Höhepunkte des Programms Strawinskys Geschichte vom Soldaten mit Klaus Maria Brandauer geplant, Olivier Messiaen ist mit seinem Quattuor pour la fin du temps vertreten, das A-Dur-Klavierquintett von Dvorák und das c-moll-Klavierquartett von Brahms. Zu den Musikern, die bereits in diesem Jahr in Heimbach konzertiert haben, kommen 1999 hinzu: Kim Kashkashian, Isabel van Keulen, Alfredo Perl, Leonidas Kavakos, Alban Gerhardt und Nikolai Schneider, Sergej Leiferkus und Semjon Skigin, Hakan Hardenberger, Peter Riegelbauer und Stefan Rapp.
Vernetzung von Aktivitäten
Der Hausherr des Kraftwerks, die RWE Energie AG, hat in entgegenkommender Weise das Kraftwerk über eine Woche hinaus zur Verfügung gestellt, auch engagiert mit technisch versiertem Personal geholfen – es mußten beispielsweise zur akustischen Verbesserung umfangreiche textile Abhängungen im Strebewerk der Saaldecke vorgesehen werden – , und als Veranstaltungspartner und Hauptsponsor einen erheblichen finanziellen Beitrag geleistet. Der Deutschlandfunk stellte den Flügel und hat alle Konzerte aufgezeichnet und gesendet. Die Firma Ibach stellte den Flügel für die öffentlichen Proben auf Burg Heimbach, die Ford-Werke Fahrzeuge und so weiter. Alle Sponsoring-Leistungen halfen natürlich, die Kosten zu begrenzen.
Hinzu kam, daß man von Seiten der Landesregierung ein neues Programm initiiert hatte, das regionale Strukturförderung aus kulturpolitischem Blickwinkel heraus unterstützen soll. Dieses Feld der „Regionalen Kulturpolitik“ sieht einen Schwerpunkt in der Vernetzung von Veranstaltungsaktivitäten in einer Region, daher hat Spannungen bereits bei der ersten Konzeption einige pre-concerts vorgesehen, so einen Klavierabend in Düren, ein Konzert auf der Landesgartenschau in Jülich und eine Art Werkstattkonzert in dem noch umzubauenden Kloster Haus Hohenbusch bei Erkelenz – alles in der Kulturregion Aachen.
Die Stiftung Kunst und Kultur des Landes hat den hohen künstlerischen Stellenwert der Konzertfolge erkannt und eine bedeutende einmalige Anschubfinanzierung bereitgestellt. Landschaftsverband Rheinland, Kreissparkasse, eine private Stiftung, die Gesellschaft für Industrieforschung (mit der Finanzierung der Auf- tragskomposition), zahlreiche Unternehmen aus dem Kreisgebiet mit Geld- und Sachleistungen (vom Teppich bis zu großen Stoffbahnen) halfen ebenso wie viele weitere Partner, das Kammermusikfest zu einer runden Sache werden zu lassen. Fazit: Aus der Begeisterung einiger weniger Mitglieder eines Vereins, der sich sonst nur um regional begrenzte Veranstaltungen mehrerer Kunstsparten kümmert, werden schnell auch weitere Partner für ein solches Festival internationalen Zuschnitts gewonnen, zumal wenn das Fest in gewisser Weise als Geheimtip gilt und Mundpropaganda zu einem Run auf die Karten führt.