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Moderne Notation im Lebensalltag. Foto: Hufner
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Absolute Beginners
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Eines der Hauptthemen meines Unterrichts ist ein ganz und gar kunstfremdes: die Notation von Musik. Daher fühle ich mich manchmal wie ein Literaturprofessor, der vor allem über Rechtschreibung reden muss.

Früher war Notation auch Gegenstand des Unterrichts, aber es lag kein besonderer Fokus darauf. Die Notation von Musik ist eine über viele Jahrhunderte gewachsene und sich ständig weiterentwickelnde Schriftsprache, die es locker mit der Komplexität von chinesischen Schriftzeichen aufnehmen kann. Was daran spannend ist: Es ist eine universale Sprache, zu der viele Kulturen beitrugen. Jeder Komponist entwickelt zudem seine ganz eigene Zeichenschrift, mit eigenen Vorlieben, Auslassungen und Modifikationen. Und genau wie bei gesprochener Sprache gibt es Lautverschiebungen und Bedeutungsveränderungen.

Die „Orthographie“ von Musik wurde in den letzten Jahrhunderten vornehmlich durch die Drucklegung und damit durch die Kunst des Notensatzes bestimmt. In manchen Dingen gibt es tatsächlich daher ein „richtig“ oder „falsch“, andere wiederum sind Frage der Auslegung oder sogar eines nationalen Stils. Letztlich hat aber Notensatz vor allem ein Ziel: es dem ausübenden Musiker zu ermöglichen und zu erleichtern, die vom Komponisten erdachte Musik umzusetzen. Leider sind Komponisten hierbei oft eher Verhinderer als Ermöglicher, denn man kann Musik so unpraktisch notieren, dass eine fehlerlose Darbietung unmöglich wird. Das kann sehr frustrierend für die ausübenden Musiker sein, und schafft den Komponisten nicht gerade Freunde.

Dass dies so ist, hat vor allem mit der Komplexität von Notenschrift zu tun, bei der nicht nur die Abfolge von Zeichen sondern auch deren genaue Positionierung auf mehreren vertikalen und horizontalen Ebenen wichtig ist. Zudem kann man ein und dasselbe auf hundert verschiedene Weisen notieren – es gibt also nicht nur ein „richtig“, dafür aber sehr, sehr viel, was „falsch“ sein kann.

Warum aber tun sich besonders heutige Studenten so schwer damit? Das hat mit dem Aufkommen des Computer-Notensatzes zu tun. Heutige Notenprogramme ermöglichen das Eingeben von Musik auf eine Weise, die es dem User vorgaukelt, alles „richtig“ zu machen. So ist es unmöglich, zu viele Notenwerte in einen Takt zu schreiben, da der Computer ausrechnet, wie viele darin Platz haben. Das heißt aber nicht, dass diese Notenwerte auch die richtige Abfolge haben. Man kann einen simplen 4/4-Takt ohne große Probleme so notieren, dass niemand ihn mehr verstehen kann, aber für den Computer ist er „richtig“. Das betrifft auch die Enharmonik – ich habe Partituren gesehen, in denen immer nur genau die Vorzeichen stehen, die der Computer bei der Eingabe über ein Keyboard als die wahrscheinlichsten annimmt, und genau da täuschen sich Computer gerne und oft.

Notensatzprogramme haben vieles ermöglicht und die Komponisten in vielerlei Weise befreit, da man nun in der Lage ist, ohne einen Verlag professionell „gedruckte“ Noten in Heimarbeit herzustellen. Noch besser: Man kann diese Noten elektronisch versenden, was die Wege zwischen Komponisten und Interpreten verkürzt. Der Zeitaufwand für Stimmenherstellung hat sich enorm reduziert. Gleichzeitig ist aber das Wissen um die Regeln des Notensatzes auf dem niedrigsten Stand seit langem. Das verwundert nicht – früher standen Komponisten Experten (Notensetzer) zur Seite, die sich hauptberuflich mit der Präsentation ihrer Musik beschäftigten, heute müssen die Komponisten diese Rolle selber noch zusätzlich übernehmen. Und da fehlt es ihnen schlicht und einfach an Handwerk und Fachwissen.

Und so stehe ich Woche für Woche da und erkläre Komponisten mühsam die Orthographie ihrer eigenen Sprache. Und das ist meine Verantwortung, zumindest solange Musik noch von Menschen gespielt wird. Möge es noch ein Weilchen so sein.

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