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Walter Zimmermann. Lokale Musik. Mode
Walter Zimmermann. Lokale Musik. Mode
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Skulpturales Erbe

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Neue CDs neuer Musik, vorgestellt von Dirk Wieschollek
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Neue Musik von und mit: Walter Zimmermann, Evan Johnson, Ensemble Musikfabrik, Carola Bauckholt, Sampo Haapamäki, Martin Smolka.

Das Ensemble Musikfabrik ist der Gralshüter des künstlerischen Vermächtnisses von Harry Partch und verfügt über einen vollständigen Nachbau seines einzigartigen Instrumentariums. Damit wird aber nicht nur moderne Traditionspflege betrieben. Regelmäßig vergibt die Musikfabrik Auftragskompositionen, in denen Partchs Klangskulpturen mit ihren ganz eigenen perkussiven und mikrotonalen Qualitäten  weiterleben dürfen. So manch ein Komponist stürzt sich da mit verständlichem Spieltrieb in die Möglichkeiten dieser Schätze des Instrumentenbaus. Sampo Haapamäki beispielsweise, dessen „Heritage“ (2016) in energetischen Wellen eine archaisch-ritualhafte Klangwelt inszeniert, gespickt mit illustren Urlauten der Musiker. Weniger verspielt kombiniert Martin Smolka ausgewählte Partch-Objekte mit dem konventionellen Instrumentarium. In „Wooden Clouds“ (2017/18) konfrontiert er kantige Bläser-Motive mit fahlen Streicher- und weichen Marimba-Klängen. Ein Stück, das in seiner extremen Materialökonomie, Kontrastdramaturgie und grellen Farbigkeit stark an Coriún Aharonián erinnert. Wunderbar schräg nutzt auch Carola Bauckholt Partchs klangfarbliche Steilvorlagen: In „Voices for Harry Partch“ (2014/15) lässt sie den Komponisten im Rahmen einer geräuschträchtigen Maschinerie auch selbst zu Wort kommen. Aber nicht nur ihn: ein Kölner Knabe erzählt uns in lupenreinem Rheinisch vom Angelglück im Fühlinger See. Ein Alltags-Fundstück, das sich mit den instrumentalen Loops vielleicht einen Tick zu oft im Kreis herumdreht. (Wergo)

Evan Johnson schreibt eine Musik, die auf bemerkenswert produktive Weise zwischen Undeutlichkeit und Präzision changiert. Seine mit zirzensischer Detailgenauigkeit ausformulierten Partituren würden Brian Ferneyhough vor Neid erblassen lassen und strahlen dennoch eine bemerkenswerte Leichtigkeit aus. Dazu bedarf es natürlich Musikern wie Carl Rosman und Richard Haynes, die in „Apostrophe 1 (All communication is a form of complaint)“ (2007/08) in der Lage sind, zwei ineinander verschlungene Bassklarinetten im fünffachen Pianissimo 25 Minuten lang minutiös auszudifferenzieren. Aber nicht nur instrumental begegnet bei Johnson ein Klanggeschehen, dass gerade auf der Schwelle von Gestalt und Auflösung seinen Ort hat. In der Vokalkomposition „Colophons“ (2006) agiert das Vokalensemble EXAUDI mit ziselierter Ornamentik auf einem brüchigen Klangband der Violine. „Positioning in Radiography“ (2007) baut als Stück für drei Toy-Pianos an einer Mechanik, deren alleiniger Sinn es zu sein scheint, Störungen und Unregelmäßigkeiten zu produzieren. (Kairos)

Walter Zimmermann zählt zu denjenigen Komponisten, die immer gern missverstanden wurden und dessen Bedeutung leider in krassem Missverhältnis zur Intensität gegenwärtiger Rezeption steht. Als er Ende der 1970er-Jahre seine „Lokale Musik“ konzipierte, sah sich der Komponist in Avantgarde-Kreisen dem Vorwurf einer reaktionären Ästhetik ausgesetzt. Nun ermöglicht die erweiterte Neuauflage der ursprünglichen LP-Box von 1982 die Wiederbegegnung mit dem vierbändigen Zyklus, der auf intensive Studien der Volksmusik von Zimmermanns fränkischer Heimat zurückgeht. Eine editorische Glanztat von mode. Zur Entstehungszeit musste das Werk schon deshalb verstören, weil sich der Umgang mit dem volksmusikalischen Material gar nicht mal „ironisch“ verstand, sondern als Hommage an seinen Gegenstand, inklusive der Namen von Gesteinsformationen, „Rodungen und Wüstungen“ oder elementarer „Erd-Wasser-Luft-Töne“, wo Klaviersaiten zur Dämpfung mit Tonerde belegt werden. Vor allem aber analysierte, filterte, zerlegte und setzte Zimmermann sein Material in formelhaften Repetitionszellen auf faszinierende Weise wieder neu zusammen. Ein folkloristisches Kaleidoskop, das in den „Ländler Topographien“ für Orchester hypnotische Qualitäten entwickeln kann. Eine Musik, deren strukturelle Vergeistigung schließlich in „Wolkenorte“ mit zerstäubten Harfenklängen und Worten von Meister Eckhart ein transzendentalistisches Eintauchen in die Natur propagiert. (mode, 3 CDs) 

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