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Festivals – eine ganz eigene, eigentümliche Atmosphäre… Foto: Martin Hufner
Festivals – eine ganz eigene, eigentümliche Atmosphäre… Foto: Martin Hufner
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Temporäre Herberge für Gedanken und Empfindungen

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Eine Umfrage zur Bedeutung von Festivals der neuen Musik · Von Rainer Nonnenmann
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Fordert die grassierende „Festivalitis“ nicht ein Umdenken, zumal angesichts von Corona? Binden Festivals nicht zu viele Ressourcen an Zeit, Geld, Personal, Technik, Werbung, die dann an anderen Stellen fehlen? Profitieren lokale und nationale Szenen nicht eher von festen eigenen Konzertreihen, kleinen Clubs, Studios und Off-Orten? Diese und weitere Fragen (siehe Seite 1) hat Rainer Nonnenmann für die nmz an knapp 20 Persönlichkeiten der „Neue-Musik-Szene“ gestellt. Hier die Antworten, in umgekehrter alphabetischer Reihenfolge:

Dirk Wieschollek

Beim letzten Festival, das ich prä-pandemisch besuchen durfte, wurde ich gefragt, ob ich „der Tubist“ sei. Die übliche Frage lautet aber: „Sind Sie auch Komponist?“ Da ich beides nicht bin, sondern meist ein professionell deformierter Beobachter des Geschehens, beobachte ich regelmäßig, dass Festivals selbstreferentielle Systeme sind, wo eine Menge Leute zusammenkommen, die etwas voneinander wollen oder (eben deshalb) voreinander weglaufen. Früher hatten ungefähr 98,7 Prozent der Besucher eines Festivals mit einem Festival zu tun. Das hat sich stark zum Besseren verändert. Ein gutes Festival ist für mich eine Institution der Ermöglichung und Begegnung. Das Gute und Erregende daran ist immer zugleich das Schlimme und Enervierende: Ein Überangebot an Mensch und Kunst auf engstem Raum, das am besten drei bis fünf Tage dauert. Niemand kann sich zehn Tage lang von Laugenbretzeln ernähren.

Dirk Wieschollek ist Musikjournalist

Manos Tsangaris

Es ist schwierig über Festivals im Allgemeinen zu sprechen, dazu sind sie landauf, landab zu unterschiedlich. Die meisten, mit denen ich zu tun habe, sind unverzichtbare Laboratorien für Versuchsanordnungen, die kaum oder gar nicht in fixen Institutionen möglich wären. Viele meiner eigenen Werke waren immer schon auf die besonderen Möglichkeiten der einschlägigen Festivals für zeitgenössische Musik angewiesen. Wo sonst könnte man mit den Bedingungen der Aufführung, die zum Werk gehören, vergleichbar flexibel experimentieren? Das gilt auch für die Münchener Biennale für neues Musiktheater, die ich seit 2016 gemeinsam mit Daniel Ott künstlerisch verantworten darf. Auch hier sind Fragstellungen, die das Grundsätzliche des Metiers in den Blick nehmen und produktives Scheitern als Lern-Möglichkeit (für die Kunstschaffenden, für uns, fürs Publikum) billigend mit einkalkuliert. Jene Ereignisse aber, die gelingen, sind dann umso nährstoffreicher und maßgeblicher für alle Seiten.

Manos Tsangaris ist Komponist und zusammen mit Daniel Ott Künstlerischer Leiter der Münchener Biennale für neues Musiktheater

Clemens K. Thomas

Ich möchte einen Wunsch formulieren, den Folkert Uhde bei „seinen“ Köthener Bachfesttagen umsetzt: Festivals als Ort der Zusammenkunft, des Austauschs und letztendlich der Community-Bildung. Und mit Community meine ich hier eine lokale Community, keine eingeschworene Praxisgemeinschaft. Wenn neue Musik den Anspruch hat, die Gegenwart zu begleiten und zu reflektieren, wenn neue Musik auch ein gesellschaftspolitisches Statement ist, dann gilt es, eine Kultur des sensiblen Zuhörens, einen produktiven Umgang mit Differenzen und eine lustvolle und angstfreie Auseinandersetzung mit Komplexität miteinander zu teilen. Ich wünsche mir also mehr Festivals, bei denen man mit der lokalen Bevölkerung in Kontakt kommt, wenn im Konzert und beim Bier danach alltägliche Fragen verhandelt werden. In einem Satz: Bitte mehr Bottom-up-Festival-making!

Clemens K. Thomas ist Manager des ensemble recherche

Frank Reinisch

Es kann demnächst wieder nicht genug Neue-Musik-Festivals in jeder denkbaren Konzeption geben und zudem auch weitere Konzertreihen, die wieder für die lokalen Rezeptionen von immenser Bedeutung sind. Und zur „Festivalitis“ – ja, die Neue Musik hat profitiert, sowohl durch Neugründungen als auch zunehmend durch Öffnungen vormals tradierter Veranstalter. Andererseits aber gab es Einbußen: die Klangkörperfusionen und – langfristig – ein überwiegend stillschweigendes Verschwinden von Fes_tivals (Hannover, Saarbrücken), Wegfall von lang gepflegten Neue-Musik-Feldern (Rheingau Musik Festival) und aus Sicht des Verlags, der auf komponierte Opuswerke setzt, Reduktionen, wo sich ehedem orthodoxe Konzertformate boten (Hellerau, MaerzMusik, Steirischer Herbst). Schon vor Corona war kein Grund zur Euphorie.

Frank Reinisch ist Lektor für Neue Musik bei Breitkopf & Härtel

Leonie Reineke

Festivals für neue Musik sind wichtig. Sie verleihen dem zarten Pflänzchen der Gegenwartskunst oft mehr Aufmerksamkeit als die unauffälligen Einzelkonzerte im geschäftigen Treiben eines Stadtlebens. Wo ein Konzert schon wieder vorbei ist, bevor der Kopf überhaupt dort angekommen ist, bilden Festivals ihre ganz eigene, eigentümliche Atmosphäre aus. Ein Festival ist eine temporäre Herberge für die Gedanken und das Empfinden: Man wird gefordert und ist gleichzeitig geborgen. Die Neue-Musik-Szene sollte aber aufpassen, dass sie diese Eigenschaft nicht überstrapaziert – dass sie sich nicht einigelt mit den immer gleichen Namen auf den Programmen. Sondern dass sie wirklich nach Neuem, nach Besonderem sucht, anstatt Entdeckungen herumzureichen und einen Personen­hype nach dem anderen zu produzieren.

Leonie Reineke ist Musikjournalis­tin und Redakteurin für Neue Musik beim SWR

Uwe Rasch

Ja, es soll weiterhin Festivals geben und zwar mit dem Hauptargument, das im Fragenkatalog gänzlich fehlt: man organisiert ein Fest. Man schafft einen Treffpunkt zum gemeinsamen Feiern, bei dem man, ausgehend von den angebotenen Konzerten und sons­tigen Veranstaltungen, miteinander spricht, isst, trinkt, sich ärgert und lacht.

Man feiert die meist fabelhaften Musiker, bringt möglichst alle Gäste miteinander ins Gespräch, feiert die Lebendigkeit des Angebotenen und kann bei Misslungenem Trost spenden oder kollegial zusammen überlegen, woran es gelegen hat. Ein Festival auf die Beine zu stellen, heißt, man schafft einen Raum für eine intensive Zeit, die mit verstreuten Einzelkonzerten nicht erreicht werden kann. Man organisiert sich und anderen „Freude“. Das ist meine Erfahrung nach dreißig Jahren ehrenamtlicher Festivalmacherei. Hätten wir keine Freude an dem, was wir tun, hätten wir es lange schon aufgegeben.

Uwe Rasch ist Komponist und Mitglied der projektgruppe neue musik bremen

Julia Mihály

Ich halte Festivals grundsätzlich für eine wichtige Ergänzung zu Konzert­reihen und regelmäßig stattfindenden Aufführungsformaten. Sie funktionieren innerhalb eines solchen Umfelds als überregionaler Magnet und Treffpunkt von Szenen. Je nach Größe oder Renommee eines Festivals ist hier mal mehr, mal weniger Raum für Nachwuchskünstler*innen vorhanden. Experimente finden eher im Off-Bereich statt, also seltener auf repräsentativen Hochglanz-Festivals. Die Konsequenz daraus bedeutet, dass für Experimente weniger Geld da ist als für Produktionen, mit denen man in sicherem Fahrwasser fährt. Aus meiner Erfahrung heraus würde ich mir bei Neue Musik Festivals mehr Sensibilität dafür wünschen, dass performative Formate oftmals mit Produktionskosten verbunden sind, die nicht vom Kompositionshonorar finanziert werden sollten.

Julia Mihály ist Composer-Performerin

Daniel Mennicken

Neue-Musik-Festivals können eine wunderbare Sache sein, wenn in der Summe mehr dabei herauskommt als nur eine Aneinanderreihung von Konzerten. Vor allem indem Festivals einen Raum für Begegnung und Austausch schaffen, leisten sie oft mehr als Einzelveranstaltungen. In Sachen Effizienz und Wahrnehmung sind sie bei Veranstaltern wie Förderern gleichermaßen beliebt, bei Kurator*innen sowieso. Einer künstlerischen Weiterentwicklung oder gar Profilbildung von Ensembles und Einzelkünstler*innen stehen sie dagegen fast schon per se im Wege. Das Korsett des Festivals lässt oftmals keinen Spielraum für Individuelles. Genau deshalb sind Reihen und selbstgeplante Konzerte für freie Musiker*innen mindestens genauso bedeutend. Ansonsten stagniert die Szene und der Festivalbetrieb dreht sich um sich selbst.

Daniel Mennicken ist Geschäftsführer des ON – Neue Musik Köln e. V

Barblina Meierhans

Die Anzahl an Festivals wächst und wächst. Festivalbesuche ermöglichen mir, dicht in ein bestimmtes Musikgenre einzutauchen. Ein Querhören durch die aktuelle Musiklandschaft ist dadurch nicht gegeben, aber ich erhalte den Eindruck einer Grundstimmung, zumindest für den Moment. Die Herausforderung, mit einem Werk kompositorisch mitzuwirken, ist dabei eine wichtige Erfahrung, meine eigene Arbeit in einen unmittelbaren Kontext zu stellen. „Festivals sind Schaufenster“, entsprechend ist man ausgestellt. Der Druck ist groß, innerhalb einer fachspezifischen Umgebung etwas zu kreieren. Es braucht Mut, auch mal etwas Anderes zu präsentieren, das nicht in den konventionellen Kanon einstimmt. Ein Risiko? Wie frei die Entscheidungen der Festivalleitungen wirklich sind, weiß ich nicht. Ich schätze inhaltliche Risikobereitschaft. Etwas zu versuchen, scheint mir elementar, damit Neues entstehen kann. Offenheit fordert auch uns Zuhörer: Die Ohren, trotz Dichtestress, frisch halten!

Barblina Meierhans ist Komponistin

Mathias Lehmann

Die zeitgenössische Musik ist so vielfältig und das Interesse an ihr so groß, dass man ihre verschiedenen Darstellungsformen nicht gegeneinander ausspielen sollte. Ich möchte weder auf große internationale noch auf kleine regionale Festivals verzichten, weder auf Einzelkonzerte noch auf Reihen. Wenn ich aber darüber nachdenke, was mich immer wieder motiviert, Musikfestivals als Ganzes zu besuchen und mir nicht nur gezielt ein oder zwei Konzerte herauszupicken, so ist es die Lust darauf, mich überraschen zu lassen. Selten kenne ich, wenn ich ein Musikfestival besuche, wirklich alle Komponist*innen, die gespielt werden oder alle Ensembles, die dort auftreten. Und manchmal passiert dieser beglückende Moment, dass man aus einem Konzert herausgeht und ein Ensemble oder eine/n Komponist*in für sich entdeckt hat, zu deren Einzelkonzert man sonst nie gegangen wäre.

Mathias Lehmann  ist Geschäftsführer der Edition Juliane Klein

Lucia Kilger

Festivals tragen die Chance in sich, Kunst, Künstler*innen und deren Publikum aus unterschiedlichsten Teilen der Welt an einem Ort oder in einem Event zusammenzubringen und eine bestehende Szene frisch zu durchmischen. Selbst wenn es viele Festivals gibt, so hat doch jedes eigene Schwerpunkte, ein eigenes Flair und unterscheidet sich vom jeweils anderen. Somit hat meiner Meinung nach jedes Festival seine Existenzberechtigung.

Inzwischen werden auch verstärkt alternative Festival- und Konzertformate umgesetzt. Eine Verlagerung ins Virtuelle muss Überlegungen nach sich ziehen, welches Setup in welchem Medium funktioniert. Optimalerweise fließen diese von Beginn an in den Kompositionsprozess mit ein. Digitale Plattformen und virtuelle Formate schaffen so zusätzliche künstlerische Treffpunkte.

Lucia Kilger ist Komponistin und Stipendiatin der Internationalen Ensemble Modern Akademie

Gregor Hotz

Festivals können fantastische Erlebnisräume schaffen! Die Spiel- und Hörroutinen aller Partizipierenden zu verändern, ist oft erklärter Anspruch. Den lösen zurzeit vor allem die kleineren Festivals ein, mit einer gut dosierten Mischung aus Eventisierung und Entschleunigung. Denn die lässt viel Platz für kollektive Produktionsprozesse und diverse Präsentationsformen. Festivalteams erfinden laufend neue Formate, von der Unterwasser-Installation bis zum interaktiven Computerspiel. Zeitgemäße Festivalförderung heißt für mich, produktive Freiräume für ein gemeinsames Arbeiten zu ermöglichen, kommerziellen Erfolgsdruck abzufedern, in neuen Netzwerken zu denken und gemeinsam mit dem Publikum packende Hörräume zu kreieren – sowohl im ländlichen Raum als auch in den Metropolregionen.

Gregor Hotz ist Geschäftsführer des Musikfonds

Markus Hechtle

„Festivalblick, der“, kann sich bei Besucher*innen von Musikfestivals einstellen, die beruflich mit Musik zu tun haben oder zu tun haben wollen. Der Festivalblick ist vornehmlich in Foyers von Konzertsälen zu beobachten und charakterisiert sich durch ein nervöses Flackern. Ursächlich dafür ist der Zwang, neben den jeweiligen Gesprächspartner*innen stets das gesamte Publikum im Blick haben zu müssen (auch vom Gebrauch von Handspiegeln wird berichtet, offenbar zur Vermeidung des berüchtigteren Festivalschulterblicks), um die aktuellen Gesprächspartner*innen gegebenenfalls durch wichtigere ersetzen zu können. Die Erregungsstärke verhält sich proportional zur Ambition der Betroffenen, pathologische Relevanz besteht nicht, mit Ende des Festivals verschwinden die Symptome meist vollständig.

Wachsender persönlicher Erfolg lässt das Phänomen seltener auftreten, Spätfolgen sind jedoch nicht auszuschließen. (Vorabdruck aus: Markus Hechtle, „Kleinstlexikon der Festivalpsychologie“, Köln 2023, i.V.)

Markus Hechtle ist Komponist und Kompositionsprofessor an der Hochschule für Musik Karlsruhe

Björn Gottstein

Natürlich bündeln Festivals Ressourcen. Aber indem sie das tun, schaffen sie Möglichkeiten, die es sonst kaum gibt. Wir werden dann Zeuge eines paradigmatischen Ereignisses, das unser Verständnis von Musik nachhaltig verändert. Dazu ist es auch notwendig, dass das Publikum diesen Augenblick gemeinschaftlich erlebt und eine kollektive Erinnerung daran herstellt. Erst dadurch wird er geschichtsträchtig. Das mag etwas hochtrabend daherkommen. Es ist sicher nicht als Kritik an Konzertreihen gemeint, die andere, dem musikalischen Alltag und dem Repertoire dienende Aufgaben erfüllen. Denke ich an meine Zeit als Donaueschinger Konzertgänger zurück, so erinnere ich mich an „felt | ebb | thus ...“ von Benedict Mason, an „limited approximations“ von Georg Friedrich Haas, an „Fama“ von Beat Furrer, an „Stasis“ von Rebecca Saunders und viele andere Werke mehr, die mein Hören geprägt haben.

Björn Gottstein ist Redakteur für Neue Musik beim SWR und Künstlerischer Leiter der Donaueschinger Musiktage

Stefan Fricke

Festivals Neuer Musik, gerade die mit Uraufführungen, sind essentiell: als ästhetischer (Erst-)Erlebnisort – anderswo ist vieles nicht machbar –, als Bühne von Information, Diskurs, Begegnung, Business. Ebenso wichtig sind die lokalen Einzelveranstaltungen. Seit Jahren wächst der Soziotop Neue Musik zum rhizomartigen Biotop Neuer Musik, einem offenen, sich öffnenden Gefilde mit lebendigem Wildwuchs. Dem stehen aber die „Groß“-Festivals, die gewissen organisatorischen, finanziellen, personellen (= ideologischen) Gesetz- wie Regelmäßigkeiten gehorchen, oft im Weg. Sie binden massiv Geld an sich, das woanders mithin sinnvoller investiert wäre. Um den Status quo zu ändern, bedürfte es veritabler (Selbst-)Kritik von Strukturen und Ideen. Blicke in die fast dreihundertjährige Musikfest-Geschichte könnten helfen.

Stefan Fricke ist Redakteur für Neue Musik/Klangkunst beim Hessischen Rundfunk

Christine Fischer

Ein Festival lebt von einem neugierig empathischen Publikum, das das Zeitgenössische im dichten Gefüge urbanen Kulturlebens nicht missen will, von stolzen Politiker*innen, die das innovative Potential ihres Standorts schätzen, von lokalen Szenen, die sich in seinem Windschatten oder als Gegenpol etablieren, von weltweiten Szenen, die es zur Station ihres Diskurses machen, von glücklichen Künstler*innen, die ihre Singularität im Kontext von Diversität entfalten, von der Entdeckerlust einer internationalen Fachwelt, die Widersprüchen eigene Inspiration abgewinnt, von der Risikofreude der Kurator*innen, die bereit sind, Erwartungen nicht zu erfüllen, und von der Motivation des Teams, das ideale Produktionsbedingungen ermöglicht. Eine Symbiose, ein struktureller Idealfall, der trägt – auch in der Zukunft.

Christine Fischer ist Managerin der der Neuen Vocalsolisten, Intendantin von Musik der Jahrhunderte Stuttgart und Leiterin des Festivals Neue Musik Eclat

Thomas Fichter

Festivals für neue Musik in Deutschland werden – im Gegensatz zu den USA – weitgehend aus öffentlichen Mitteln finanziert. Das ist auch bei den Radiofestivals in Witten, Donaueschingen, Berlin und Stuttgart der Fall. Vor diesem Hintergrund stellt die Musikkritik als Medienvertreter dieser Öffentlichkeit die Frage nach der Wertigkeit einzelner Festivalentscheidungen. Allerdings muss man sich als Festivalleiter*in darum kümmern, wie sich die Programme finanzieren lassen, die man realisieren will. Das heißt, selbst wenn öffentliche oder Stiftungsgelder zu finden sind, lassen diese sich immer doch nur durch überzeugende Projekte und durch den ständigen Einsatz für Kultur bewegen. Geld, das sozusagen von alleine fließt, ist selten zu finden. Wenn also Form, Inhalt und Umfang von Festivals diskutiert werden, dann sollte das – gerade auch in einem Moment, in dem Festivals generell abgesagt oder notgedrungen radikal verkleinert werden – mit aller Vorsicht und Liebe geschehen, die es erlaubt, neue Kunst zu zeigen und Kultur zu erhalten, ohne die Substanz der Plattform Festival selbst anzugreifen.

Thomas Fichter ist Intendant des Ensemble Musikfabrik und Artistic Director des Festivals TIME:SPANS, New York

Farzia Fallah

Auch im Bereich „Electrical Engineering“ finden großformatige Veranstaltungen statt. Auch die Philosophen fahren auf Konferenzen. Geht es tatsächlich um Austausch, ist es wunderbar unter Fachpublikum zu sein. Sprechen wir über Musik, Kunst oder Literatur, brauchen wir aber nicht nur Fachpublikum. Hier geht es vor allem auch um „von Menschen – für Menschen“. Und eben dies verdient mehr Förderung. Die kommunalen, regionalen und staatlichen Mittel reichen nicht aus, um die Mehrheit der Projekte zu unterstützen. Trotz ungesicherter Einkommen und des Risikos von Absagen werden innovative Projekte in der freien Szene geplant, die für Lebendigkeit sorgt und zu experimentieren wagt, direkt hier in der Nähe, da um die Ecke. Und nach Feierabend? Warum nicht ins Konzert, in die Ausstellung oder zu einer Lesung?

Farzia Fallah ist Komponistin und Mitglied des Kollektiv3:6Koeln

Nikolaus Brass

Festivals sind wichtig für:

  • eine gesteigerte Form der gesellschaftlichen Sichtbarkeit der Kunst und der Tatsache, dass diese Kunst auch ein Publikum hat.
  • die „demokratische“ Verankerung einer „elitären“ Kunst in der Gesellschaft durch Trägerschaft von öffentlich rechtlichen Medienanstalten.

Festivals verspielen ihren Kredit, wenn sie nicht mehr sind als:

  • Durchlauferhitzer des und der Immergleichen (Komponist*innen, Ensembles, Interpret*innen).
  • Privat-Domaine in der Hand eines/einer Kurators/Kuratorin mit ermüdender Voraussehbarkeit der Programme.
  • kommerzielles Geben und Nehmen zwischen den Festival-Leiter*innen (spielst du meine Leute, spiel ich deine Leute).

Das Fortschreiten der digitalen Revolution wird wohl die Festivals als gesellschaftliches Desiderat pulverisieren (jeder macht dann sein eigenes Festival).

Nikolaus Brass ist Komponist

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