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Zum letzten Mal am Tatort Neue Musik: Reinhard Schulz bei der Siemenspreis-verleihung in den Münchner Kammerspielen. Foto: Charlotte Oswald
Zum letzten Mal am Tatort Neue Musik: Reinhard Schulz bei der Siemenspreis-verleihung in den Münchner Kammerspielen. Foto: Charlotte Oswald
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Trotz allem für die Musik und ihre Belange glühen

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Mit Reinhard Schulz verliert die Musikkritik einen ihrer kompetentesten und unabhängigsten Vertreter
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Die Kollegen, Freunde, Mitarbeiter in der neuen musikzeitung haben mehr als zwei Jahre mit Bangen und Hoffen Reinhard Schulz in seiner schweren Erkrankung begleitet. Reinhard Schulz selbst war es, der die Hoffnung immer wieder aufflammen ließ. Die Therapien schienen verheißungsvoll. Aber dann wurde die Zeit lang und länger, die Fragen nach dem Befinden leiser, ängstlicher, schonender. Die Wahrheit kann schmerzhaft sein, sie mündet in Stummheit.

Reinhard Schulz hat uns immer wieder durch seinen Optimismus hoffnungsvoll gestimmt. Er nahm unverändert couragiert an allem teil, schrieb seine Kolumnen, seine Schallplattenkritiken, studierte neue Partituren, regte neue Themen an, regte sich unverändert auf, wenn ihn bedenkliche Entwicklungen in der Musik und im Musikleben aufbrachten. Dann glühte er förmlich vor Engagement für die Musik, deren Belange zu verteidigen ihm immer das Wichtigste war. Die Krankheit schien vergessen. Doch dann verließen ihn immer mehr die Kräfte: „Rohde, es geht zu Ende“, sagte er zu mir, als wir uns bei der letzten Siemenspreisverleihung in den Münchner Kammerspielen trafen. Der Komponist Klaus Huber, den Schulz über alles schätzte, war der Preisträger. Da durfte man nicht fehlen. Dann aber ging es doch schmerzlich-schnell zu Ende. Am 24. Juli 2009 ist Reinhard Schulz im Alter von neunundfünfzig Jahren seinem Leiden erlegen.

Der Tod von Reinhard Schulz trifft viele Institutionen schwer, besonders aber die neue musikzeitung, die für ihn über zwei Jahrzehnte hindurch das Zentrum seiner vielfältigen Aktivitäten bildete. Er war die kritische Autorität, nicht nur für die Neue Musik, sondern für die Musik überhaupt. Mit größter Sorgfalt und Aufmerksamkeit gestaltete er den Phonoteil der nmz, hier erfuhr man alles über zahlreiche Neuerscheinungen, von denen man in den so genannten Feuilletons nichts las. Der Kritiker Schulz, der auch für viele andere Zeitungen schrieb, im Vorstand der Klangspuren Schwaz seine hohe musikpublizistische Kompetenz für das Festival einbrachte, gehörte zu den immer weniger werdenden Persönlichkeiten, die, gestützt auf ein großes Wissen und eine lange, tiefe Erfahrung, ihre kritische Meinung noch frei und unabhängig von irgendwelchen institutionellen Rücksichten und Vorschriften äußern und niederschreiben können. Der Tod von Reinhard Schulz bedeutet auch einen Substanzverlust für die ganze Musikkritik, deren zunehmende Boulevardisierung bedenkliche Dimensionen angenommen hat.

Zu einem Nachruf gehört auch ein biographischer Sachteil. Am 7. März 1950 in Schirnding in Oberfranken geboren, studierte Schulz Musikwissenschaft, Philosophie, Theaterwissenschaften, Soziologie und Psychologie. Seine Promotion entstand über Anton Webern. Über hundert eigene Musiksendungen für die ARD-Anstalten bewiesen seine enorme Arbeitsenergie. 1980 erhielt er von der Ludwig-Maximilian-Universität München einen Lehrauftrag zum Thema „Musik und Musik-
ästhetik des 20. Jahrhunderts“. Zur  neuen musikzeitung kam er 1986. Der Kritikerpreis der Stadt Graz wurde ihm 1993 zuerkannt. Für den Preis der deutschen Schallplattenkritik arbeitete er von 1993 an als Juror. 1997 gehörte er zu den Mitbegründern der Münchner Gesellschaft für Neue Musik, die der IGNM angehört.

Zu einem Nachruf in „seiner“ Zeitung gehören auch einige sehr persönliche Worte seiner engeren Mitstreiter. Mit Reinhard Schulz gemeinsam zu arbeiten, Pläne zu entwickeln, über den Zustand der Musik, der Medien, der Gesellschaft überhaupt zu debattieren – Schulz vertrat bis zuletzt unerschütterlich „seine“ linken Positionen, weil er in diesen trotz aller negativen realen Erfahrungen die Substanz für eine menschlichere, gerechtere Welt sah – diese Gespräche mit Reinhard Schulz waren stets von einem hohen geistigen Anspruch getragen, wobei auch das Vergnügen nicht zu kurz kam, in Form von pointierten Zuspitzungen und Übertreibungen. Schulz konnte herrlich lachen. Er bewahrte sich beim Anhören und Studieren von Musik immer auch die Sinnenfreude, die gute Musik im reichen Maße verströmt.

Trost in unserer augenblicklichen Trauer wird eines Tages die Erinnerung spenden. Sie beschwört das Bild eines musikbesessenen, sinnenfrohen, humorvollen, hilfsbereiten Menschen, der in dieser lebendigen Erinnerung unverändert Reinhard Schulz heißt.

Gerhard Rohde, für alle Kolleginnen und Kollegen der neuen musikzeitung und des ConBrio Verlages

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