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Viel Lärm um wenig

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Zur dritten MaerzMusik Berlin · Von Isabel Herzfeld
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Als „Festival für aktuelle Musik“ ist die MaerzMusik vor drei Jahren angetreten, behauptet damit stolz ihr besonderes Profil unter den Avantgarde-Veranstaltungen, die schlicht das Gegenwärtige abbilden. Das ist mit dem Schwergewicht auf Klanginstallationen und Performance, auf der in Atmosphäre und technischer Innovation die populäre Clubszene berührenden „Sonic Arts Lounge“ und dem unkonventionellen Rahmen vieler Konzerte auch gelungen. Glaubt man Kulturstaatsministerin Christina Weiss, garantiert gerade dieses Aufbrechen der Unterscheidung zwischen U und E, die zeitweilige Grenzüberschreitung zwischen Kunst und Alltag Attraktivität und Bedeutung des Festivals. Mit stetig steigendem Publikumszuspruch ist die MaerzMusik das derzeit wohl erfolgreichste Flaggschiff im dahindümpelnden musikalischen Sektor der vom Bund finanzierten Berliner Festspiele. Und Programmstränge wie „Charles Ives und die Folgen“ Schlaglichter auf die französische Szene, „Neue Musik auf alten Instrumenten“, „Crossings zwischen China und Europa“, Zusammenarbeit mit Schülern lebendige und spannende Begegnungen erwarten.

Wieweit damit jeweils ein Nerv der Zeit getroffen oder eher die persönlichen Vorlieben der Veranstalter wiedergegeben wurden, bleibe dahingestellt. Natürlich gehört Charles Ives, Ahnvater nicht nur der amerikanischen Moderne, zu den herausragenden Figuren des zwanzigsten Jahrhunderts. Ob Raumklang, Mikrotonalität oder Einbeziehung des Zufalls und alltäglicher Klangquellen – vieles ist bei ihm bereits vorgeformt, was später etwa bei John Cage, La Monte Young oder Tom Johnson als allgemeines Konzept fasziniert. Überwältigend die Frische und Originalität einer Musik, die alle bei MaerzMusik präsentierten „Folgen“ weit in den Schatten stellte. Die 4. Sinfonie, welche immerhin Klavier, Orchester, gemischten Chor und Mezzosopran-Solo auffährt, erwies sich mit ihren unerschrockenen divergenten Klangschichtungen und philosophisch fundierter Komplexität als Highlight des Konzerts des SWR-Sinfonieorchesters unter Sylvain Cambreling, das weder mit der Uraufführung von Tristan Murails hellfarbigem, doch in der Substanz vergleichsweise konservativem „Terre d’ombre“ noch mit Georg Friedrich Haas‘ neu-alte Harmonien aufsuchendem „natures mortes“ gegen den „Übervater“ ankam. Auch das nach dem Quellenmaterial der „Universe Symphony“ rekonstruierte „Live Pulse Prelude“ überzeugte in Larry Austins Bearbeitung für zwanzig Schlagzeuger durch die Dichte und gleichzeitige Klarheit durch den Raum wandernder rhythmischer Schichtungen. Doch die „Folgen“ enttäuschten eher. In der Klaviermatinee von Heather O’Donnell, welche die „Concord“-Sonata mit unnachahmlicher Feinheit und Transparenz erfüllte, ragten neben Ives-Werken nur Walter Zimmermanns uraufgeführtes „the missing nail at the river“ und Oliver Martin Schnellers vierteltöniges „And tomorrow“, beides dezidiert bei Ives anknüpfend, aus blasser Beliebigkeit hervor. Wenig Glück war auch, trotz Schiffsüberfahrt mit dem Geiger Malcolm Goldstein, dem Mammutprojekt in den legendären Tonstudios des ehemaligen DDR-Rundfunks in der Nalepastraße beschieden: Der Raumklangeffekt der dreiseitig um das Publikum gruppierten Janácek Philharmonie Ostrava wurde in Petr Kotiks „Variations“ für drei Orchester kompositorisch kaum ausgenutzt und musste in Olga Neuwirths „locus… doublure… solus“ verpuffen, weil sich der Klang weit hinten für einen Großteil der Zuhörer einfach wieder mischte. Tom Johnsons „Combinations“ für Streichquartett kamen trotz ausgeklügelter Zahlenspiele über gleichförmig wirkende Harmoniefolgen nicht hinaus, William Russells „Three Dance Movements“ und „Cuban Pieces“, die einst zum eisernen Bestand von John Cages Perkussions-Ensemble gehörte hatten, entfalteten gleichfalls kaum den erwarteten, die Tanzrhythmen unterlaufenden Effekt. Fraglich, ob sich hier nicht bessere Musik oder eine bessere Präsentation hätte finden lassen können.

Spektakuläres versprachen Installationen und Musiktheatralisches. Dabei besticht „code + switching“ von Ana Maria Rodriguez und Melita Dahl gerade durch seine leise Unaufdringlichkeit. Ute Wassermanns Stimme schwingt zwischen allen Facetten von Klang, Geräusch und Sprachmodulen, dazu verändert sich ihre Mimik auf projizierten Fotos unmerklich, ein ständiges Changieren zwischen sinnlicher Oberfläche, Bedeutung und Assoziation. Bei Julian Kleins „Brain study“ dagegen stand technischer Aufwand und Klangergebnis in allzu krassem Missverhältnis. Was zunächst äußerst spannend erschien, nämlich die Transformation der Hirnaktivität von „Gehirn-Spielern“ in Klang und Licht mittels ausgefuchster Software und Live-Elektronik, die Umsetzung von Erinnerungen ebenso wie emotionaler Zustände, erwies sich in minimalen Abstufungen zarten Rauschens denn doch nicht sonderlich ereignisreich. „Angst, Freude, Stress und Euphorie“ wurden in der künstlichen Situation offensichtlich nicht erlebt – jedenfalls nicht in der Nacht-Version, in der die Spieler friedlich in Hängematten schlafen. Verschenkt auch Kasper T. Toeplitz und Jean Michel Bruyères „Nicht-Oper“ „Battling Siki # 3 N.O.B.“ (Not an Opera on Boxing): Allioune Sow boxt sich auf Video und live warm, eine Meute angeketteter Kampfhunde lässt sich davon zu Bell- und Jaulkaskaden animieren. Was im Dunkeln, bei den raumumhüllenden schattenhaften Schwarz-Weiß-Projektionen noch so etwas wie bedrohliche Atmosphäre entwickelt, am Eingang des Hades von den Zerberussen bewacht, überschreitet später, wenn die Hunde auch inmitten greller Klangbänder die Nerven verlieren, schlicht die Grenzen des guten Geschmacks. Eine Provokation, die zu nichts führt. Kaum besser Alexander Kolkowskis „Mechanical Landscape with Bird“, für Kanarienvogel, Serinette (Vogelorgel), Phonographen und rotierendes Streichquartett mit Trichterinstrumenten. Was das Kairos-Quartett auf der zum idyllischen Blumengarten dekorierten Bühne der Sophiensäle, auf pittoresken Drehsitzen mit seinen von Augustus Stroh 1899 eigens für Tonaufnahmen gebauten Instrumenten vollführt, ist weit weniger interessant als die Ausführungen im Programmheft zur Abrichtung von Kanarienvögeln und den Aufzeichnungen ihres Gesangs. Mehr versprochen hätte man sich auch vom Neo-Bechstein, einem um 1930 von den Firmen Bechstein, Siemens und Telefunken entwickelten Elektro-Flügel, dessen Saiten mit 18 Tonabnehmern verstärkt werden. Vom Pianisten Reinhold Friedl und dem Programmierer Sukandar Kartadinata zum Raumklang-Mehrkanal-System weiterentwickelt, ergeben sich trotzdem recht beliebige Klangstrukturen.

Eher unergiebig blieb also, was den besonderen Reiz des Programms ausmachen sollte. Ein jung gebliebenes und junges Publikum konsumierte dies alles mit Begeisterung, kaum war auszumachen, ob der gleichmäßig eingepegelte Jubel dem „Event“ oder der eigenen Begeisterungsfähigkeit galt. Gewiss waren die vollen Säle als „Erfolg“ für die wohldosierte Mischung aus Anspruch und Unterhaltung zu werten. Sie wirkte noch am lebendigsten bei den Populäres avanciert weiterdenken „Bang on a Can All-Stars“, bei den ausufernden Improvisationen eines John Zorn, der mikrotonalen Violin-Virtuosität Jon Rose, der die verschiedenen „Stimmungen“ seines Instruments als „Temperament“ bezeichnet.

Für ein altmodisches Verständnis von „Kunst“ als eigenständige Form der Welt- und Selbsterkenntnis standen nach wie vor die Vertreter der heute zur „Klassischen Moderne“ erklärten Avantgarde: „Neue Musik auf alten Instrumenten“ macht immer noch Mauricio Kagel mit seiner „Musik für Renaissanceinstrumente“ von 1965, aus der selben Zeit stammt das wohl großartigste Werk der ganzen MaerzMusik, das ganz unbekannte „Laborintus II“ von Luciano Berio. Und man kommt schon ins Grübeln, wenn eine der gehaltvollsten Veranstaltungen der „aktuellen Musik“ ein vorösterliches Chorkonzert ist, der Auftritt des von Peter Schwarz geleiteten ars-nova-ensembles Berlin mit Günther Beckers ausdrucksstarken „Schwebenden Welten“ auf Gedichte von Rose Ausländer und dem aus kontrapunktischem Geist geschaffenen Psalm „Hilf Herr“ für zwölf Solostimmen von Sabine Wüsthoff.

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