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Bis zur Premiere von „Show Boat“ am 27. Dezember 1927 dominierten „Musical Comedies“, Operetten und Revuen von Berlin, Porter, Rodgers, Romberg oder den Gershwins den Broadway. Doch mit „Show Boat“ läuteten Jerome Kern und sein Librettist Oscar Hammerstein
Bis zur Premiere von „Show Boat“ am 27. Dezember 1927 dominierten „Musical Comedies“, Operetten und Revuen von Berlin, Porter, Rodgers, Romberg oder den Gershwins den Broadway. Doch mit „Show Boat“ läuteten Jerome Kern und sein Librettist Oscar Hammerstein
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Vom Singen auf dem Ol’ Man River

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Zur exzellenten Edition der „Show Boat“-Verfilmung von 1936
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Viele Jahre lang musste man warten auf eine Blu-ray-Disc-Ausgabe von „Show Boat“, dem Schmuckstück der Filmmusicalgeschichte der 1930er-Jahre, inszeniert vom britischen „Frankenstein“-Regisseur James Wh­a­le. Mit dem Broadway-Musical „Show Boat“ begann 1927 die Geschichte des modernen „Book-Musicals“. Ohne „Show Boat“ keine „My Fair Lady“, „West Side Story“ oder „Cabaret“ und „A Chorus Line“. Dreimal wurde dieser Meilenstein des Musiktheaters verfilmt, 1929, 1936 und 1951. Criterion hat nun endlich das herausragende Mittelstück dieser „Trilogie“ in einer restaurierten Fassung auf Blu-ray wiederveröffentlicht und mit Elementen aus der ersten ursprünglichen Stummfilmversion ergänzt.

Bis zur Premiere von „Show Boat“ am 27. Dezember 1927 dominierten „Musical Comedies“, Operetten und Revuen von Berlin, Porter, Rodgers, Romberg oder den Gershwins den Broadway. Doch mit „Show Boat“ läuteten Jerome Kern und sein Librettist Oscar Hammerstein II ein neues Zeitalter ein. Die Vorlage lieferte ein Roman von Edna Ferber, der gerade erschienen war und in Deutschland als „Das Komödiantenschiff“ vermarktet worden ist. Eine Showbizgeschichte, die von Rassendiskriminierung handelt.

Auf dem Mississippi

Auf einem Mississippi-Showdampfer verliebt sich Magnolia, die Tochter des Show-Boat-Direktors, in den Spieler Gaylord Ravenal. Gegen den Willen ihres Vaters verlässt sie die „Cotton Blossom“ und folgt ihrem Geliebten nach Chicago. Dort trifft sie wieder auf die Sängerin Julie LaVerne, die einst aus rassistischen Gründen (sie würde als „Halbblut“ in einer verbotenen „Mischehe“ mit einem Weißen leben, wurde ihr nachgesagt) vom Show- Boat vertrieben worden war und deshalb jetzt dem Alkohol verfallen ist. Bevölkert ist dieses „Show Boat“-Theateruniversum von vielen afro-amerikanischen Mitspielern, die teils noch in alter Minstrelshow-Tradition ihre „Nummern“ vorführen. In der ersten Bühnenfassung wurde eine wichtige weibliche afro-amerikanische Nebenfigur sogar noch von einer Weißen in „Blackface“-Tradition gespielt. Mehr zu dieser komplexen Thematik gibt es in dem Beitrag „Recognizing Race“ auf dieser Blu-ray.

Typischer Zwitter

Die erste „Show Boat“-Verfilmung wurde von Universal 1928 noch als Stummfilm konzipiert. Am Ende wurde es ein typischer „Zwitter“ dieser Übergangsphase vom Stumm- zum Tonfilm: ein vertonter Stummfilm mit Musikeinlagen, die fast alle nicht aus dem Bühnenmusical stammten. Als Zugabe zu diesem „part-talkie“ gab es einen 18-minütigen Tonfilm mit Ausschnitten aus der Broadway-Produktion. In diesem „Musical Prologue“ präsentierten Universal-Boss Carl Laemmle und der legendäre Florenz Ziegfeld junior Künstler der Bühnenshow, darunter auch Helen Morgan, die Kerns Balladen „Bill“ und „Can’t Help Lovin’ Dat Man“ unsterblich gemacht hat. Und auch den Klassiker „Ol’ Man River“ gibt es hier in seiner Urversion zu hören, gesungen von Jules Bledsoe. Ausschnitte aus diesem „Sound-Prolog“ hat man zusammen mit 20 Minuten aus dem Stummfilm auf dieser Blu-ray dazu gepackt und mit einem Audiokommentar des Broadway-Experten Miles Kreuger versehen. So kann man sich einen Eindruck verschaffen von der „Gestaltung“ der ersten „Show Boat“-Verfilmung und den damit verbundenen Problemen.

Niemand war glücklich mit dieser ersten „Show Boat“-Verfilmung. Deshalb unternahm Universal 1933 einen zweiten Versuch. Als Regisseur wählte man den großartigen Frank Borzage aus. Doch dann wurde das Projekt auf Eis gelegt. Und ein neues Drehbuch verworfen, bis Oscar Hammerstein II ins Spiel kam und sein eigenes Libretto in ein Filmdrehbuch verwandelte. 1935 schließlich, im Jahr von „The Bride of Frankenstein“, landete „Show Boat“ bei James Whale. Ein Glücksfall, wie sich herausstellen sollte. Rund um Irene Dunne, die seit 1933 im Boot gewesen war, gruppierte der Brite ein ganzes Ensemble mit „Show Boat“-Erfahrungen: Charles Winninger, Helen Morgan und Paul Robeson, für den Kern die Rolle des Joe ursprünglich konzipiert hatte. Seine berührende Version von „Ol’ Man River“ wurde dann auch zum absoluten Höhepunkt des Films. Nur die einstige weiße Frau im „blackface“, Tess Gardella, musste er gegen Hattie McDaniel austauschen, die später durch „Vom Winde verweht“ unsterblich werden sollte. Für sie und Paul Robeson schrieb Jerome Kern ein neues komisches Duett: „Ah Still Suits Me“, eine Nummer, die an ihren Auftritt in John Fords „Judge Priest“ erinnerte. Dieses Mal passte wirklich alles, das Ensemble, das Setting, die Songauswahl. Und so entstand die beste – sehr flüssige! – Musicalverfilmung der dreißiger Jahre, James Whales letztes großes Meis­terwerk, eingebettet in die Zeit von Fred Astaire und Ginger Rogers und den bizarren Girl-Ornamenten eines Busby Berkeley. Für den Audiokommentar hat man natürlich den Whale-Biografen James Curtis ausgewählt.

Standardstatus

Später kaufte MGM den Stoff. Bei dieser Gelegenheit ließ man dann auch gleich Universals Version vom Markt „verschwinden“. So hatte man es auch schon bei einer großartigen britischen Version von „Gaslight“ (mit Adolf Wohlbrück!) gemacht, als George Cukor ein solides Remake für das Studio produziert hat. Weil Paul Robe­son inzwischen in den USA zu den politischen Opfern von McCarthy gehörte (dazu gibt es hier die Dokumentation „Paul Robeson: Tribute to an Artist“), fehlte ausgerechnet er in der neuen „Show Boat“-Verfilmung von 1951 mit der wunderbaren Ava Gardner in der Rolle von Julie LaVerne. Ersetzt wurde Robeson in dieser – dank Ava! – fast ebenbürtigen Arthur-Freed-Produktion durch William Warfield, der „Ol’ Man River“ mit einer Spur zuviel Opernpathos sang. Als die dritte Fassung von „Show Boat“ in die Kinos kam, war „Ol’ Man River“ inzwischen zum Standard geworden.

Bing Crosby hatte die Kern-Nummer zum Swingen gebracht, und The Ravens hatten sie in frühen Doo-Wop verwandelt. Albert Ayler hat „Ol’ Man River“ als Hommage an den Bürgerrechtler Paul Robeson dann in den Sixties komplett transzendiert, losgelöst vom Broadway-Kontext und in sein eigenes musikalisches Universum integriert. Aber das ist nur noch eine letzte Fußnote zu dieser langen – kulturhistorisch sehr komplexen – Geschichte von „Show Boat“, die in dieser Edition erzählt wird.

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