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Vom Teufel trotz kreativer Vorleistung ignoriert

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Schlüssige Beobachtungen zu Hans Pfitzners Werken in einer neuen Biografie
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Nach dem Lesen des ersten Drittels kam ich zu dem Schluss, dieses Bändchen habe in der Musikliteratur nur eine Parallele, so lesenswert, eigenwillig und in den Erkenntnissen sensationell wie die Mozart-Studie des Außenministers der Sowjetrepublik unter Lenin, Georgi W. Tschitscherin. Allerdings musste der Rezensent diesen Eindruck nach Abschluss der Lektüre relativieren. Gleichwohl ungewöhnlich und erstaunlich: Auf nur 136 Seiten gelingt es dem Autor Michael Schwalb, nicht nur ein recht umfassendes Bild des Komponisten und seiner Zeit zu zeichnen, sondern auch mit eigenen, überzeugenden Beobachtungen zu Pfitzners Werken aufzuwarten.

Zunächst rückt Schwalb Pfitzner musikologisch und analytisch zu Werke. Was er über Pfitzners Liedkompositionen herauskitzelt, ist neu und schlüssig. Dabei konstatiert der Autor, dass sich darin, in diesem „breitesten und kontinuierlichsten Werkkomplex, kaum eine geradlinige teleologische Entwicklung ablesen“ lasse. Da Pfitzner seiner Vertonung von Goethes „An den Mond“, op. 18, „eine eigene Werknummer verliehen“ habe, unterstreiche er damit – die Zugehörigkeit zu […] den Modernisten“. Richard Dehmels „Der Arbeitsmann“ erhalte in „Pfitzners expressionistischer Vertonung“ – op. 30,4 – „einen agitatorischen Sog, wie man ihn aus den gesellschaftskritischen Liedern von Hanns Eisler oder Kurt Weill kennt“.

Mit seiner Oper „Die Rose vom Liebesgarten“ habe Pfitzner für Schönbergs „Klangfarbenmelodie“ Pate gestanden, und Schwalb weist nach, wo Anton Webern, Alban Berg und Arnold Schönberg die changierenden Töne des Beginns von Pfitzners Partitur übernommen haben. Der Autor weist auch darauf hin, dass die „Taktgruppenanalyse“ des Lehrers Pfitzner „eigentlich eine Lehrmethode des Pfitzner fernstehenden Arnold Schönberg“ sei. Seltsamerweise übersieht Schwalb jedoch die formale und instrumentatorische Modernität der Oper „Das Herz“, welche „weit zurück hinter Pfitzners Modernität der 1920er Jahre“ bleibe.

Über Pfitzners Streichquartett cis-Moll op. 36 urteilt Schwalb hingegen: „Nie mehr hat er so unverhohlen ‚modern‘ und strukturalistisch komponiert, ohne auf seine typischen tonalen Innigkeitsmomente zu verzichten.“ Ausgiebig untersucht Schwalb die Besonderheiten von Pfitzners symphonischen Beethoven- und Schumann-Einspielungen und attestiert dem Dirigenten Pfitzner ein „ausgesprochen moderner Dirigent“ zu sein.

Neben zahlreichen Abbildungen  blendet Schwalb Unterkapitel über Zeitgenossen ein, etwa über Paul Nikolaus Cossmann, Paul Bekker, Richard Strauss, Bruno Walter und Thomas Mann, aber auch über weiterführende Themen – so etwa Artikel über Diskographie, Inspiration, die Süddeutschen Monatshefte, die Hans Pfitzner Gesellschaft e. V. und „Der politisierende Schriftsteller“. Auch in diesen Injektiven gelingt es Schwalb auf verblüffende Weise, so knapp, korrekt und umfassend zu informieren wie in seinem Haupttext.

Entgegen der häufig anzutreffenden Deutung des Adrian Leverkühn in Thomas Manns „Doktor Faustus“ als dem Zwölftonerfinder Arnold Schönberg, deutet Schwalb den Komponisten des Höllenpakts im Roman als Hans Pfitzner: „Hier wird die himmlische Gnade des Einfalls demontiert und ins Gegenteil verkehrt, das Hochgefühl der Pfitzner’schen Inspirationsästhetik regelrecht verteufelt.“

Pfitzners „Verhältnis zum Nationalsozialismus“ deutet der Autor ebenfalls als eine „moderne Version eines Teufelspakts, oder richtiger [sic !] dessen Umkehrung, die Karikatur eines diabolischen Vertrags: Der Komponist versucht, mit dem Teufel zu paktieren, und geht sogar in kreative Vorleistung – wird aber vom Teufel ignoriert.“ Denn das Buhlen um die Gunst Hitlers – als erster deutscher Komponist – und auch Pfitzners Wahlaufruf, waren vergebens; Hitler hielt Pfitzner für einen russischen Juden und unterdrück­te ihn nach Kräften. Einige biografische Lücken der Pfitzner-Literatur sind auch hier nicht geschlossen, etwa Pfitzners unterbelichtete Berliner Zeit.

Auch auf die von Hans Pfitzner ab dem 19. Juni 1909 dirigierte, legendäre Reinhardt-Neuinszenierung von Shakespeares „Sommernachtstraum“ mit der Bühnenmusik von Felix Mendelssohn-Bartholdy findet keine Erwähnung. Dabei ist sie wohl die Ursache für Pfitzners Weigerung gegenüber dem Auftrag der NS-Machthaber, eine Ersatz-Bühnenmusik zu Shakespeares „Sommernachtstraum“ zu komponieren. Diese Episode lässt Schwalb jedoch unerwähnt, wie auch eine Reihe weiterer Fakten, die gegen jenen „Teufelspakt“ mit den Nazis sprechen.

Entgegen dem Werbetext auf dem Umschlag ist der biografische Teil von Schwalbs Buch leider mitnichten „aktualisierend“, und auch die Behauptung, der Autor käme „zu überraschenden neuen Erkenntnissen“, erweist sich leider als nichtig. Im Gegenteil bedeutet dieser Teil der Publikation einen Rückschritt gegenüber dem in der jüngeren Literatur skizzierten Bild von Pfitzners Persönlichkeit und Handeln in den Jahren 1933 bis 1945. In Schwalbs Darstellung vermisst der Leser den Forschungsstand der Arbeiten von Sabine Busch (obgleich er auf deren Buch hinweist), Johann Peter Vogel oder Walter Keller.

Im Zuge einseitig negativer Färbung von Pfitzners Handeln im Dritten Reich übersieht Schwalb die mehrfach publizierte Tatsache, dass der Herausgeber der Briefausgabe, Bernhard Adamy, die Fälschung eines Briefes eingestanden hat, und räumt dem Falsifikat in seiner Endverurteilung eine unzutreffende Schlüsselstellung ein (S. 122). Pfitzners op. 54, das als vermeintliche Nazi-Komposition lange im Gift-Tresor gelegen hatte, bis es 2012 im Verlag Ries & Erler veröffentlicht und im Vorjahr vom WDR eingespielt wurde, die „Krakauer Begrüßung“, ist in Schwalbs Abfolge der Analysen (noch immer) zu vermissen.

Dennoch: Das Büchlein regt zum Nachlesen in Pfitzners Partituren und zum Weiterlesen in den von Schwalb zitierten Quellschriften an.

  • Michael Schwalb: Hans Pfitzner. Komponist zwischen Vision und Abgrund, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2016, 136 S., Abb., € 12,95, ISBN: 978-3-7917-2746-2

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