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Michel Legrand. Foto: Ralf Dombrowski
Michel Legrand. Foto: Ralf Dombrowski
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Von Paris über Cherbourg nach Hollywood

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Zum Tode des Filmkomponisten Michel Legrand
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Er war eine französische Musikikone: Michel Legrand. Ein großer Melodiker wie George Gershwin oder Burt Bacharach, hat er den melancholischen „Sound“ des französischen Kinos der 60er-Jahre wie kein zweiter geprägt. Für drei seiner Hollywood-Musiken gab es Oscars: für den Evergreen „The Windmills Of Your Mind“, „Summer of ’42“ und Barbra Streisands „Yentl“.

Wie Quincy Jones hat Michel Legrand in den frühen 50er-Jahren bei Nadia Boulanger studiert. Und wie Burt Bacharach hat er als Pianobegleiter eines Stars begonnen. Bei Bacharach war es die Dietrich, bei Legrand Maurice Chevalier. Bei einem von Chevaliers Auftritten im Alhambra hat ihn auch Agnes Varda zum ersten Mal wahrgenommen, als blutjungen Dirigenten einer Music-Hall-Legende. Erst ein paar Jahre später, 1960, sollte er wieder in ihrer Welt auftauchen. Als ihr Mann Jacques Demy seinen ersten abendfüllenden Spielfilm „Lola“ vorbereitete, war eigentlich Quincy Jones als Filmkomponist vorgesehen. Der spätere Produzent von Michael Jacksons „Thriller“-Album hatte fest zusagt, als ihm andere Verpflichtungen dazwischen kamen. Es war der Produzent Francois Reichenbach, der als Ersatz Michel Legrand vorschlug, der gerade seine Filmkomponistenkarriere begonnen hatte. Die Varda hat Demy bei ihrem ersten Treffen mit Legrand in einem italienischen Restaurant begleitet. Als dieser das Angebot ablehnte, weil er bereits für einen anderen Film zugesagt hatte, mischte sich die Varda in das Gespräch ein: „Machen Sie Witze? Wie können Sie nur zögern? ‚Lola‘ ist ein außerordentlicher Film. Sie können nicht ,Nein‘ zu Jacques sagen!“ Beide Männer am Tisch waren überrascht. Nach einem längeren Geplänkel gab Legrand nach. Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

Als 1960 „Lola“ ins Kino kam, war Michel Legrand schon längst kein Unbekannter mehr gewesen. Schon eine seiner ersten Schallplatten, „Holiday in Rome“ war 1955 in den USA zum Bestseller geworden, wie vorher in Frankreich sein Album „I Love Paris“. In der Jazzwelt hatte er sich 1958 zum ersten Mal einen Namen mit der Langspielplatte „Legrand Jazz“ gemacht. Für ein All-Star-Ensemble aus Miles Davis, John Coltrane, Ben Webster, Phil Woods, Herbie Mann, Bill Evans & Co. arrangierte er Standards von Fats Waller, Duke Ellington, Thelonious Monk, Django Reinhardt oder Bix Beiderbecke. Es war das Blueprint für den typischen impressionistischen Legrand-Sound, der all seine Filmmusiken prägen sollte. Und als Hausarrangeur von Philips hatte er – wie Ennio Morricone für die italienische RCA – Chanson- und Schlagerstars musikalisch betreut. Aber mit „Lola“ eröffnete sich Legrand eine neue Welt: das Demy-Universum.

Ob Demy sehr genaue musikalische Vorstellungen gehabt hätte, wurde Legrand einmal gefragt. Seine Antwort: „Nein, aber für die ersten Filme mit Jacques haben wir auf eine tolle Arbeitsweise zurückgegriffen. Er sagte zu mir: ‚Wir gehen ins Studio, ich zeige Dir den Film, und während die Bilder ablaufen, reden und improvisieren wir am Piano.‘ Dieses Verfahren ließ sich gut auf die ‚normalen‘ Filme von Jacques anwenden. Für die Musikfilme war das anders, da musste die Musik natürlich vor dem Drehen fertig sein. Bei ‚Lola‘ hat Jacques das Chanson ohne Musik gedreht. Anouk Aimée hat nur die Worte von Jacques gesprochen. Danach habe ich vor einem fast unlösbaren Problem gestanden: Ich musste a posteriori das machen, was man a prio-ri hätte machen sollen – schauen, wie sie artikuliert, um eine Linie zu finden.“

Die „Musikfilme“, das waren vor allem natürlich die beiden traumhaften Melo-Musicals mit der jungen Catherine Deneuve: „Les Parapluies de Cherbourg“ und „Les Demoiselles de Rochefort“. Demy wollte, dass in „Cherbourg“ alles wie in der Oper gesungen werde. „Wir haben herumprobiert, und plötzlich haben wir es gefunden; bei einer Szene in der Mitte, so eine neoklassische und zugleich ein wenig rhythmisierte Tonlage. An dem Tag haben wir den Stil gefunden.“ Danach begann das Klinkenputzen bei den Produzenten, denen das Projekt zu riskant erschien. Ein ganzes Jahr haben Legrand und Demy möglichen Produzenten vorgesungen und vorgespielt. Legrand erinnert sich: „Ich saß am Klavier und Jacques blätterte die Seiten um. Ich sang alle Rollen, die Soprane, die Bässe, und so haben wir während eines Jahres Verlegern und Produzenten vorgespielt. Das ist lange, ein ganzes Jahr. Immer wieder sagte man uns: ‚Ihr seid ja sehr sympathisch, ihr beiden Jungen, aber dass die Leute im Saal sitzenbleiben, um Darstellern zuzuhören, die ‚Gib mir das Salz‘‚ singen, daran glaube ich nicht.‘ Wir wussten jedoch, dass der Film nur so und nicht anders sein konnte.“ Der Erfolg gab ihnen recht.

Dabei waren vorher noch weitere Hürden zu überwinden gewesen. Legrand: „Nachdem uns schnell klar geworden war, dass die Schauspieler nicht singen konnten, haben wir beschlossen, den ganzen Film zu synchronisieren. Alles ist vorher aufgenommen worden. Es war notwendig ganz ins Detail zu gehen, weil es zwischen den Chansons kleine Musikpassagen gab, die zeitlich genau auf das jeweilige Dekor abgestimmt werden mussten. Wenn zwölf Treppenstufen vorgesehen waren, die zu nehmen waren, und es davon mehr gab, wurde das geändert, damit die Musik stimmte.“

Einige Chansons aus den beiden Filmen wurden dann in der englischen Fassung auch zu Evergreens: „I Will Wait For You“ oder „Watch What Happens“. Mitte der 60er zog es Michel Legrand dann weg von der Pariser „Nouvelle Vague“-Bande nach Hollywood. Und dort orchestrierte er dann wie in Paris einige der schönsten Filme jener Ära, von „The Thomas Crown Affair“ über das Billie-Holiday-Biopic „Lady Sings The Blues“ bis zu Clint Eastwooods „Breezy“. Die kongenialen „lyrics“ zu fast allen seinen amerikanischen Filmsongs lieferten Alan und Marilyn Bergman, mit denen er sich auch seinen ersten Oscar für „The Windmills Of Your Mind“ geteilt hat. Eine lebenslange künstlerische Freundschaft verband ihn nicht nur mit Demy und Varda und den Bergmans, sondern auch mit Barbra Streisand, die er Mitte der 60er-Jahre als Arrangeur ihres Albums „Je m’appelle Barbra“ kennengelernt hatte und mit der er 1983 ihren größten gemeinsamen Erfolg gefeiert hat, das Filmmusical „Yentl“. Einen Stoff von Isaac Bashevis Singer hatte Barbra in ein anrührendes Streisand-Musical verwandelt. 1988 war es zu einer letzten Zusammenarbeit mit Demy gekommen, „Trois Places pour le 26“ mit Yves Montand. Ein wehmütiger Abschied von den alten Zeiten, gewidmet Agnes Varda, „die Rosenkonfitüre so gern mag“. Am 26. Januar ist Michel Legrand im Alter von 86 Jahren in seiner Geburtsstadt Paris gestorben.

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