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Konsequenter Arbeiter: Stefan Blum. Foto: Regine Heiland
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Weil ich spüre, ich kann mit jemandem zusammen atmen

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Der Schlagzeuger Stefan Blum als Interpret zeitgenössischer Musik im Gespräch mit Julia Schölzel
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In regelmäßigen Abständen veröffentlicht die nmz Texte zur Arbeit der Münchner Gesellschaft für Neue Musik.In dieser Ausgabe finden Sie ein Interview, das die Münchner Pianistin, Komponistin und Musikjournalistin Julia Schölzel mit dem Perkussionisten Stefan Blum führte.

Julia Schölzel: Herr Blum, der Weg zur Neuen Musik begann bei Ihnen mit einem großen X. Was war das für eine unbekannte Größe?

Stefan Blum: Das war das Xsemble München, 1989 gegründet von Mitgliedern des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks. Drei Jahre hatte ich schon in diesem Orchester gespielt, da haben mich die Kollegen Nicolaus Richter de Vroe – er war der Initiator sozusagen –,  Stefan Schilli und Frank Reinecke gefragt, ob ich nicht in einem Ensemble für Neue Musik mitspielen wolle. Da habe ich sofort eingewilligt. Denn interessiert hat mich die zeitgenössische experimentelle Musik, aber ich hatte noch nicht viel Erfahrung. Das Xsemble war dann ein großer Sprung und hat mir viele Türen geöffnet, sowohl was das Zuhören und Beurteilen von Musik betrifft, als auch in der Zusammenarbeit mit Komponisten.

Schölzel: Wieso haben Sie dann einige Jahre später in München noch ein Ensemble gegründet, nämlich das Ensemble TrioLog?

Blum: Der Urgedanke war die Idee des „Trio-Logs“. Der Komponist Jörg Widmann, der Pianist Jan-Philipp Schulze und ich, wir drei suchten irgendwie eine Art Dreiecks-Dialog zwischen einem klassischen Stück, einer zeitgenössischen Komposition und eben dem Ensemble. Klingt vielleicht ein bisschen an den Haaren herbeigezogen, war’s vielleicht auch. Mit dem Ensemble wollten wir aber neue Wege gehen, und zwar mit Konzertprogrammen, in denen wir die klassische Musik mit modernen Werken kombinieren wollten. Zum Beispiel haben wir ein Brahms-Trio gespielt und dann einen Komponisten beauftragt, sich musikalisch zu diesem Brahmstrio zu äußern. Als „Klassiker” haben wir auch Mozart, Schubert oder Strawinsky gewählt.

Schölzel: Aber allein die Idee des TrioLogs war noch nicht der Schlüssel zum Erfolg?

Blum: Wir hatten das große Glück, dass die Münchner Biennale auf uns aufmerksam wurde, und wir haben dann, ich weiß gar nicht genau, über wie viele Jahre hinweg, die Reihe der Klangspuren in München gespielt. Das heißt, wir haben die Komponisten begleitet, die da eingeladen wurden, wir haben ihre zeitgenössischen Werke aufgeführt in Kombination mit klassischem Repertoire. Und da ist unsere Idee von TrioLog ja voll aufgegangen.

Schölzel: Wie war denn damals die Relation zwischen Aufwand und Honorar, gab es da ein vernünftiges Verhältnis?

Blum: Ja, bei beiden Ensembles stand das in einem vernünftigen Verhältnis. Klar, man wünscht sich immer mehr (lacht),… aber das war vernünftig bezahlt, so dass auch der Enthusiasmus nicht zu kurz kam. Der richtet sich ja manchmal auch nach der Bezahlung (lacht nochmal).

Schölzel: Ist Enthusiasmus dann Idealismus plus Gage?

Blum: Ja, aber wir haben nicht zum Broterwerb gespielt, sondern das war ein Zubrot für jeden Einzelnen. Jeder hatte noch seinen Job.

Schölzel: Trotzdem hört man von beiden Ensembles heute wenig oder gar nichts mehr.

Blum: Ja, aber das hat keine kulturpolitischen Gründe. Das Xsemble habe ich verlassen, als ich Triolog gegründet habe. Mir ging es da eher um einen ästhetischen Wandel. So wie es Zyklen im Leben gibt, ist das eine weniger, das andere mehr geworden. Auch haben die Lebenswege die einzelnen Musiker woanders hingeführt, es sind ja gar nicht mehr alle in München. Dann habe ich auch parallel zur Arbeit im Triolog im Münchner Ensemble piano possibile mitgespielt. Das steht natürlich wieder für eine ganz andere stilistische – für mich hochspannende – Ausrichtung.

Schölzel: Nämlich welche?

Blum: Wir sind auf der Suche nach einem eigenen ästhetischen Ausdruck in der sogenannten zeitgenössischen Musik, wir suchen einen eigenen Sound, auch in Kombination mit Elektronik und der Rockmusik, mit E-Gitarre, E-Bass. Ich spiele zum Beispiel Drumset. Und wir sind da auch ziemlich weit vorn dran. In Deutschland gibt es, glaube ich, kein Ensemble, das auf diese Weise arbeitet. Und in München sowieso nicht. Wir wollen Trendsetter sein, wie zum Beispiel mit der Oper „Tilt“ von Klaus Schedl oder mit den Stücken von Bernhard Lang. Und ab und zu drehen wir den Spieß um und versuchen elektronische Musik auf akustischen Instrumenten umzusetzen. Das geht natürlich nur, weil wir intensiv mit den Komponisten zusammenarbeiten. Zum Teil entstehen die Stücke erst miteinander im Prozess. Ein Komponist bringt Sounds oder Material mit, das wir ihm auf unsere Weise spiegeln, das wiederum beeinflusst die weitere Komposition. All das sind sehr arbeitsaufwendige Prozesse, trotzdem oder vielleicht gerade deswegen sind alle Musiker und Komponisten mit viel Enthusiasmus und Freude dabei, und wir arbeiten da konsequent weiter. Wir gehen da wirklich auf abenteuerliche Entdeckungsreisen.

Schölzel: Und welche Rahmenbedingungen ermöglichen diese Entdeckungsreisen von piano possibile?

Blum: Seit zwei Jahren können wir  – endlich – in einem von der Stadt München angemieteten Raum arbeiten. Im sogenannten Pöllatpavillon direkt am Mittleren Ring. Das ist für uns eine ganz glückliche Situation. Wir haben einen großen Probenraum, in dem wir auch regelmäßig Konzerte geben, drei Komponisten, ein Fotograf und ich, wir haben jeweils unsere Ateliers daneben, im Keller proben diverse Rockbands aus der Nachbarschaft. Diese Mischung ist sehr befruchtend. Man trifft sich, tauscht sich aus, in der Küche, auf dem Gang. Ein Komponist erkundigt sich bei mir, ob das wirklich so spielbar ist, oder ich frage einen Kollegen, wie er dieses Stück sieht. Da tut sich ganz ganz viel in diesem einmaligen Musikbiotop. Nur leider ist das alles zeitlich begrenzt. Irgendwann – und zwar in absehbarer Zeit– wird der Pöllatpavillon abgerissen, neue Wohnungen sollen gebaut werden. Das kann in wenigen Monaten sein oder in einem Jahr, also wieder nur ein Provisorium, mit dem das Ensemble piano possibile zu leben hat. Insofern werden auch die Konzerte anlässlich des 20-jährigen Bestehens von piano possibile unter dem Motto „20 Jahre – das war’s“ veranstaltet. Und zwar einmal als Retrospektive gedacht, aber auch als Blick in die Zukunft. Denn um diese einzigartige Arbeit des Ensembles fortführen zu können, ist eine ganz andere Unterstützung notwendig, die künstlerische Wertschätzung muss sich auch in der finanziellen Ausstattung widerspiegeln. Schließlich spielen wir von Sao Paulo über Amsterdam bis Wien und machen Werbung für die Stadt München, wir exportieren ein Stück ureigenste Münchner Musikkultur, die es sonst so nicht gibt.

Schölzel: Was ist denn für Sie so faszinierend am Musizieren in kammermusikalischer Besetzung?

Blum: Ich fühle mich in der Kammermusik zu Hause, weil ich spüre, ich kann mit jemandem zusammen atmen. Ich kann einen gemeinsamen Einsatz richtig mitleben. Innerhalb eines Ensembles sucht man einen gemeinsamen Klang, einen gemeinsamen Ausdruck. Beim Orchester entscheidet das normalerweise der Dirigent. Im Ensemble spricht man darüber, man ist intensiver in die Musik eingebunden. Ich spiele auch wahnsinnig gerne im Orchester, aber in der Kammermusik ist man näher mit den Menschen zusammen und formt gemeinsam den Klang. Bei meiner solistischen Tätigkeit vermisse ich das so ein bisschen, ich steh’ da mit mir allein auf der Bühne und eigentlich fehlt mir die Interaktion.

Schölzel: Mit viel Teamgeist haben Sie 1986 die Münchner Gesellschaft für Neue Musik mitbegründet. Welche Ziele hatte sich die Gründungscrew um den Musikjournalisten Reinhard Schulz gesetzt?

Blum: Einmal ging es um die Vernetzung innerhalb der Szene der Neuen Musik in München. Wir wollten versuchen, die unterschiedlichen Aktionen zu koordinieren und zwischen den einzelnen Veranstaltern wie der Münchener Biennale, den Klangaktionen oder der musica viva terminliche Absprachen zu schaffen. Dann sollte das jährlich stattfindende Musikfest ein Forum werden für die Komponisten in München, deren Stücke nicht auf den großen Bühnen aufgeführt werden. Und natürlich auch den Interpreten eine Möglichkeit bieten, etwas und sich auszuprobieren. Für mich ist das bis heute ein ganz wesentlicher Aspekt, da kann man Unglaubliches entdecken, weil es beim Musikfest überhaupt keine stilistische Eingrenzung gibt. Außerdem treten alle ohne Honorar auf, es geht also wirklich um Musik. Und schließlich haben wir verschiedene Arbeitsgruppen für Profis, aber auch interessierte Laien entwickelt, die sich mit Musiktheorie, mit der Konzertgestaltung und der interdisziplinären Vernetzung beschäftigen.

Schölzel: Wie viel von all dem taucht in Ihrer pädagogischen Arbeit als Dozent auf?

Blum: Seit 1991 unterrichte ich ja an der Berufsfachschule in Krumbach, und sie ist in ihrem breiten Fächerangebot wirklich eine ideale Vorbereitung auf das Musikstudium. Und ich konnte dort das Unterrichten lernen, was dann die Voraussetzung war, um im Jahr 2000 am Leopold Mozart Zentrum der Universität Augsburg die Schlagzeugklasse zu übernehmen und auszubauen. Im Team mit zwei anderen Dozenten haben wir den Studiengang so konzipiert, dass die Studenten wirklich vielseitig und stilistisch offen ausgebildet werden, um das ganze Spektrum kennenzulernen: vom klassischen Orchesterschlagzeuger übers Ensemblespiel bis zum Schlagzeugsolisten.

Für mich ist das eine große Verantwortung, die jungen Menschen berufsbegleitend zu unterrichten, das soll ja alles auch realistisch sein. Die Arbeit mit den Studenten macht mir ungeheuer viel Spaß. Da bleibt man selbst auch jung. Und für diese Offenheit nach allen Richtungen, da bin ich selbst ein relativ gutes Bespiel mit meinen vielen unterschiedlichen Standbeinen.

Mir ist wichtig, dass die Studenten in dieser Musiklandschaft ihren eigenen Weg finden und wir sie als Lehrer darin jederzeit unterstützen können. Und in Augsburg haben wir wunderbare neue Räume bekommen, in der die Studenten rund um die Uhr arbeiten können.

Schölzel: Sie komponieren mittlerweile auch selbst, besonders Musik für Kinder in einem ziemlich erfolgreichen Geschichtenduo mit dem Schauspieler Stefan Wilkening. Welche Spuren haben denn Komponistinnen und Komponisten bei Ihnen wegbereitend hinterlassen?

Blum: Das war zum Beispiel der kürzlich verstorbene Hans Werner Henze. 1997 haben wir gemeinsam sein Stück „El cimarron“ erarbeitet, und wie er da seinem Stück neues Leben eingehaucht, fast abgerungen hat, das war unglaublich. Oder er kam zu mir in den Übungsraum, um für ihn neue, ausgefallene asiatische Instrumente kennenzulernen. Später hat er mich als Experte sogar gefragt, ob sein komponierter Schlagzeugpart in der Oper „L’upupa“ denn so spielbar sei. So sind wir zusammengewachsen, und das war immer ein sehr freudiger Austausch mit ihm.
Ein anderer Komponist in München, der mich in Sachen Text und Musik weitergebracht hat, ist Wilfried Hiller. Ihn schätze ich menschlich sehr, gerade weil er auch so offen ist. In seinen Kompositionen kommt er auf den Punkt, jeder Ton hat seine Bedeutung, ein bewusstes Reduzieren, im Gegensatz zum Beispiel zu der Opulenz von Henze.

Dem Komponisten Enjott Schneider habe ich ein Schlagzeugkonzert zu verdanken, auch ein Duo mit Oboe. In der Filmmusik haben wir sehr viel zusammengearbeitet. Immer wichtiger wurde für mich über die Jahre Josef Anton Riedl, viele Stücke habe ich von ihm uraufgeführt. Er hat ein total präzises Gespür für Spannungen und Entspannungen, und diese Bögen fordert er dann auch von einem bedingungslos in den musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten ein. Nach einer Probe mit Riedl ist man nass geschwitzt. Da zählen wunde Finger nicht. Und aus der jüngsten Zusammenarbeit mit Gerhard Stäbler ist zum Beispiel ganz spontan ein Stück für 80 Mundharmonikaspieler entstanden.
Schölzel: Für 80 Mundharmonikas?!

Blum: Ja, in der Neuen Musik passieren manchmal solche schöne Gegebenheiten und plötzlich (schnippt mit den Fingern) ist so was da.  

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