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Titelseite der nmz 2017/11.
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Wie viel Ökonomie verträgt die Musik ?

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Der Deutsche Musikrat tagt und wählt ein neues Präsidium · Von Barbara Haack
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Weltweit schafft sich derzeit die Tendenz zur Liberalisierung der Märkte mehr und mehr Raum. Verbunden ist sie mit einer Abwendung von der Idee der (Solidar-)Gemeinschaft hin zu einer Einstellung, die das Wörtchen „first“ in Bezug zu den eigenen Interessen stellt, seien es vermeintlich nationale Interessen oder solche einer Religionsgemeinschaft oder anderer Gruppierungen – bis hin zu Einzelkämpfern, die bei der Verwendung des Begriffs „zuerst“ wirklich nur und „zuerst“ an sich selbst denken.

Eine Untersuchung, wie sich eine solche Haltung auf das ebenso gepriesene wie oftmals belächelte deutsche Vereins- und Verbandswesen auswirkt, steht noch aus. Bei aller Kritik an der viel gescholtenen „Vereinsmeierei“ haben Vereine als zivilgesellschaftliche Kraft neben Politik und Wirtschaft, im besten Falle unabhängig von diesen, über lange Zeit viel Gutes bewirkt, Interessen vertreten, Gesellschaft gestaltet. Zu beobachten sind allerdings Erosionen an unterschiedlichen Stellen: Der Hang, sich langfris­tig an eine Idee, eine Gemeinschaft zu binden und dort auch – häufig läs­tige, zeitraubende oder nervende – Vereinsprozesse über sich ergehen zu lassen oder gar mitzugestalten, nimmt spürbar ab. Da stimmt es zuversichtlich, dass sich der Deutsche Musikrat über mangelnde Teilnehmerzahl an seiner diesjährigen Mitgliederversammlung nicht beklagen konnte. Die Mitglieder waren nicht erst – wie es in Jahren von Präsidiumswahlen üblich ist – zum vereinsrechtlichen Teil in großer Zahl erschienen, sondern füllten schon am Vortag im traditionell inhaltlichen Teil der Veranstaltung die Reihen.

Vielleicht lag es – wie Musikratspräsident Martin Maria Krüger in seiner Begrüßung vermutete – tatsächlich an der Wahl des Themas, um das sich der Eingangsvortrag von Dieter Gorny ebenso drehte wie die anschließende Podiumsdiskussion: „Wie viel Ökonomie braucht die Musik?“ lautete die Frage. Die – angesichts der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung – vielleicht dringendere Frage „Wie viel Ökonomie verträgt die Musik?“ wurde erst aus den Reihen der Zuhörer in der abschließenden Plenumsdiskussion gestellt und blieb nicht nur unbeantwortet, sondern auch unbeachtet. Schade!

Dass Menschen, die professionell Kultur schaffen, auch davon leben wollen, ist eine – zumal in dieser Zuhörerschaft – allgemein anerkannte Tatsache und hätte im Eingangsvortrag nicht so vehement verteidigt werden müssen. Die Zeiten, in denen die Verbindung der Begriffe „Markt“ und „Geld“ mit „Kunst und Kultur“ einen „haut goût“ in sich trug, sind lange vorbei. Ja, es gibt die prekären Arbeitsbedingungen unter Künstlerinnen und Künstlern, unter Kulturschaffenden. Aber die allfällige Forderung nach „verbesserten“ Rahmenbedingungen“ ändert daran erst einmal nichts. Wünschenswert wäre die eine oder andere konkretere Idee gewesen.

Wichtiger wäre eine noch deutlichere Unterscheidung zwischen dem reinen Markt, in dem ein Angebot einer von Endverbrauchern gezeitigten Nachfrage nachkommt, und der angemessenen Vergütung kultureller Leistungen, die eben keinen breiten Markt bedienen und trotzdem für Qualität und Vielfalt stehen. Als Prototypen wurden das Ensemble Modern auf der einen, Helene Fischer auf der anderen Seite bemüht, wobei niemand der erfolgreichen Schlagersängerin die Berechtigung absprach, mit ihrer marktgängigen Musik (viel) Geld zu verdienen. Vielmehr geht es doch darum, Markt-Teilnehmern zu einem möglichst qualifizierten und differenzierten Urteil zu verhelfen, ihnen die Möglichkeit zu geben, vieles kennen- und individuell beurteilen zu lernen. Interessant, dass ausgerechnet der vom Moderator als „Bad Boy“ präsentierte Vertreter der Musikmesse Frankfurt Michael Biwer die kulturelle Bildung – wenn auch recht spät – ins Spiel brachte. Diese müsste in der Diskussion um „Ökonomie und Musik“ eigentlich einen zentralen Platz haben.

Vor allem aber stellt sich die Frage, welche Rolle Kunst und Kultur angesichts der eingangs genannten gesellschaftlichen Entwicklung spielen können und müssen. Könnte es nicht ihre Aufgabe sein, Abspaltungstendenzen, Auflösung von Solidargemeinschaften, Überbewertung von Einzel- und Eigeninteressen etwas entgegen zu setzen? Der Marktliberalisierung so überzeugend mit Werten zu begegnen, dass ein „Stopp“-Zeichen weithin wahrgenommen wird? Welche Möglichkeiten hat Kultur, hat Musik in diesem Spiel der Kräfte? Abschließende Antworten auf diese Fragen wären in einer zweistündigen Veranstaltung kaum zu erwarten gewesen. Ein Startschuss in diese Richtung zur Weiterführung der Diskussion ist aber nötig. Schließlich ist der Deutsche Musikrat der Ort, an dem sie geführt werden muss. Insofern ist die Wahl des Themas für die Mitgliederversammlung 2017 schon einmal eine gute gewesen; es dürfte allerdings mutiger gedacht und gesprochen werden.

Ein wenig überraschend scheint es, dass angesichts des Gewichts der musikwirtschaftlichen Thematik in diesem Jahr ausgerechnet der Vertreter des VUT, also der unabhängigen Musik-Labels, als einziger Kandidat nicht ins neue Präsidium gewählt wurde. Er hätte zur anstehenden Diskussion vermutlich eine eigene Perspektive beizutragen. Immerhin wurde mit Charlotte Seither nicht nur die dritte (!) Frau, sondern auch eine erklärte Verfechterin eines starken Urheberrechts berufen: auch ein zentraler Punkt im Gespräch über Musik und Ökonomie.

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