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Auferstanden aus Ruinen

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Hanns Eisler – ein Schicksal zwischen Ost und West
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Wegen seiner Melodie zur Nationalhymne galt Hanns Eisler in Ost und West als Staatskomponist der DDR. Im Westen bescherte ihm diese Etikettierung über zwei Jahrzehnte ein Aufführungsverbot, während sie ihn umgekehrt im Osten zum Säulenheiligen machte. In beiden deutschen Staaten nahm man so nur Ausschnitte seines Schaffens zur Kenntnis. Die Studentenbewegung, die ihn in den 70er-Jahren entdeckte, interessierte überwiegend der Komponist von Massenliedern, sie richtete somit den nostalgischen Blick auf die Arbeiterbewegung der Weimarer Republik. Für Konservative blieb Eisler dagegen ein rotes Tuch – bis heute. Für Aufregung sorgte 1998 am Tag der deutschen Einheit eine Lieder- und Hymnencollage, die der Jazzkomponist Hanno Barding im Auftrag des damaligen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder geschaffen hatte. Stein des Anstoßes war die DDR-Nationalhymne, die dort neben der alten Haydn-Melodie zu hören war. Edmund Stoiber und die CSU sagten aus Protest ihre Teilnahme bei den Feierlichkeiten von Hannover ab. Ihre Begründung: durch die Eisler-Töne würden „Deutschland-Lied“ und DDR-Opfer verhöhnt. Die Alliierten wie auch Theodor Heuss, der erste Bundespräsident, hatten nach 1945 dagegen eine ganz andere Gefahr gesehen: Sie vertraten die Auffassung, durch die Wiederverwendung des von Hitler missbrauchten „Deutschland-Lieds“ würden Kriegs- und KZ-Opfer missachtet. Jedoch Konrad Adenauer überging bei der Hymnenwahl die historische Zäsur von 1945 und entschied sich für das „Deutschland-Lied“. Im Unterschied zum Westen wollte man dagegen im Osten einen Neuanfang markieren. Der Becher-Text „Auferstanden aus Ruinen“ verschwieg nicht die Katastrophe, aus der man hervorgegangen war. Nach 1989 wiederholte sich dieses Szenario. Wieder entschied sich der Westen gegen die historische Zäsur und für Kontinuität. Wie in der Frage der Verfassung beließ man auch bei der Nationalhymne alles beim Alten. Wolf Biermann, Gerhard Schröder und andere, die Brecht/Eislers Lied „Anmut sparet nicht noch Mühe“ als neue gesamtdeutsche Nationalhymne vorgeschlagen hatten, setzten sich ebenso wenig durch wie zuvor Theodor Heuss. Die Chance zu einem wirklichen Neuanfang wurde, wie auch auf anderen Gebieten, abermals verpasst. Dabei war die Musik Eislers (ebenso wie die Dramatik Brechts) nicht das schlechteste Erbteil der DDR. Wie inzwischen das Berliner Ensemble verschwand auch das Institut, das an der Akademie der Künste der DDR als Zentrum der Eisler-Forschung und -Edition eingerichtet worden war. Nach dem Tod seines Leiters Eberhardt Klemm im Frühjahr 1991 gab es Bemühungen, diese Einrichtung in ein interdisziplinäres Forschungsinstitut hinüberzuretten. Jedoch vergeblich: die Forschungsabteilung der Akademie wurde abgewickelt. Immerhin wurden die Eisler-Archivalien der neugeschaffenen Stiftung Archiv der Akademie der Künste zugeschlagen; sie blieben damit weiterhin Interessierten zugänglich. Für die Weiterführung der Eisler-Edition sowie der Eisler-Forschung mussten neue Lösungen gefunden werden. So kam es 1994 zur Gründung der Internationalen Hanns Eisler Gesellschaft. In seiner Festansprache beleuchtete Hans Mayer (Tübingen) die Zwischenposition des Komponisten zwischen Ost und West sowie zwischen dem Lehrer Schönberg und seinem Freund Brecht. Es verstand sich, dass die Edition kritisch überdacht werden musste. Eisler ist nicht mehr Staatskomponist. Die politischen Ziele, für die er sich einsetzte, sind oft obsolet oder zumindest problematisch geworden. Der veränderte Status des Komponisten wirkte sich auf die kritischen Maßstäbe der neuen, bei Breitkopf & Härtel erscheinenden Hanns Eisler Gesamtausgabe ebenso aus wie auf ihre Finanzierung. Für sie stehen nicht mehr, wie noch vor 1989, automatisch staatliche Mittel zur Verfügung. Trotz punktueller Zuschüsse und des wachsenden Engagements der Berliner Universitäten konnte eine langfristige Absicherung bislang noch nicht gefunden werden. Um so erfreulicher entwickelte sich das Interesse an Eisler anlässlich seines 100. Geburtstages im Jahre 1998. Die Aktivitäten gingen weit über Berlin hinaus, wo die Akademie der Künste eine Ausstellung und die Eisler-Gesellschaft einen internationalen Kongress organisierten. Trotz der Veranstaltungen in seiner Geburtstadt Leipzig hielten sich die neuen Bundesländer eher zurück, wohl noch geprägt von alten Klischeebildern. Dagegen fanden in Bremen (Deutsche Kammerphilharmonie), Frankfurt (Ensemble Modern), Saarbrücken (Musikhochschule), Hamburg (Musikhochschule), Wien (Klangforum), Zürich und anderswo mehrtägige Eisler-Feste statt. Im Zentrum der Entdeckungen stand nicht der Kampfliedkomponist, sondern der Schönberg-Schüler. Mit einer bis dahin unbekannten Detailtreue und Perfektion interpretierten Matthias Goerne und Eric Schneider in Los Angeles, London, Wien, Hamburg, Berlin und Leipzig das „Hollywooder Liederbuch“. Dieses musikalische Exiltagebuch trat damit ebenso wie das bislang unterschätzte Streichquartett gleichberechtigt neben die längst anerkannten„Vierzehn Arten den Regen zu beschreiben“. Dass auch der Denker von dem Komponisten nicht zu trennen ist, führte Heiner Goebbels in den Montagen seines „Eisler-Materials“ sinnvoll und sinnlich vor Ohren. Die weltweiten Aufführungen, so auch beim repräsentativen „Musica Nova“-Festival in Brasilien, machten deutlich, dass das enge Etikett des DDR-Komponisten Eisler nicht gerecht wird. Schließlich entstanden seine Werke nicht nur in Berlin, sondern auch in Wien, Kopenhagen, Paris, Mexiko, New York oder Los Angeles. Sie wurden und werden rund um dem Globus gespielt. Seine letzten Lebensjahre in der DDR waren dagegen eher Jahre des Scheiterns. Wenn 1998 überhaupt Werke aus dieser Phase aufgeführt wurden, dann meist die „Ernsten Gesänge“, seine letzte Komposition. Christoph Poppen, der Rektor der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin, war von ihnen so beeindruckt, dass er sie auch mit dem Münchner Kammerorchester dirigierte. Außerhalb hartgesottener CSU-Kreise ist so das Klischeebild vom „Staatskomponisten“ Eisler allmählich verschwunden. Der Berliner Senat entschloss sich in diesem Sommer, das Grab des Komponisten auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof als Ehrengrab anzuerkennen.

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