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Für Mitarbeiter in den Bundesministerien waren der Herbst 1990 und das Frühjahr 1991 eine „wilde“ Zeit. Bis zum Beitritt der ostdeutschen Länder, die früher die DDR gebildet hatten, gab es einen ordentlichen DDR-Haushalt, nach dem 3. Oktober gab es auf der Bundesebene interministerielle Arbeitsgruppen, die die Aufgabe hatten, eine Überleitung in den Bundeshaushalt herzustellen.
Akribisch wurden Zweckentsprechungen hergestellt, um die für die jeweiligen Zwecke im DDR-Haushalt veranschlagten Mittel auf den Bundeshaushalt zu übertragen. In der kulturellen Jugendbildung ging das leider nicht, weil im DDR-Haushalt einfach keine Mittel gefunden wurden. Dies hing, so wurde gesagt, damit zusammen, daß die kulturelle Jugendbildung in der DDR über die FDJ betrieben wurde, die ihre Mittel am ordentlichen DDR-Haushalt vorbei direkt erhielt, ohne daß sie im Haushalt veranschlagt worden wären. Damit standen nicht einmal Schätzwerte zur Verfügung, in deren Rahmen man die jugendkulturellen Aktivitäten in Ostdeutschland über den Bundeshaushalt erhalten konnte. Hinzu kam, daß der Bundeshaushalt 1991 später als gewöhnlich in Kraft trat, so daß ein großes finanzpolitisches Vakuum entstand, das inhaltlich gleichwohl gefüllt werden mußte. Dieses Vakuum mußte auch von den Trägern der kulturellen Jugendbildung mitgetragen werden, denn sie machten schließlich die eigentliche Arbeit, für die sie vom Bund Zuwendungen erhielten – oder auch nicht. Für mich nach wie vor vorbildlich gelöst hat der Verband deutscher Musikschulen, diese Aufgabe. Bereits im Frühjahr 1990 hatten die im VdM zusammengeschlossenen westdeutschen Musikschulen ihren Kollegen in Ostdeutschland geholfen, einen eigenen Verband zu gründen (bis dahin wurden sie ja unmittelbar von staatlichen Stellen geführt), der dann ein gleichwertiger Gesprächspartner bei einer Vereinigung beider Verbände war. Als die beiden Verbände zum Jahresende 1990 fusionierten, schienen die Probleme schon weitgehend gelöst oder doch einvernehmlich auf einen guten Weg gebracht, bis auf eines: das Rundfunk-Musikschulorchester, das nationale Jugendorchester der DDR. Und das in einem Augenblick, als das Orchester seine erste Reise nach der „Wende“ ins westliche Ausland machten durfte, eine Reise nach Spanien auf Einladung der „Jeunesses musicales“ von Katalonien, geplant noch zur Regierungszeit von Erich Honecker. Ohne einschätzen zu können, ob die weitere Existenz dieses Orchesters kulturpolitisch (neben dem Bundesjugendorchester) und jugendpolitisch (neben den vielen anderen Aktivitäten der Musikschulen) sinnvoll, notwendig oder nur eine schöne Ergänzung war, habe ich mich damals bemüht, die Reisekosten für die Spanienreise des Orchesters im Ministerium lockerzumachen, einfach aus der Überlegung heraus, daß alles, was im Osten an kulturellen Aktivitäten existierte, so lang wie möglich aufrechterhalten werden mußte, bis im ruhigeren finanzpolitischen Fahrwasser gemeinsame Entscheidungen getroffen werden konnten. Kurzum, das Unternehmen gelang, und zusammen mit dem Bundesgeschäftsführer des Verbandes deutscher Musikschulen, Rainer Mehlig, und dem für Spanien zuständigen Mitarbeiter des Internationalen Jugendaustausch- und Besucherdienstes für die Bundesrepublik Deutschland e.V. (IJAB), Dieter Recht, habe ich das Orchester auf der Spanienreise begleitet. Da über diese Reise schon verschiedentlich berichtet worden ist, will ich hier nur auf einen Punkt eingehen, der naturgemäß in der breiten Öffentlichkeit überhaupt nicht wahrgenommen werden konnte und sollte. Das Orchester hatte seine Konzerte in Spanien mit Bravour absolviert, wir Begleiter waren alle beflügelt von der guten Stimmung und der täglich lockerer werdenden Atmosphäre, aber nun war der Zeitpunkt nicht mehr zu verdrängen, an dem die Frage im Raum stand: Wie soll es jetzt mit dem Orchester weitergehen? Es mußte noch an Ort und Stelle eine Entscheidung über die nächste Arbeitsphase getroffen werden, sonst lief das Orchester auseinander und war nicht mehr zusammenzubekommen. Andererseits hatten wir keine Ahnung, ob Mittel zur Verfügung stehen würden, allein schon, um die nächste Arbeitsphase finanzieren zu können. Schließlich haben Rainer Mehlig und ich uns entschlossen, zur nächsten Arbeitsphase einfach einzuladen und im allerungünstigsten Fall die Kosten dafür privat zu tragen. Bekanntlich wurden die Mittel für das Orchester von der damaligen Bundesjugendministerin Angela Merkel zur Verfügung gestellt, Gespräche mit dem Deutschen Musikrat ergaben, daß auch er die Weiterexistenz des Orchesters begrüßte und keine Konkurrenz zum Bundesjugendorchester sah, so daß der VdM auf sicherem Boden stand, als er endgültig die Trägerschaft für das Orchester übernahm. Das Orchester, inzwischen umbenannt in Deutsches Musikschulorchester, stellt nach wie vor eine permanente innerdeutsche Jugendbegegnung dar und musiziert auf einem Niveau und mit einer Intensität, die auch alterfahrenen Musikschullehrern die Augen mitunter feucht werden läßt. Das, was die Mitglieder dieses Orchesters in intensiver Orchesterarbeit im DMO lernen, wird im übrigen – ein ganz wichtiger Förderungsaspekt – durch die einzelnen wieder zurückgetragen in die Musikschulen vor Ort und kommt damit der gesamten Musikschullandschaft zugute. Allen, die zum immer wiederkehrenden Gelingen dieser Orchesterarbeit beigetragen haben und noch beitragen, möchte ich an dieser Stelle ganz persönlich danken. Nach 37 Dienstjahren als Beamter habe ich die Erfahrung gemacht, daß persönliches Risiko meist nicht honoriert wird. Dieser Fall liegt anders.