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Berliner Volksbühne wird zu Schlingensiefbühne: Bewegendes Theaterfest zu Ehren des verstorbenen Theaterregisseurs

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Er war allgegenwärtig - und das machte seinen Verlust nur umso schmerzvoller bewusst. Von Samstagabend bis zum frühen Sonntagmorgen war die Volksbühne in Berlin zu einer Schlingensiefbühne mutiert. Gefeiert wurde zu Ehren des vor wenigen Wochen im Alter von 49 Jahren gestorbenen Theaterregisseurs Christoph Schlingensief. Rund 2.000 Freunde, Fans, Weggefährten und Schaulustige waren bei freiem Eintritt gekommen, um in dem Haus Abschied zu feiern, das Schlingensief über Jahre hinweg maßgeblich prägte. Filme, Fotos, Dias, Plakate, Lesungen, Diskussionen und Aufführungen erinnerten an einen der größten deutschen Regisseure der vergangenen Jahrzehnte.

Schlingensiefs Energie, sein Enthusiasmus, sein Idealismus wurden bei dem bewegenden Theaterfest mit dem Titel "Gedenken 3000" noch einmal erfahrbar. Auf Leinwänden und Monitoren, die überall im Theater verteilt waren, von den Foyers über die Treppenhäuser bis hin zu den Lounges, wurden seine Projekte gezeigt. Zu sehen war ein junger, wild entschlossener Mann, der die Partei Chance 2000 gründete, der Regie bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth führte, der provozierende Filme wie "Das deutsche Kettensägenmassaker" oder "Terror 2000" drehte. Zu sehen war ein junger Mann, der Anfang der 90er Jahren in der RTL-Talkshow "Explosiv" der damaligen Ministerin Angela Merkel Contra gab, weil diese die rüden Gewaltdarstellungen im Fernsehen rügte.

Castorf im Trainingsanzug

Volksbühnen-Intendant Frank Castorf, gekleidet in einen grauen Adidas-Trainingsanzug, eröffnete den Abend. An einer großen Tafel sitzend gab er das Startsignal für die Ausstellung, wie er das Fest nannte. Der Tisch quoll fast über, so viel Brot, Käse, Wein und Kuchen hatten die Gäste mitgebracht. Gemeinsam wurde dann in wechselnden Besetzungen den ganzen Abend über gespeist. Für Abwechlsung sorgte eine junge Sängerin im roten Kleid, die in Stöckelschuhen auf der Tafel stehend Schubert-Lieder sang - unter anderem "Die Hymne an die Jungfrau".

So herrlich dekadent-absurd hätte es wohl auch dem großen Provokateur Schlingensief gefallen, der am 21. August an  Lungenkrebs gestorben war. Er fehlte - der Platz auf der Bühne im großen Saal der Volksbühne, der Ledersessel vor der Leinwand, auf der seine Filme liefen, blieb leer. Berührend, als Super-8-Filme aus seiner Kindheit gezeigt wurden - und der Regisseur mit brechender Stimme von der niederschmetternden Prognose seiner Ärzte erzählte.

Der Traum vom afrikanischen Operndorf

Viele ehemalige Kollegen Schlingensiefs waren gekommen. René Pollesch, Sophie Rois, Angela Winkler, Carl Hegemann und Jürgen Kuttner waren da, auch Claus Peymann schaute vorbei. Martin Wuttke las Texte aus Schlingensiefs Drehbüchern vor. Auch Behinderte, die Schlingensief für einige seiner Projekte ausgewählt hatte, amüsierten sich und sahen sich Dokumentationen über ihre Arbeiten mit dem aus Oberhausen stammenden Kultregisseur an.

Viel Raum beim Abschiedsfest nahm das Projekt ein, das Schlingensief bis zu seinem Tod nicht mehr los ließ - und für das er
prominente Fürsprecher, unter anderem den ehemaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier gefunden hatte: Ein Operndorf in Afrika. Eine schwarze Künstlerin trug mitreißende Gospels vor, ein großer, lebendiger Hase scharte in einem Holzkäfig, Monitore und Poster zeigten Bilder von Afrika und Entwürfe vom ambitionierten, in Burkina Faso geplanten Projekt, für das Schlingensief im Februar den Grundstein gelegt hatte. Ohne Schlingensief fehlt nun aber der große Antreiber. Vielleicht kann sein Traum aber doch Realität werden. Spenden werden eifrig gesammelt - auch oder gerade in dieser Nacht des Abschieds.

Vor der Volksbühne stand ein Auto, das 2004 an der von Schlingensief initiierten sogenannten Wagner-Ralley der Ruhrfestspiele Recklinghausen teilgenommen hatte. Aus einem Megaphon dröhnte Wagner-Musik vom Autodach. Hinter dem Steuer saß ein riesiger Plüschhase. Hasen mochte Schlingensief, auch wegen dem von ihm sehr geschätzten Joseph Beuys. Dieser hatte  bemerkt, Hasen seien Symbol der Inkarnation - der Menschwerdung einer Gottheit.

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