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Als sich die sechs Mädchen im Alter von 10 bis 13 Jahren 2005 zusammentaten, nannten sie sich „Chickpeas“ (Kichererbsen). Heute zählen die jungen Damen von „Sjaella“ zu den renommiertesten Frauenstimmen im internationalen a-cappella-Gesang. Foto: Helge Krü
Als sich die sechs Mädchen im Alter von 10 bis 13 Jahren 2005 zusammentaten, nannten sie sich „Chickpeas“ (Kichererbsen). Heute zählen die jungen Damen von „Sjaella“ zu den renommiertesten Frauenstimmen im internationalen a-cappella-Gesang. Foto: Helge Krü
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Begegnung und Austausch als Konzept

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Resonanzen von der A-cappella-Woche Hannover
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Die Internationale A-cappella-Woche ist ein musikalischer Fixstern in Hannover und in der Region. Jährlich bringen die Veranstalter höchst qualitätvolle Gruppen auf die Bühnen und wissen auf Grund ihrer eigenen Aufbauarbeit über mehr als 20 Jahre, dass die Konzerte gut besucht sind und ein breites Publikum dieses Festival schätzt. In diesem Jahr standen skandinavische Ensembles im Fokus – aber natürlich auch Newcomer aus der Region. Manches freche und ursprüngliche musikalische Erlebnis konnten die Besucher erleben.

Umgangssprachlich glauben immer noch viele Konzertbesucher, dass ein „A-cappella-Konzert“ ein Konzert ist, in dem nur menschliche Stimmen zu hören sind, ein Konzert ohne „Kapelle“, ohne Instrumente also. Tatsächlich gibt es diese reinste Form der Chormusik eigentlich erst seit dem 19. Jahrhundert. Ursprünglich bezeichnet der Begriff eine Musik „nach Art der Kapelle“ – eine Musik, die anfangs in der Sixtinischen Kapelle aufgeführt wurde, eine mehrstimmige geistliche Musik in der die menschlichen Stimmen von Ins­trumenten begleitet oder verdoppelt wurden.

Die Internationale A-cappella-Woche Hannover widmet sich seit 2001 eher der Musik, die auf Gruppierungen des beginnenden 20. Jahrhunderts, wie etwa die „Comedian Harmonists“, zurückgeht – Vokalensembles, die einen eher populärmusikalischen Stil pflegen. Oft sind ihre musikalischen Beiträge Coverversionen von Songs aus dem Rock- und Pop-Bereich. Ihre Instrumente sind ihre Stimmen und eine menschliche Beatbox, die auf vokalem Weg – vereinfacht gesagt – das Schlagzeug ersetzt.

Feste Größe in Hannover

Die 21. Internationale A-cappella-Woche Hannover vom 29. April bis zum 7. Mai widmete sich wieder hauptsächlich der letzten Gattung. Neben Gruppen aus Deutschland, Slowenien und Frankreich lag der Schwerpunkt mit Rajaton (Finnland), Sønk (Dänemark), Tuuletar (Finnland) und Pust (Norwegen) bei den skandinavischen Vertretern dieser Musikrichtung. Dabei stehen Rajaton und Sønk eher für Coverversionen von ABBA bis hin zu Pop und Rhythm and Blues. Tuuletar und Pust verzaubern mit ihren mystischen Klängen, die gern auf Motive der nordischen Folklore zurückgreifen.

Seit der Gründung 2001 hat sich die Internationale A-cappella-Woche zu einer festen Größe in der Region Hannover entwickelt. Sie ist nicht nur eine Ansammlung von exzellenten Konzerten, die man über eine Woche hin abarbeitet und sich daran erfreuen kann. Viel größer scheinen die unaufdringlichen pädagogischen Bedürfnisse der Veranstalter, des Vereins „Lausch Kultur Hannover“, und der unbedingte Wille nach Vernetzungen zu sein.

Noch im 21. Jahr betreibt Lausch Kultur Aufbauarbeit. An jedem Festivaltag findet der Singtreff, eine Stunde offenes Singen, statt. Die studierte Chorleiterin Maritta Salzer, die mehrere Chöre in der Region Hannover leitet und bei Vivid Voices, dem Jazzchor der Musikhochschule, mitsingt, macht diese Arbeit seit einigen Jahren. Sie weiß die etwa 100 Sänger, die täglich vorbeischauen, mit einfachen und wirkungsvollen Übungen und kleinen Stücken schnell zum gemeinsamen mehrstimmigen Singen und Erleben zu bringen. Roger Cicerius, Vorsitzender der „Lausch Kultur“, weiß, dass aus dieser Arbeit geradezu ein „Fundus an neuen Fans“ hervorgegangen ist.

Ebenso selbstverständlich gibt es ein nachmittägliches Kinderkonzert für die 5- bis 14-Jährigen mit einer Gruppe, die am Abend für die Erwachsenen singt. In diesem Jahr war es ein Programm mit Maybebop, die – ebenso wie Quintense – auch einen Schul-Workshop gestaltet haben. Die jungen Zuhörer in den Abendkonzerten, die auf diese Anregungen hin gekommen sind und zum Teil ihre Eltern mitgebracht haben, fallen auf – sie sind nicht das „normale“ zu erwartende Konzertpublikum. Aber sie sind die Vorboten der nächsten Publikumsgeneration, die mit einem positiven Erlebnis gestärkt nach Hause gehen. Diese mittlerweile selbstverständliche Aufbauarbeit der A-cappella-Woche kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Genieße die Musik

Aber auch den Erwachsenen und Semi-Profi-Musikern wird Anreiz und Fortbildung geboten. So vermittelte die französische Gruppe „Humanophones“ in einem Workshop, wie der Körper, „das älteste Musikinstrument auf dieser Erde“, sich in ein klangvolles, rhythmisches Instrument verwandeln lässt. In Bückeburg traf dann der französische Dirigent und Bassist Lionel Meunier, Gründer und künstlerischer Leiter des preisgekrönten belgischen Vokalensembles „Vox Luminis“ auf den regionalen Kammerchor „Cantemus“. Mit wenigen kleinen Hinweisen, die Atemtechnik und Aussprache betrafen, rundete er ein eigentlich schon zu Ende geprobtes Stück noch einmal ab. Seine Botschaft liegt in der „Simplicity“, der Einfachheit, und der Aufforderung „enjoy the music“.

Dass Cantemus im Konzert von Vox Luminis natürlich quasi als Vorprogramm mit drei Liedern auftreten durfte, muss eigentlich nicht extra erwähnt werden, so ist das Konzept des Festivals. Dass Ensembles, die sich zuvor ein Konzert geteilt haben, am Ende auch gemeinsam auftreten, ist Teil des Festivaldenkens. Dadurch entstehen musikalische Freundschaften, neue Ideen und Projekte.

Ebenso darf sich natürlich neben alteingesessenen Profis eine junge Formation wie „Voxerience“ aus Hannover mit ihrem ersten öffentlichen Auftritt hier ausprobieren (und überzeugen). Mit all diesen Aktionen kann das Festival auf gut gefüllte Konzerte, ein großes und begeistertes Stammpublikum, das zum Teil weite Anreisen (Bayern) auf sich nimmt, und eine tiefe Verwurzelung in der regionalen und internationalen Musikszene blicken.

Natürlich bilden den Hauptteil der Woche die allabendlichen Konzerte an unterschiedlichen Orten, die für alle Facetten des regionalen Musikbetriebes stehen: Kirchen, Theater, Konzertsäle, Kulturzentren. Wenn Cericius am Ende des Festivals sagt „wir haben in dieser Woche von Thomas Tallis bis hin zu ‚total durchgeknallt‘ alles gehört“, dann beschreibt er nicht etwa einen musikalischen Bauchladen, wo alles verfügbar ist und auch angeboten wird. Vielmehr umreißt er die Weite des Angebotes, von Vox Luminis mit ihrem Programm „Light & Shadow“, hauptsächlich englische Vokalmusik des 16. und 17. Jahrhunderts, über amerikanische College-a-cappella-Musik von Voxerience, Volkslieder von Maybebop, zu stimmlichen Urgewalten von Tuuletar und Pust bis hin zu Body Pop Music von Humanophones, die jeden nur erdenklichen Teil ihres Körpers als Resonanzraum verwenden.

Follikelchor vor dem Altar

Großartig ist der Mut, den Lauschkultur beweist, wenn Sie Rajaton in der Neustädter Hof- und Stadtkirche auftreten lassen. Darf man das Gejohle und Füßegetrampel als ersten Schritt dahin verstehen, dass Kirchen bald nur (!) noch (!) Konzertsäle sein werden? Oder sollte die evangelische Kirche doch einmal über den Begriff „Andachtsraum“ nachdenken, wenn sie (unbestritten hervorragende, aber vielleicht unpassende) Gäste einlädt? In eine ähnliche Richtung sollte man vielleicht denken, wenn Sjaella mit ihrem wunderbaren Programm „Origins“ Zyklen nachspürt, „die den Menschen seit Anbeginn umgeben“ und den weiblichen Zyklus in vertonter Form (mit dem lockeren Ausruf des Follikelchores: „Auf ein Neues, Freunde!“) vor dem Altar einer katholischen Kirche besingen …

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