Es liegt etwas in der Luft … junge Chöre sprießen mancherorts wie Pilze aus dem Boden, a-cappella-Festivals erleben einen enormen Zulauf, Kinder- und Jugendchöre verzeichnen Zuwachszahlen, nach jahrelangen Warnrufen vor der verstummenden Nation stellen Feuilletons eine Renaissance des Singens fest, das deutsche Volkslied feiert im besten Sinne fröhliche Urständ und ausgerechnet mit einer Medienkooperation für Wiegendlieder wird eine Resonanz erzeugt, die sich niemand hätte träumen lassen. An den Hochschulen wird dieser Trend durch die Einrichtung entsprechender Professuren und vokal profilierter Studiengänge aufgegriffen, und selbst mancher Politiker hat erkannt, dass es lohnend sein könnte, wenn schon nicht wie weiland Bundespräsident Scheel auf den gelben Wagen, so doch immerhin auf den anrollenden Zug der Chorszene in Deutschland aufzuspringen.
Ist das eine neue Singbewegung? Der Begriff ist besetzt, und der Vergleich zur Singbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts hinkt natürlich in vielen Punkten. Aber bemerkenswert ist doch, dass rund hundert Jahre nach dem Wandervogel und der von der singenden Jugend getragenen Aufbruchsstimmung wieder einige Tendenzen aufscheinen, die im wahrsten Sinne des Wortes aufhorchen lassen. Niemand wünscht sich die problematischen Facetten zurück, die besonders durch eine nationalistische Vereinnahmung zweifellos entstanden sind, und die später in einer radikalen Pendelbewegung weg vom gemeinschaftlichen Singen die bekannt fatalen Folgen zeitigten. Aber auch heute werden junge Menschen vom Singen bewegt, schließen sich in Gruppen zusammen, um diese Leidenschaft zu pflegen, wenden sich oft erfrischend unverkrampft und neugierig den Liedern und Formen zu, die zurecht nie ganz verschwunden waren, sie entwickeln aber auch unter Einbeziehung einer aktuellen Musik- und Lebenswelt neue Strukturen, neue musikalische Genres und Ausdrucksebenen und nicht zuletzt neue Präsentationsformen.
Jede Bewegung kann man in zwei Richtungen vollziehen und auch deuten: Man kann sich von etwas absetzen oder man kann sich etwas anderem zuwenden, in manchen Fällen schließt eines das andere nicht aus. Und so ist es auch in der Chorszene 2011 nicht eine unkritisch und harmonieselig geläuterte Jugend, die endlich wieder erkennt, dass sie nur im örtlichen Kirchenchor oder im Gesangsverein glücklich werden kann, sondern es ist eine selbst- und vor allem eine qualitätsbewusste Schar von Kindern, Jugendlichen und nicht zuletzt auch jungen Erwachsenen, die mehr wollen, als es der Teil der Chorszene bieten kann, der parallel zu allen oben beschriebenen positiven Tendenzen weiterhin kränkelt und teilweise auch im Absterben begriffen ist. Das geht nicht ohne Reibungsverluste, nicht ohne bewusste Abspaltung und manchmal auch nicht ohne Verletzungen ab.
Die nmz möchte diese Entwicklung begleiten und allen Chor-Affinen oder auch Chor-Fanatischen auf einer neuen, eigenen Chorseite ein Forum bieten. Neben ausgewählten Informationen zu besonderen, überregional bedeutsamen Aus- und Fortbildungsangeboten sowie innovativen Veranstaltungen werden Fachbeiträge zu aktuellen und zeitlosen Themen stehen. Die in dieser Ausgabe mit Volker Hempfling begonnen Rubrik „Denk ich an Chor …“ soll sowohl zum Nachdenken als auch zum heftigen Zustimmen wie Widersprechen ermuntern. Wie lebendig und chor-lebensnah diese Seite sich entwickelt, hängt nur zum Teil von der (versprochen!) um Ausgewogenheit und Substanz bemühten Redaktion ab – sie wird umso lebendiger, je lebendiger die Chorszene ist, die sich in ihr spiegelt. So wünscht zum Start den Lesern viel Gewinn und sich selbst konstruktiv kritische Begleitung,
Robert Göstl