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Feiert im Herbst sein 40-Jähriges: der via-nova-chor München. Foto: via nova
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Das ganze Spektrum moderner Chormusik abbilden

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Dirigent Florian Helgath im Gespräch über die neue CD des via-nova-chors München
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Seit fast 40 Jahren steht der Münchner via-nova-chor für qualitativ hochwertige Interpretationen moderner Chormusik. 35 Jahre lang leitete Kurt Suttner das teils aus ausgebildeten Sängern bestehende Laien-Ensemble und führte es zu internationalem Renommee. 2008 wählten die Chormitglieder den jungen Regensburger Florian Helgath zum neuen Dirigenten. Im Februar 2012 ist nun die erste CD des Chores unter dessen Leitung erschienen.

neue musikzeitung: Herr Hel­gath, Ihre aktuelle CD ist mit dem Titel „Contemporary Choral Music“ thematisch relativ weiträumig umschrieben. Welche Überlegungen stecken hinter der Programmauswahl, die Schnittke, Holliger, Ravel mit Nikolaus Brass, Sven-David Sandström, Thomas Jennefelt oder dem lettischen Komponisten Vaclovas Augustinas zusammenbringt?

Florian Helgath: Mir war es wichtig, mit unserer Aufnahme das stilistische Spektrum moderner Chormusik darzustellen, wie wir es als Chor abdecken. Deshalb auch die verhältnismäßig breite stilistische Streuung. Da ist ja beinahe alles drin, was es an zeitgenössischer Chormusik gibt. Mit Ausnahme von Bruckners „Os justi“, das man als Hinweis darauf verstehen kann, dass wir in unseren Konzerten den Brückenschlag mit dem klassisch-romantischen Repertoire durchaus vollziehen. Wir verschließen uns also nicht dem Mischprogramm.

nmz: Ein interessanter Ansatz in Sachen Brückenschlag zwischen Alt und Neu ist Holligers „Winter I“ aus „Die Jahreszeiten“ (Scardanelli-Zyklus), das auf Ihrer CD mit Bachs Choral „Komm, o Tod, du Schlafes Bruder“ verwoben wird. 

Helgath: Das erklärt sich daraus, dass Holligers Stück eine Art „Klangnegativ“ dieses Bachchorals ist. Das heißt, Holliger hat die Töne benutzt, die bei Bachs „Klangpositiv“ nicht klingen, darüber wird dann noch ein Hölderlin-Text gesprochen. Klingt sehr konstruiert, aber das Schöne bei Holliger ist, dass trotz dieses konstruierenden Ansatzes wahnsinnig tolle Musik herauskommt. Meine Idee dazu war, das Klangpositiv, den Bachchoral, direkt anzuschließen. Es hat einfach eine immense Wirkung, wenn sich aus dieser diffusen Klangwolke der vierstimmige Choral herausschält.

nmz: Kurt Suttner, Ihr Vorgänger, hat sich stark an moderner skandinavischer Chormusik orientiert und künstlerischen Kontakt zu Eric Ericson gepflegt. Auch Sie selbst sind als Leiter des Dänischen Rundfunkchores bereits in diesem Kulturraum aktiv und haben jetzt mit dem Schweden Sven-David Sandström und dem Norweger Ola Gjeilo zwei skandinavische Komponisten aufgenommen. Kommt man in der modernen Chormusik immer noch nicht an den Skandinaviern vorbei?

Helgath: Es ist tatsächlich so. Wenn man sich nur die moderne A-capella-Chormusik anschaut, kommt man um die Skandinavier nicht herum. Mittlerweile haben natürlich auch andere Länder gute Chorkomponisten, wobei Skandinavien – und hier besonders Schweden – immer noch am fruchtbarsten ist. Was die Tradition innerhalb des Chores angeht, möchte ich natürlich Kurt Suttners Erbe weitertragen, wobei ich einige Dinge anders angehe…

nmz: … zum Beispiel? …

Helgath: ...zum Beispiel die bereits angesprochenen Mischprogramme. Das hat unter meiner Leitung sicherlich zugenommen, Kurt Suttner war da oft konsequenter auf Seiten der Neuen Musik...

nmz: ... vielleicht, weil die Zeiten damals kämpferischer waren und Suttner die Stellung der modernen Chormusik erst ausbauen und etablieren musste, was Ihnen heute erspart wird …

Helgath: … das mag durchaus sein. Ich denke manchmal aber auch – nicht aus kommerzieller Sicht – an unsere Zuhörer in den Konzerten. Wir haben nicht nur Stammhörer, sondern auch viele Leute, die zum ersten Mal kommen. Für die ist es leichter, Neue Musik aufzunehmen, wenn sie neben etwas Altem erklingt. Das muss keine leichte oder sogar seichte Musik sein, aber eine andere Klangfarbe kann eine wichtige Orientierungshilfe sein, wenn man an Atonales nicht gewöhnt ist. Hier gehe ich mehr auf die Hörer zu als Kurt Suttner, aber im Großen und Ganzen möchte ich, wie gesagt, die Arbeit mit dem Chor in seinem Sinne fortsetzen.

nmz: Der sakrale Schnittke auf Ihrer CD beispielsweise ist weder schwergängig noch atonal. Eher spürt man eine gewisse Nähe zu Pärt, der nicht gerade für die Sperrigkeit seiner Musik bekannt ist. Sie haben als Chorleiter, der sich überwiegend um modernes Repertoire kümmert, also durchaus Möglichkeiten, auch Werke abseits herber Avantgarde zu finden.

Helgath: Ja, wenn man die Entwicklung der Chormusik anschaut, ist zu beobachten, dass Komponisten vor 30 Jahren oft wesentlich atonalere Chormusik geschrieben haben, als es heutige Komponisten tun. Es gibt also einen Trend, nicht hin zum Schönklang, aber zurück zum linear Singbaren. Ich würde behaupten, dass in der Vergangenheit viele Komponisten an der Stimme vorbeikomponiert und eine Akrobatik zugrunde gelegt haben, die vielleicht bei Instrumentalmusik machbar, aber nicht zweckmäßig für Gesang ist. Wie bereits erwähnt, habe ich versucht, auf unserer CD ganz unterschiedliche Beispiele für moderne Chormusik zu finden, und deshalb folgt hier das eher komplexe und sperrige „O Domine“ von Thomas Jennefelt auf eine sehr klangschöne, liebliche „Hymne à Saint Martin“ von Vaclovas Augustinas. 

nmz: Legen Ihnen die Fähigkeiten eines Laienchores, auch wenn er über einen größeren Teil ausgebildeter Sänger verfügt, in gewisser Weise Ketten an?

Helgath: Die Grundvoraussetzungen sind bei Profis natürlich generell besser als bei Laien. Laien können aber durch schiere Begeisterung über sich hinauswachsen. Insofern ist ein Laienchor unter Umständen belastbarer als ein Profichor. „Soupir“ von Ravel haben wir zum Beispiel erst zwischen halb elf und zwölf Uhr nachts aufgenommen. Für dieses von Clytus Gottwald bearbeitete Stück braucht man einen ganz leichten, impressionistischen Sound, den wir am nächsten Morgen wohl erst wieder nach dreistündigem „Wachsingen“ hinbekommen hätten. So etwas würde mit einem Profichor nie funktionieren. Das Arbeitstempo beim via-nova-chor ist allerdings sehr gut im Vergleich zu einem klassischen Laienchor. Blattsingen ist kein Problem, und es gibt wirklich nur sehr wenige Stücke, die ich mit dem Chor nicht machen kann. Von daher ist es wunderbar, dass ich mit einem Chor arbeiten kann, mit dem fast alles möglich ist. 

nmz: Was wird sich der via-nova-chor zum 40. Jubiläum im Herbst 2012 einfallen lassen?

Helgath: Es wird im Oktober ein Konzert im Münchner Prinzregententheater geben, bei dem auch Kurt Suttner einen Teil des Programms mit dem Chor erarbeiten wird. Die Hälfte unserer aktuellen Sänger hat noch unter seiner Leitung mitgesungen und die freuen sich natürlich, ihn wiederzusehen. Die anderen sind sehr gespannt darauf, ihn endlich kennenzulernen. Ich übrigens auch, denn wir beide haben ja bisher noch nicht die Gelegenheit gehabt, miteinander zu arbeiten.

Interview: Jörg Lichtinger

via-nova-chor: Contemporary Choral Music. CD, Spektral Records SRL4-11098

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