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„Der schönste Beruf der Welt“

Untertitel
Chorleiter*innen im deutschsprachigen Raum: Werdegang, berufliche Praxis und ihre Sichtweisen auf Chorsingen · Teil 1
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Zwischen März und Juli 2019 wurde am Department für Musikpädagogik Innsbruck der Universität Mozarteum eine Studie über Chorleitende durchgeführt. Chorleiter*innen aus dem deutschsprachigen Raum konnten an dieser Online-Untersuchung teilnehmen und Fragen zu ihrer berufsbezogenen Biographie, ihrer Berufspraxis sowie ihrer Ansicht zu verschiedensten Themen des Chorsingens und Chorleitens beantworten.

Dreihundertsechsundreißig Chorleitende (etwa die Hälfe aus Deutschland, ein Drittel aus Österreich sowie Personen aus Südtirol und der Schweiz) füllten den kompletten Online-Fragebogen aus. Davon sind etwas mehr als die Hälfte (55%) Frauen. Im Durchschnitt sind die Chorleitenden 47 Jahre alt, besitzen zu über zwei Dritteln einen Hochschulabschluss und mehr als die Hälfte von ihnen ist hauptberuflich im Bereich Musik (Chorleitende, Instrumental- oder Gesangslehrer*innen, Musiklehrende an allgemeinen Schulen, Konzertmusi­ker*innen, Orchestermusi­ker*innen) tätig. Bereits seit durchschnittlich 21 Jahren üben sie die Tätigkeit des Chorleitens aus, nachdem sie diese im Alter von etwa 26 Jahren begonnen hatten. Über 80 Prozent der erfassten Chorleiterinnen und Chorleiterhaben eine entsprechende Ausbildung absolviert, dabei am häufigsten ein Musikstudium. Dies wird in Abbildung 1 dargestellt.

Im Altersvergleich zeigt sich, dass vor allem jüngere Chorleitende (<35 Jahre) im Rahmen eines Studiums ausgebildet wurden (70%). In der Gruppe der über 65-Jährigen wurde nur von 45 Prozent ein Studium absolviert. Andere Ausbildungsformen (z.B. Lehrgänge) sind hier häufiger vertreten.

Im Durchschnitt wurde die Ausbildung in einem Alter von 27 Jahren begonnen, wobei der erste Chor schon mit etwa 26 Jahren geleitet wurde. Es liegt nahe, dass viele Chorleitende zunächst einen Chor übernommen und sich dann für eine Ausbildung zur Chorleitung entschieden haben. Diese dauert dann durchschnittlich drei Jahre. Jüngere Chorleitende berichten von einer signifikant längeren Ausbildungszeit als ältere Chorleitende.

Musikalischer Bildungsweg der Chorleiter*innen

Der musikalische Bildungsweg hat bei den Teilnehmenden schon früh begonnen: So besuchten über zwei Drittel eine Schule mit musikalischem Schwerpunkt, 70 Prozent besuchten Gesangs- und Instrumentalunterricht, 26 Prozent nur Instrumentalunterricht und zwei Prozent nur Gesangsunterricht (die restlichen acht Personen haben keinen Gesangs- oder Instrumentalunterricht besucht). Von 336 Teilnehmenden spielen 330 ein oder mehrere Instrumente. 20 Prozent haben speziell für die Chorleitungstätigkeit ein Instrument erlernt, dabei vor allem Klavier oder Orgel.

Mit dem Chorsingen begannen die Chorleiter*innen ungefähr im Alter von 12 Jahren, wobei 92 Prozent der Chorleitenden bis zum Alter von 20 Jahren Mitglieder eines Chores wurden. Im Vergleich zu vorhergehenden Studien zu Chorsänger*innen haben die Chorleitenden dieser Studie früher mit dem Singen begonnen als die Chorsänger*innen: So fingen die 3145 Personen, die von Kreutz und Brünger (2012) befragt wurden, mit durchschnittlich 14 (Frauen) und 17 (Männer) Jahren zu singen an.

Bei den 1.570 Teilnehmenden der Studie von Henning & Vigl (2019a) begannen die Sänger*innen mit etwa 15 Jahren. Personen, welche später selbst Chöre leiten, scheinen also schon früher in gemeinschaftliches Singen eingebunden zu sein. Wie auch in den eben erwähnten Studien haben Chorleiterinnen der vorliegenden Untersuchung signifikant früher mit dem Singen begonnen (etwa mit 10 Jahren) als Chorleiter (etwa mit 14 Jahren). Damit kann auch erklärt werden, warum Frauen vor der eigenen Chorleitungstätigkeit etwa 13 Jahre im Chor gesungen haben, Männer hingegen nur etwa 10 Jahre.

62 Prozent der Frauen und 53 Prozent der Männer sangen als Kinder im Kinderchor; 70 Prozent der Frauen und 55 Prozent der Männer im Jugendchor. In der Untersuchung wird deutlich, dass jüngere Personen (<35 Jahre) häufiger im Kinderchor und auch im Jugendchor gesungen haben als Personen, die älter sind als 50 Jahre. In einer Untersuchung zu Jugendchorsänger*innen (Henning & Vigl, 2019b) gaben die Befragten (durchschnittlich 16 Jahre alt) zu 88 Prozent an, bereits bei einem Kinderchor mitgewirkt oder eine musikalische Früherziehung besucht zu haben. Es ist also davon auszugehen, dass chorische Angebote für Kinder und Jugendliche in den letzten Jahrzehnten quantitativ gesehen zugenommen haben, beziehungsweise heutzutage von einer größeren Zielgruppe genutzt werden oder genutzt werden können.

Die teilnehmenden Chorleiter*innen haben eigene Singerfahrungen besonders dann als inspirierend empfunden, wenn sie eine charismatische Chorleitung erlebten, vielseitige Chorliteratur sangen, im Chor ein starkes Gemeinschaftsgefühl vorherrschte und die Proben abwechslungsreich gestaltet und gut geplant waren.

Zentrale Aspekte dieser Untersuchung sind die Ausbildungssituation sowie die Zufriedenheit der Chorleitenden mit den jeweils erlebten Ausbildungsinhalten. Wie in Abbildung 2 dargestellt, wurden den Studienteilnehmer*innen 14 Ausbildungsinhalte vorgegeben, welche fachliche, künstlerische, organisatorische und personale Kompetenzen abdecken. Davon sollten die fünf wichtigsten Kompetenzen ausgewählt werden. Von über der Hälfte der Teilnehmenden wurden die Aspekte Probenmethodik, kommunikative Kompetenz, Dirigat und Stimmbildung als eine der fünf bedeutsamsten für die Chorarbeit gewählt. Daraufhin sollten dieselben Aspekte dahingehend beurteilt werden, ob und wie gut sie in der Ausbildung vermittelt wurden: Am besten gelehrt wurden laut Chorleiter*innen Dirigieren, Musiktheorie und -geschichte, Gehörbildung, Stimmbildung und Gesangstechnik. Probenmethodik und Kommunikation hingegen wurden durch die Ausbildung nur mittelmäßig erlernt. Am wenigsten vermittelt wurden Arrangieren, Chormanagement, Konzertplanung und Partiturspiel.

Es fällt auf, dass der Fokus bei der Ausbildung vor allem auf Kenntnisse und Fertigkeiten im Bereich Musiktheorie, Dirigieren sowie vokalspezifische beziehungsweise allgemein musikbezogene Kompetenzen in den Bereichen Gehörbildung, Stimmbildung und Gesangstechnik gelegt wird. Fachdidaktische sowie pädagogisch-psychologische Kompetenzen sind nach Aussagen der Teilnehmenden eher hintergründig. Auf die offene Frage hin, was in der Ausbildung vermisst wurde, wurden die Bereiche Chormanagement (organisatorische Aspekte), Konzert- und Finanzplanung sowie Programmgestaltung am häufigsten genannt. Öfters angeführt wurden auch theoretische Grundlagen (wie Arrangieren und Schlagtechnik) sowie pädagogische Aspekte (z.B. allgemeine Regeln zur Kommunikation mit den Chorsingenden, Vorständen, Verbänden oder konstruktives Feedback-Geben, sowie allgemeine Aspekte der Menschenführung) und Probenmethodik (wie abwechslungsreiche Methoden zu unterschiedlichen Probenaspekten, Methodik unterschiedlicher Zielgruppen). Allerdings muss dazugesagt werden, dass Personen, welche ein Studium (Hauptfach oder Schwerpunktfach Chorleitung) absolviert haben, sich hinsichtlich einiger Fertigkeiten signifikant besser ausgebildet fühlen als jene Gruppe, welche eine Ausbildung, Fortbildung oder einen Lehrgang besucht hat (siehe Abbildung 3).

Die Unterschiede betreffen aber vor allem jene Ausbildungselemente, welche nicht so bedeutsam für die praktische Arbeit eingestuft wurden, wie Musiktheorie, Instrumentalkenntnis, Literaturkunde, Gehörbildung und Stimmbildung. Nur in Hinblick auf Partiturspiel und Dirigat, welche als sehr wichtig für die Chorpraxis beurteilt wurden, scheint ein Studium auch für die berufliche Praxis mit einem Mehrwert verbunden zu sein. Diese Ergebnisse bestätigen die Ansicht von Bas­tian und Fischer (2006). Die Autoren wiesen darauf hin, dass viele Absolventen der Studienrichtung Chorleitung an Hochschulen und Universitäten künstlerisch überqualifiziert und gleichzeitig chorpädagogisch – zumindest für die Laienmusik – unterqualifiziert seien.

Biographische Aspekte des Chorleitens

Im durchschnittlichen Alter von et­wa 26 Jahren starteten die Teilnehmenden dieser Umfrage ihre Chorleitungstätigkeit, die Hälfte davon mit einem gemischten Erwachsenenchor. Frauen leiteten als ersten Chor auch häufig Kinder-, Jugend- oder Frauenchöre; Männer Jugend- oder Männerchöre. Durchschnittlich haben die an der Studie teilnehmenden Männer bereits sechs verschiedene Chöre geleitet, Frauen ungefähr fünf. Dies könnte mit dem höheren Altersdurchschnitt der Männer dieser Stichprobe erklärt werden (etwa 50 Jahre bei Männern und 44 Jahre bei Frauen).

Aktuell leiten etwa 65 Prozent der Personen bis zu zwei Chöre parallel, etwa 30 Prozent leiten drei, vier oder fünf Chöre, die restlichen Personen leiten sogar mehr als fünf Chöre. Von den 15 Personen, welche aktuell mehr als fünf Chöre leiten, sind 14 auch hauptberuflich im musikalischen Bereich tätig (dabei zehn Chorleitende, eine Musikschullehrerin, ein Kantor und zwei Kirchenmusiker*innen). Dies sind bei etwa der Hälfte der Chorleitenden weltliche Chöre, bei etwa einem Viertel geistliche Chöre und ein Viertel der Chorleitenden leitet aktuell beide Chor­gattungen.

Diese Dominanz weltlicher Chöre sowohl in dieser Studie als auch in den beiden schon erwähnten Studien zu Chorsingenden (Henning & Vigl, 2019a, 2019b) ist bemerkenswert; schließlich bestehen zumindest in Deutschland deutlich mehr Verbände des kirchlichen Vokalmusizierens (schätzungsweise 33.670 im Jahr 2017/18) als des weltlichen Vokalmusizierens (schätzungsweise 22.000 im Jahr 2017/18) (Deutsches Musikinformationszentrum, 2018). Möglicherweise kann die Dominanz weltlicher Chöre in dieser Studie dadurch erklärt werden, dass diese stärker vernetzt sind und dadurch Chorleiter*innen geistlicher Chöre schlechter erreicht wurden. Am häufigsten werden von den Teilnehmenden aktuell gemischte Erwachsenenchöre geleitet (knapp 80%). Die Hälfte der Chorleiter*innen leitet Chöre, welche eingetragene Vereine sind, 40 Prozent der Chöre sind in kirchlicher Trägerschaft und bei 26 Prozent handelt es sich um freie Chöre. (Die Überschreitung von 100% im Gesamten resultiert aus Mehrfachnennungen.)

Aspekte der Chorpraxis

80 Prozent der Chorleiter*innen wurden persönlich gefragt, ob sie ihren aktuellen Chor leiten möchten, die anderen Personen erfuhren durch Stellenanzeigen in Fachzeitschriften, im Internet oder lokalen Zeitungen von der Chorleitungsstelle. Etwas mehr als ein Drittel der Chorleiter*innen musste eine Bewerbungsprobe abhalten. Dabei wurde vor allem gefordert, ein neues Stück zu erarbeiten (69 Personen) oder ein dem Chor bekanntes Stück zu proben (43 Personen), einzelne Probenelemente wie das Einsingen vorzuzeigen (38 Personen) oder eine gut geplante Probe abzuhalten (27 Personen). Die restlichen Personen mussten kurz dirigieren, ihre Instrumentalkenntnis vorzeigen oder ein Bewerbungsgespräch führen.

Wie in Abbildung 4 ersichtlich, finden Chorproben bei den meisten Chorleitenden wöchentlich oder wöchentlich außerhalb der Schulferien statt (86%). Die anderen Chöre proben regelmäßig, aber seltener als wöchentlich oder projektweise. Die Proben starten bei fast allen Teilnehmenden (91% der Chorleiterinnen und 82% der Chorleiter) mit Einsing- oder Aufwärmübungen. Stimmbildung wird hingegen nur gelegentlich angeboten, wobei diese bei der Hälfte der Chorleitenden außerhalb der Chorproben von externen Stimmbildner*innen durchgeführt wird. In den Proben wird nicht nur a capella, sondern auch mit Instrumentalbegleitung gesungen; bei etwa der Hälfte der Chorleitenden in jeder Probe. Eingesetzt werden vor allem Tasteninstrumente (Klavier, Keyboard und Orgel), sowie Gitarre, Percussion, Streichinstrumente und Flöten.

Hier geht es weiter zum zweiten Teil des Textes.
 

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