Ein weiterer Fokus wurde in der vorliegenden Studie auf Chorliteratur gelegt. Bei Henning und Vigl (2019a) wurden Chorsänger*innen danach gefragt, welche Musikrichtungen sie gerne im Chor singen. Über 70 Prozent der Teilnehmenden gaben an, gerne Klassik zu singen. Von über der Hälfte der Personen wurden auch Pop-Musik, Gospel, Musical und Volksmusik genannt. In der vorliegenden Untersuchung zeigte sich, dass Chorleitende ähnliche Musikrichtungen wählen und die Literaturauswahl somit dem Geschmack der Singenden entsprechen sollte.
Abbildung 6 zeigt, dass sich die Literaturauswahl je nach Chorgattung unterscheidet (1 = wird nie gesungen, 5 = wird sehr häufig gesungen). So wird in weltlichen Erwachsenenchören vor allem klassische Musik einstudiert, gefolgt von Pop-Musik und Volksmusik. Zudem werden in weltlichen Erwachsenenchören gelegentlich auch die Richtungen Gospel, Schlager, Musical, Rock und Jazz eingebaut. In geistlichen Chören hingegen werden vor allem die Stile Klassik und Volksmusik gesungen, alle anderen Musikrichtungen kommen nur sehr selten oder nie vor. Bei Kinder- und Jugendchören scheint die Literaturauswahl vielfältiger zu sein als in Erwachsenenchören. Bei Jugendchören wird Pop-Musik sogar häufiger gesungen als Klassik, aber auch die anderen Stile (Volksmusik, Gospel, Musical, Rock, Jazz und seltener Schlager) werden gesungen. Bei Kinderchören stechen wie erwartet Kinderlieder als beliebteste Kategorie hervor, gefolgt von Volksmusik, Pop-Musik, Musical und Klassik.
Im Bereich klassischer Musik wurde in dieser Umfrage genauer nachgefragt, welche Arten klassischer Musik (Renaissance, Barock, Klassik, Romantik, Chormusik des 20./21. Jahrhunderts) in welchen Chören jeweils gesungen werden (Abbildung 7). Sowohl in geistlichen als auch weltlichen Chören der unterschiedlichen Altersgruppen wird Chormusik des 20. und 21. Jahrhunderts am häufigsten gesungen, gefolgt von Musik aus dem Zeitalter der Romantik. In Erwachsenenchören werden alle klassischen Richtungen (am wenigsten Renaissance) miteinbezogen, bei Kinder- und Jugendchören werden Renaissance, Barock, Klassik und Romantik weniger gesungen als in Erwachsenenchören.
Weibliche Chorleiterinnen singen mit weltlichen Erwachsenenchören häufiger Musicals als Männer, letztere proben öfter klassische Musik. In geistlichen Erwachsenenchören singen Frauen eher Schlager (wobei auch Frauen diese Stilrichtung nur sehr selten singen), Männer singen auch hier häufiger klassische Musik.
Chorleitende wählen die Literatur vor allem danach aus, wie sie das Niveau ihres Chores einschätzen, ob ihnen/den Sänger*innen die Stücke gefallen, welche Stimmverteilung in den Stücken vorliegt sowie nach der Passung zum Programm oder zu bestimmten Singanlässen. Nur fünf Chorleitende gaben an, die Literatur gemäß der Wünsche Dritter (wie Chormitglieder, Vorstände etc.) auszuwählen.
Damit die Chorsingenden die Stücke auch selbständig üben können, leiten 68 Prozent der Chorleitenden Einzelstimmaufnahmen und 75 Prozent Gesamtaufnahmen der Werke weiter. Dies entspricht den Bedürfnissen der Chorsingenden, welche bei Henning & Vigl (2019a) zu 76 Prozent angaben, dass ihnen Übe-CDs helfen. Die Weiterleitung von Einzelstimm- sowie Gesamtaufnahmen werden von den Chorleitenden durchschnittlich als eher hilfreich bewertet, wobei Einzelstimmaufnahmen als etwas nützlicher eingeschätzt werden. Trotzdem erfolgt in der Praxis eher eine Weiterleitung der Gesamtaufnahmen (vermutlich, weil Einzelstimmaufnahmen normalerweise erst selbst generiert werden müssen). Interessanterweise besteht ein signifikanter negativer Zusammenhang zwischen den Ausbildungsjahren sowie der Anzahl der Jahre, die jemand bereits Chöre leitet, und der Einschätzung zur Nützlichkeit von Übehilfen: Je länger jemand schon Chorleiter*in ist und je länger die Ausbildung zur Chorleitung dauerte, desto kontraproduktiver wird die Weiterleitung von Einzelstimm- und Gesamtaufnahmen eingeschätzt. Möglicherweise ist die (v.a. digitale) Weitergabe von Links oder Übedateien für ältere Chorleitende schwerer zu realisieren oder aber die langjährigen Chorleitenden haben eventuell schlechte Erfahrungen mit Übetracks gemacht. Ein weiterer Grund könnte auch sein, dass die Motivation zur Erstellung der Übehilfen mit zunehmender Erfahrung abnimmt oder Vorbereitungszeiten der Chöre besser eingeschätzt werden, sodass weniger zu Hause geübt werden muss.
Bezüglich sozialer Aspekte der Chorpraxis zeigte sich, dass die Hälfte der Teilnehmenden Kooperationen mit Chören oder Chorpartnerschaften mit anderen Gemeinden pflegen. Über drei Viertel machen Ausflüge mit ihren Chören, etwa zwei Drittel besuchen chorbezogene Festivals und veranstalten Chorreisen. Etwas mehr als ein Drittel der Chorleiter*innen hat schon einmal bei einem Wettbewerb für Chöre teilgenommen; vor allem aufgrund der Herausforderung oder der Rückmeldung zum Leistungsstand des jeweiligen Chores. Personen, welche sich gegen eine Wettbewerbsteilnahme aussprachen, begründen dies vor allem damit, dass ihr Chor ein zu geringes Niveau hätte, ein Wettbewerb mit zuviel Stress und Druck verbunden sei oder schlechte Erfahrungen mit Wettbewerben gemacht wurden.
Die Chorleitenden wurden auch danach gefragt, welche Persönlichkeitseigenschaften ihrer Meinung nach für den Chorleitungsberuf wichtig oder weniger wichtig seien (Abbildung 8, 1 = nicht wichtig, 4 = sehr wichtig). Am wichtigsten schätzen die Teilnehmenden es ein, motivieren zu können und Höflichkeit/Respekt den Sänger*innen gegenüber zu zeigen. Zudem sind ihrer Meinung nach eine positive Stimmung, Humor und Empathie – bei vorhandener Strenge – förderlich für die Chorarbeit. Weiters sollten Chorleitende die jeweilige Literatur an das Niveau und den Geschmack der Chorsingenden angepasst wählen können und mit dem Chor Einsingübungen durchführen. Als weniger wichtig erachten die Teilnehmenden eine professionelle Distanz zu Sänger*innen, das Einbinden von Tanz, kreativen Ausdrucksformen und Spielen sowie ausgefallene Konzerte.
Zielsetzungen der Chorarbeit
Die Chorleitenden verfolgen vor allem folgende Ziele: Andere für das Chorsingen begeistern, Konzerte veranstalten, zum kulturellen Leben oder zu kirchlichen beziehungsweise gemeindebezogenen Veranstaltungen beitragen und ein musikalisches Bildungsangebot bereitstellen.
In Abbildung 9 werden diese Bereiche getrennt nach weltlicher oder geistlicher Ausrichtung der Chorleitenden dargestellt (gelbe Balken = leiten aktuell weltliche Chöre, blauer Balken = leiten aktuell geistliche Chöre, grüner Balken = leiten aktuell beide Arten von Chören). Chorleitende von weltlichen Chören gaben signifikant häufiger an, Konzerte veranstalten zu wollen, für das Chorsingen begeistern zu wollen, sich in der Chorlandschaft zu positionieren und von anderen Chören absetzen zu wollen sowie sich selbst zu profilieren. Chorleitende kirchlicher Chöre gaben wie erwartet signifikant häufiger an, kirchliche Veranstaltungen umrahmen zu wollen.
Darüber hinaus wurden auch geschlechtsbezogene Unterschiede analysiert. Signifikante Unterschiede gibt es dahingehend, dass Frauen häufiger angeben, kirchliche oder gemeindebezogene Veranstaltungen zu gestalten und Männer sich häufiger durch ihre Tätigkeit von anderen Chören absetzen möchten.
Zudem wurden aus fünf vorgegebenen Bereichen mögliche chorische Ziele in Bezug auf ihre Bedeutsamkeit eingeschätzt. Als Erstes nennen die Chorleitenden einen schönen Gesamtklang und eine gute Intonation. Den zweiten Rangplatz belegen stimmliche Ziele, wie Stimm- und Atemtechnik oder stimmliche/klangliche Verbesserungen der einzelnen Sänger*innen. Etwas weniger wichtig sind den Chorleitenden persönlichkeitsbildende Ziele (Verantwortungsübernahme, Selbstbewusstsein, Auftreten), soziale Ziele (Chorgemeinschaft, Eingebundensein, Atmosphäre) und allgemeinmusikalische Ziele (Literaturkunde, Musiktheorie). Da es teilweise Überschneidungen zwischen den Kategorien gibt – so nennen einige Chorleitende die gute Chorgemeinschaft als chorisches Ziel anstelle eines sozialen Zieles – sollten diese Ergebnisse mit Vorsicht interpretiert werden. Trotzdem kann geschlussfolgert werden, dass die Chorleitenden sich eher als Vermittelnde guter Stimmtechnik und qualitativer Interpretationen verstehen und weniger als Verantwortliche für persönliche oder soziale Zielsetzungen. Einige Chorleitende schrieben bezüglich sozialer Ziele auch explizit in den Fragebogen, dass sie sich dafür nicht zuständig fühlten. Allerdings ging aber aus mehreren Untersuchungen zum Chorsingen hervor, dass besonders der Aspekt der Gemeinschaft erklären kann, warum das Chorsingen mit positiven Auswirkungen auf Körper und Psyche verbunden ist (z.B. Steward & Lonsdale, 2016). In der Jugendchorstudie von Henning und Vigl (2019b) vervollständigten die teilnehmenden Jugendlichen den Satz „Chorsingen ist…“. Dabei konnten ihre Antworten in fünf verschiedene Kategorien eingeteilt werden: Am häufigsten genannt wurden emotionale Aspekte (Spaß, Glück, Genuss), gefolgt von sozialen Aspekten (Gemeinschaft, Zusammenhalt, Freundschaft), persönlichen Aspekten (Leidenschaft, Herausforderung, Weiterentwicklung) und gesundheitlichen Aspekten (Ausgleich, Entspannung). Nur sieben Prozent der Jugendlichen nannten musikbezogene Aspekte wie musikalische Weiterentwicklung oder Qualität.
Interessanterweise antworteten die Chorleitenden dieser Studie auf eine ähnliche Frage („Chorleitung ist…“) ebenfalls hauptsächlich mit emotionalen Aspekten (wie Spaß, Leidenschaft), gefolgt von musikbezogenen Aspekten (wie Freude am Klangerlebnis, Freude am musikalischen Ausdruck). Soziale Aspekte (wie die Chorgemeinschaft, die sozialen Verpflichtungen) wurden weniger genannt.
Dies könnte mit verschiedenen Einstellungen und Ansprüchen verbunden sein oder auch mit den jeweilig unterschiedlichen Verantwortlichkeiten einhergehen, welche auf Chorsingende und Chorleitende zukommen. Während Chorsingende möglicherweise vor allem singen, um sich zu entspannen, Gemeinschaft zu erleben und ihre Freizeit aktiv zu gestalten, stellt das Chorleiten doch einen Beruf dar, der viel Verantwortung beinhaltet und auch mit Erwartungen an eine hohe musikalische Qualität und Entwicklung des Chores verbunden ist – für die sich naturgemäß die Chorleitung zuständig fühlt.
Bezahlung
Von den 297 Personen, welche auf die Frage nach ihrem Gehalt antworteten, arbeiten 20 Prozent ehrenamtlich. Allerdings zeigen sich große Geschlechter- und Länderunterschiede (siehe Abbildung 10). So verdienen Personen in der Schweiz am meisten. Knapp die Hälfte der Personen verdient umgerechnet über 600€ Euro pro Monat und Chor, nur fünf Prozent der Personen arbeiten unentgeltlich. Männer und Frauen verdienen in der Schweiz ungefähr gleich viel. In Deutschland arbeiten zwölf Prozent der Chorleitenden ehrenamtlich, 60 Prozent verdienen weniger als 300€Euro im Monat pro Chor. Frauen verdienen signifikant weniger als Männer. Auch in Italien verdienen Chorleiterinnen weniger als Chorleiter, wobei 80 Prozent aller Chorleitenden unter 300€Euro pro Monat und Chor verdienen. In Österreich scheint das Gehalt der Chorleitenden am geringsten zu sein; über 90 Prozent verdienen dort weniger als 300€Euro pro Monat. Allerdings gibt es in Österreich keine signifikanten Geschlechterunterschiede in der Bezahlung.
Trotz des hohen Anteils an ehrenamtlicher und gering bezahlter Tätigkeit sind 82 Prozent der Teilnehmenden eher oder sehr zufrieden mit ihrer Bezahlung. Hierbei lassen sich keine Geschlechterunterschiede feststellen. Allerdings sind Frauen, die mehr verdienen, auch zufriedener mit ihrer Bezahlung, bei Männern gibt es diesen Zusammenhang nicht. Die Gründe für diese großen geschlechtsbezogenen Unterschiede können in dieser Untersuchung nur vermutet werden: Da Männer und Frauen sich nicht in der Länge ihrer Ausbildung unterscheiden, kann die unterschiedliche Bezahlung nicht durch qualitative Aspekte der Ausbildung erklärt werden. Möglicherweise leiten Frauen eher jene Chöre, welche schlechter bezahlt werden (z.B. Kirchenchöre und Kinderchöre) oder verhandeln weniger für eine höhere Bezahlung.
Etwa ein Viertel der Teilnehmenden bekommt Sondervergütungen, vor allem für Konzerte, Zusatzproben, Reisen und Ausflüge, Kompositionen und Arrangements oder Fahrtkosten.
Zusammenfassung und praktische Implikationen
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie sind sowohl für Chorleitende als auch für Ausbildungsinstitute oder Universitäten interessant. Über zwei Drittel der teilnehmenden Personen besitzen einen akademischen Abschluss und 70 Prozent der unter 35-Jährigen haben ein Studium oder Schwerpunktfach zur Chorleitung besucht. Dies weist darauf hin, dass den Universitäten auch in Zukunft eine große Bedeutung in der Ausbildung von Chorleitenden zukommt. In der vorliegenden Studie konnte in diesem Zusammenhang besonders auf Diskrepanzen zwischen den vermittelten Inhalten der Ausbildungsstätten sowie den als wichtig erachteten Fertigkeiten Chorleitender hingewiesen werden. Nur die Elemente Dirigat und Stimmbildung wurden von den Teilnehmenden als wichtig für die Chorarbeit und gleichzeitig gut durch die Ausbildung vermittelt beurteilt. Andere Aspekte, wie Musiktheorie, Musikgeschichte und Instrumentalkenntnis wurden zwar im Studium oder in der Ausbildung sehr gut vermittelt, werden allerdings nicht als wichtig für die Chorarbeit beurteilt. In der Ausbildung besonders vermisst wurden von den Chorleitenden organisatorische Aspekte (wie Chormanagement, Administration), pädagogische und psychologische Inhalte (Kommunikation, Feedback geben, Gruppendynamik etc.) sowie Probenmethodik. Möglicherweise könnten diese Aspekte vermehrt als Wahlfächer an Universitäten angeboten oder durch Fortbildungen ergänzend vermittelt werden.
In Ergänzung zu vorherigen Untersuchungen wurde durch die vorliegende Studie der Fokus auf Chorleitende selbst sowie ihre Ansichten zu chorbezogenen Themen gelenkt. Es zeigte sich, dass die meisten Chorleitenden schon sehr früh eine Leidenschaft für das Singen entwickelten und dementsprechend durchschnittlich früher mit dem Singen begannen als Chorsingende vorheriger Studien (Kreutz & Brünger, 2012, Henning & Vigl, 2019a, 2019b). Sie hatten oft schon vor dem Beginn ihrer musikalischen Ausbildung einen Chor geleitet und starteten dabei vor allem mit gemischten Erwachsenenchören. Geprobt wird meist einmal wöchentlich, wobei die meisten Chorleitenden ihre Probe mit dem Einsingen und Aufwärmen beginnen. Wie schon erwähnt ,stimmt die Literaturauswahl der Chorleitenden mit den geäußerten Wünschen der Chorsingenden (Henning & Vigl 2019a, 2019b) überein, wobei sich in den erwähnten Untersuchungen zeigte, dass viele Sänger*innen sich mehr moderne Musik wünschen würden. Für Chorleitende wird daher empfohlen, sich nach Literaturwünschen der Sänger*innen aktiv zu erkundigen oder nachzufragen, wie sehr ihnen die bereits gesungene Literatur gefällt. Auf diese Weise könnte eine noch höhere Übereinstimmung zwischen den Vorstellungen der Sänger*innen und der Chorleitung erzielt werden.
Zuletzt stachen in der Untersuchung besonders länder- und geschlechterbezogene Unterschiede in der Bezahlung der Tätigkeit hervor. In kommenden Studien wäre es interessant, dieser Thematik weiter nachzugehen und Ursachen für die Unterschiede zu untersuchen.
Literaturverzeichnis
- Bastian, H. G. & Fischer, W. (2006). Handbuch der Chorleitung. Schott.
- Deutsches Musikinformationszentrum (2018). Orchester, Ensembles, Chöre und Mitglieder in den Verbänden des Amateurmusizierens. 5/2018. URL: http://www.miz.org/downloads/statistik/49/49-Amateurmusizierenstatistik…, Zugriff am 15.12.19.
- Henning, H. & Vigl, J. (2019a). „Hallo, wer singt denn da?“ Eine quantitative Studie rund um Chorsingende im deutschsprachigen Raum. Unveröffentlichtes Manuskript.
- Henning, H. & Vigl, J. (2019b). Jugendchor-Umfrage. Unveröffentlichtes Manuskript.
- Kreutz, G. & Brünger, P. (2012). Musikalische und soziale Bedingungen des Singens: Eine Studie unter deutschsprachigen Chorsängern. Musicae Scientiae, 1–17.
- Stewart, N. A. J. & Lonsdale, A. J. (2016). It’s better together: The psychological benefits of singing in a choir. Psychology of Music, 44(6), 1240–1254.