Hans-Willi Hefekäuser ist Präsident der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Chorverbände (ADC), Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Chor- und Orchesterverbände (BDCO), Präsident des Verbandes Deutscher Konzertchöre (VDKC) und Mitglied des Präsidiums des Deutschen Musikrats (DMR). Für die neue musikzeitung verfasste er den folgenden Essay zum Thema Laienmusik und Deutscher Musikrat.
Der Deutsche Musikrat steht an der Schwelle zur nächsten Amtszeit des im Herbst 2009 neu oder wieder zu wählenden Präsidiums erneut vor einer Zäsur. Zwar ist zum einen eine gewisse Konsolidierung eingetreten.
Die Insolvenz ist überwunden, an die neuen Strukturen hat man sich nolens volens gewöhnt, die Gremien haben sich etabliert und arbeiten. Andererseits kann nicht die Rede davon sein, der DMR befinde sich im eingeschwungenen Normal- oder gar Idealzustand. Zu viele Fragen sind offen. Deshalb wird die kommende Amtszeit des künftigen Präsidiums entscheidend zu der Antwort auf die Frage beitragen, ob der DMR sich als das maßgebliche Organ des deutschen Musiklebens nachhaltig positionieren kann.
Der Deutsche Musikrat ist zwar ohne Konkurrenz und Alternative. Es gibt keine andere Institution, die das deutsche Musikleben in gleicher Weise umfasst und repräsentiert wie der DMR. Andererseits ist der DMR keine ständische Kammer mit Zwangsmitgliedschaft wie beispielsweise Ärztekammern oder Industrie- und Handelskammern. Der DMR ist in seinem Kern ein als eingetragener Verein organisierter freiwilliger Zusammenschluss von Verbänden und Organisationen des Musiklebens, der heute ein außerordentlich breites Spektrum von Mitgliedern integriert und deshalb aus der Breite und Fülle seiner Mitgliedschaft, vollkommen zu Recht, die Berechtigung und die Befugnis ableitet, das Sprachrohr des Musiklebens in Deutschland zu sein.
Allerdings ist der DMR damit zugleich in hohem Maße davon abhängig, dass insbesondere gewichtige Mitglieder, die in ihren jeweiligen Sektoren ihrerseits gut organisiert und aufgestellt sind, den Musikrat als ihre Spitzenorganisation uneingeschränkt anerkennen und unterstützen. Dies wiederum ist in dem Maße dauerhaft selbstverständlich, in dem solche Mitglieder, die sich ohne weiteres auch außerhalb des DMR wirksam etablieren könnten, der Überzeugung sind und bleiben, im DMR-Verbund besser aufgehoben zu sein. Hierzu bedarf es einer dauerhaft überzeugenden Interessenwahrnehmung für den gesamten Sektor. Ein Problem, das allen freiwilligen Zusammenschlüssen auf oberen und obersten Ebenen gemein ist.
Einer der größten Mitgliederbereiche im Deutschen Musikrat ist zweifellos die Laienmusik. Die bundesweiten Dachverbände der vokalen und instrumentalen Laienmusik – die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Chorverbände (ADC) sowie die Bundesvereinigung Deutscher Orchesterverbände (BDO) – gehören dem DMR ebenso an wie fast sämtliche Chor- und Orchesterverbände in Deutschland. Damit sind im Deutschen Musikrat schätzungsweise 8 Millionen Laienmusiker repräsentiert, die damit nicht nur ein bedeutendes Gewicht innerhalb des Deutschen Musikrats haben, sondern zugleich Basis und Fundament des Musiklebens in Deutschland bilden.
Dies ist im DMR in den vergangenen Jahren auch zunehmend erkannt und anerkannt worden. Dem Präsidium des DMR gehören heute zwei Vertreter der Laienmusik an, die auf ihre je eigene Art dort auch eine wichtige Rolle spielen, während die Laienmusik zuvor über längere Zeit hinweg korporativ überhaupt nicht im Präsidium vertreten war. Hier ist also ein deutlich erkennbarer Fortschritt erzielt worden, der dem DMR auch in seiner Außenpositionierung unübersehbar zugute kommt.
Daraus soll und darf allerdings keineswegs der Schluss gezogen werden, es gehe im DMR um die Durchsetzung partikularer Interessen. Im Gegenteil: Die Bedeutung bürgerschaftlicher Zusammenschlüsse steht und fällt mit der Fähigkeit und Bereitschaft ihrer Mitglieder und Repräsentanten, sich weit über das Eigene hinaus für das Gemeinsame und das Verbindende einzusetzen. Hierfür bietet das gereifte Selbstverständnis des Präsidiums Gewähr.
Andererseits sind längst nicht alle strukturellen und strategischen Schwächen des Deutschen Musikrats behoben. So fehlt noch immer ein umfassendes, überzeugendes und auf Dauer angelegtes Konzept für die Musikpolitik in Deutschland. Zwar gibt es eine ganze Reihe von wichtigen und werthaltigen Papieren des DMR zu verschiedenen Themenbereichen.
Darüber hinaus diskutiert das Präsidium gerade über den Entwurf des Grundsatzpapiers „Musikpolitik in der Verantwortung“, das demnächst den Mitgliedern zur Stellungnahme zugeleitet und in der Mitgliederversammlung 2009 verabschiedet werden soll. Die Relevanz und Validität all dieser Aktivitäten soll nicht in Abrede gestellt werden. Sie liegen auf der richtigen Linie. Allerdings darf es nicht weiter allein bei der Erstellung von Papieren bleiben. Viel wichtiger ist deren Operationalisierung. Die Grundsatzpapiere des DMR müssen verstärkt zu strategischen Aktionsplänen weiterentwickelt werden, in denen verbindlich beschrieben und festgehalten wird, auf welche Weise die inhaltlichen Zielsetzungen geordnet, planvoll und zielgerichtet verfolgt und durchgesetzt werden können und sollen.
Das allein reicht allerdings noch nicht. Verbände gewinnen ihr Gewicht und ihre Bedeutung dadurch, dass sie in der gesellschaftlichen Debatte als wichtig und bedeutend wahrgenommen werden. Das setzt eine spezifische Form des Auftritts voraus, die an die agierenden und führenden Persönlichkeiten hohe Anforderungen stellt. Hier wird eine Mischung von Kompetenz, Kommunikationsfähigkeit, Autorität, Statur, Standfestigkeit, Fantasie und Teamfähigkeit verlangt, die die komplexen internen und externen Problemstellungen mit Geschick bewältigt, auch streitige Auseinandersetzung nicht scheut und Freude am Erfolg hat. Dafür zu sorgen, dass der DMR an der Spitze von Repräsentanten geführt wird, die diesen Anforderungen so gut wie nur eben möglich entsprechen, ist Sache und Verantwortung der Mitgliederversammlung.
Darüber hinaus müssen künftig alle Möglichkeiten besser genutzt werden, die als zweckmäßige Mittel und Mechanismen zur internen Meinungs- und Konsensbildung ebenso wie zur erfolgreichen externen Interessenwahrnehmung auch heute schon zur Verfügung stehen. Der Deutsche Musikrat verfügt neben seinem Präsidium über acht Bundesfachausschüsse und dreizehn Projekt-Beiräte. Dem Präsidium, den Bundesfachausschüssen und den Beiräten gehören insgesamt mehr als 250 Personen an. Hierbei handelt es sich durchweg um erfahrene und allgemein anerkannte Experten des Musiklebens. Es gelingt dem Deutschen Musikrat also ohne Weiteres, eine bedeutende Anzahl von engagierten Fachleuten zu aktivieren und für gemeinsame Ziele zu gewinnen. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, dass die Aktivitäten der einzelnen Gremien unterschiedlich stark ausgeprägt sind und vereinzelte Mitglieder, wie es in solchen Gremien eben zuweilen vorkommt, mit ihrer Berufung die wichtigste Zielsetzung möglicherweise bereits als erreicht anzusehen scheinen. Ganz ohne Zweifel wird hier aber ein Potenzial an Kompetenz, Erfahrung, Professionalität und an systematisch einsetzbarer Multiplikatoren-Wirkung sichtbar, das seinesgleichen sucht.
Es gibt bisher allerdings noch zu wenig Kommunikation und Austausch zwischen dem Präsidium einerseits und den Fachgremien und Beiräten andererseits. Hier muss für die Zukunft dringend ein Modus gefunden werden, die vorhandenen Kräfte stärker zu bündeln, Synergien zu nutzen, die Meinungsbildung auf eine breitere Basis zu stellen und die gegebenen Möglichkeiten auch in der Interessenwahrnehmung gegenüber Politik und Gesellschaft gezielter zu nutzen und einzusetzen.
Wünschenswert ist und bleibt auch eine stärkere Verklammerung und zuverlässigere Gleichgerichtetheit der Interessen zwischen dem DMR e.V. einerseits und seiner gemeinnützigen Projekt-GmbH (gGmbH) andererseits.
Präsidium und Mitgliederversammlung des DMR haben in entsprechenden Beschlüssen und Entschließungen in zweifelsfreier Eindeutigkeit manifest gemacht, dass sie eine stärkere Verzahnung zwischen e.V. und gGmbH wünschen. Allerdings sind die darauf gerichteten Aktivitäten zugunsten einer Re-Integration der gGmbH in den e.V. bekanntlich nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Der Aktion ist bedauerlicherweise die entscheidende politische Zustimmung und Unterstützung versagt geblieben, weil das Misstrauen und der Argwohn der öffentlichen Hände gegenüber Vereinsstrukturen stärker ausgeprägt zu sein scheint (gelegentlich war schon mal von „wild gewordenen Funktionären“ die Rede) als das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, GmbHs wirksam unter Kontrolle zu halten.
Dennoch muss es ein Ziel bleiben, die Bereiche nicht zu weit auseinander driften zu lassen. Diese Gefahr ist bei einer Existenz gesondert geführter Organisationen mit eigener Rechtspersönlichkeit aus tatsächlichen ebenso wie aus rechtlichen Gründen immer gegeben. Gerade aus der Sicht mitgliederstarker und ausgeprägt operativ agierender Bereiche wie der Laienmusik ist es aber wichtig, die Verklammerung zwischen der politischen Steuerung auf der Ebene des e.V. und den Projekten in der gGmbH nicht allzu stark zu lösen. Dies ist eine wesentliche weitere Voraussetzung dafür, dass Mitglieder des DMR sich nach wie vor uneingeschränkt mit „ihren“ Projekten verbunden und dafür mitverantwortlich fühlen. Dass dies für den Bestand und Erfolg etlicher Projekte unabdingbar ist, sollte keinem Zweifel unterliegen. Man kann aber eben nur Mitglied eines Vereins sein, nicht aber Mitglied einer GmbH.
Deshalb wird es darauf ankommen, integrative Elemente zu stärken und zu pflegen. Ob und inwieweit die Lösung in einer jeweils teilzeitigen Personalunion zwischen dem Generalsekretär des e.V. und dem Projektgeschäftsführer der GmbH zu finden gewesen wäre, kann dahinstehen, nachdem das Präsidium sich einhellig dagegen ausgesprochen hat. Die nicht zuletzt in diesem Zusammenhang entwickelte weitergehende Überlegung, einen der Vize-Präsidenten damit zu beauftragen, sich in der gGmbH verstärkt um die Belange des e.V. zu kümmern, könnte sich demgegenüber – auch instanziell, weil vom Willen der Mitglieder unmittelbar getragen – als eher tragfähig und praktikabel erweisen. Dies setzt voraus, dass die Mitgliederversammlung 2009 entsprechende Entscheidungen trifft und damit für die Zeit bis 2012 und darüber hinaus eine Perspektive öffnet.