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JEKISS-Initiatorin Inga Mareile Reuther in Aktion. Foto: Ralf Emmerich
JEKISS-Initiatorin Inga Mareile Reuther in Aktion. Foto: Ralf Emmerich
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Eine wunderbare Kulturtechnik weitergeben

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Zur Grundschul-Initiative „JEKISS“ ist umfangreiches Arbeitsmaterial erschienen
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JEKISS ist die Abkürzung für „Jedem Kind seine Stimme“ und der Name einer Münsteraner Initiative und ihres Konzeptes zur Förderung des Singens in Grundschulen. Im Gegensatz zu anderen Initiativen dieser Art tritt bei JEKISS die Schulchorarbeit nicht anstelle des Musikunterrichts. Der Schwerpunkt von JEKISS liegt auf der Initiierung eines täglichen Singrituals in den einzelnen Klassen einer Grundschule.

Hierfür vermitteln geschulte JEKISS-Chorlehrkräfte den Klassenlehrerinnen der beteiligten Grundschulen ein Liedrepertoire und das didaktisch-methodische Know-How. Das auswendige Singen in kindgerechter Tonhöhe kombiniert mit Bewegungselementen ist zentraler Inhalt von JEKISS. Anders als bei vielen Singprojekten in Deutschland, bei denen geschulte Singprofis in einzelne Klassen gehen und dort mit den Kindern arbeiten, sind bei JEKISS die Klassenlehrkräfte Zielgruppe für den Erwerb der Singkompetenz. Bei JEKISS wird also das gesamte Kollegium einer beteiligten Grundschule angesprochen und fortgebildet. 

Die Chorlehrkraft richtet einen Schulchor (meist zwei verschiedene Chorgruppen nach Klassenstufen getrennt) ein und bildet die Grundschullehrkräfte im Singen fort. Die entsprechenden Lieder werden mit den Klassenlehrern/-innen einstudiert, die diese dann in ihren Klassen weitergeben. Dabei werden sie sängerisch von den Schulchorkindern unterstützt. In den jeweiligen Grundschulen werden regelmäßige Singtreffen der gesamten Schulgemeinschaft initiiert. Diese sorgen schon in kürzester Zeit für eine starke Identifikation mit dem Profil der „Singenden Grundschule“. JEKISS ist somit ein effizientes Multiplikationssys-tem für das alltägliche, laienhafte und ambitionierte Singen in Grundschulen, mit dem in relativ kurzer Zeit 100 Prozent aller Grundschulkinder mit einem musikalischen Basisangebot erreicht werden. Da es unabhängig vom Musikunterricht läuft, wird auf Notenlehre und Musiktheorie verzichtet. Singen eignet sich in besonderem Maße dazu, Kinder aus unterschiedlichen Kulturen und sozialen Umfeldern zu einer homogenen musikalischen Gemeinschaft zusammenzubringen, auch weil es keinen Instrumentenkauf erfordert und damit unabhängig von der finanziellen Unterstützung der Eltern ist. 

Zur weiteren, nachhaltigen Bildung der Lehrkräfte ist nun im Bosse Verlag ein von der Initiatorin Inga Mareile Reuther entwickeltes Medienpaket erschienen, bestehend aus dem Konzeptband, der die methodisch-didaktischen Bausteine von JEKISS erläutert, dem JEKISS-Liederbuch mit 55 Liedern zu den Themen Begrüßung, Jahreszeiten, Weihnachten, Leben sowie Spaß- und Bewegungslieder, einer DVD und einem CD-Paket (vier CDs). Auf den CDs befinden sich alle Lieder jeweils in gesungener Fassung und als Playback. Bei der Playbackversion wurde die Klavierbegleitung auf den linken, die Melodie auf den rechten Stereokanal gelegt, so dass bei einem entsprechenden Abspielgerät die Lautstärke der einzelnen Kanäle separat angesteuert werden kann. Der Einsatz der CD soll die Lehrkräfte beim Einüben stimmlich unterstützen und für die richtige und intendierte Tonhöhe beim Singen mit Kindern sorgen. Begleitet werden die Lieder ausschließlich mit Klavier – auf synthetisch erstellte Bandarrangements wurde verzichtet. 

Das geschulte Ohr wird sich eventuell an einigen Unsauberkeiten und Intonationsproblemen der einzelnen Kinderstimmen oder des Schulchores auf der Aufnahme stören. Immer wieder geraten die Vokale kurz und die Artikulation schwach. Jedoch transportiert die CD authentisch den Klang einer nicht speziell geschulten Kinderstimme. Dies ist durchaus intendiert und soll den Bezug zum eigenen Stimmklang fördern und Singhemmungen abbauen. „Ich habe Singen in meiner Kindheit als erquickend und bereichernd erlebt. Das möchte ich vor allem auch an die Kinder weitergeben, die nicht mit solch einer häuslichen Tradition aufwachsen“ so Inga Mareile Reuther im Gespräch mit der nmz. Die Chorlehrkräfte finden in dem Liederbuch, neben den 55 Liedern, zu jedem Lied einen Vorschlag für das passende Klavierpattern sowie Akkorde für die Gitarrenbegleitung und Bewegungsvorschläge. Der relativ hohe Anteil christlicher Lieder erstaunt – gerade für ein Singförderprogramm, das anstrebt eine interkulturelle Gemeinschaft zu fördern. Leider fehlt dem eröffnenden JEKISS-Hit der Ohrwurmcharakter – mit dem Song „Klasse: Wir singen“ des gleichnamigen Braunschweiger Sing-Projekts kann es nicht mithalten. 

Der Konzeptband richtet sich an die Musik- und Grundschulpädagogen, die das JEKISS-Projekt an einer Schule umsetzen wollen. „Das pädagogische Konzept, das JEKISS zugrunde liegt, ist eine in zehn Jahren entstandene Erfahrungssammlung, die ich anhand meiner praktischen Arbeit mit vielen Kinderchören an allgemeinbildenden Schulen und in der Musikschule entwickeln konnte“, so Reuther. Im Konzeptband gibt Reuther Anregungen und Tipps aus der JEKISS-Praxis, angefangen von der Schulchorgründung bis hin zu den regelmäßigen Singtreffen der ganzen Schulgemeinschaft, Anregungen zur Liedeinstudierung und Erläuterungen zur Stimmbildung mit Kindern. Die vorgestellten Bewegungsvorschläge (Moves) geben Hilfen zur Umsetzung der im Liederband vorgeschlagenen Bewegungschoreografien und zur Ausarbeitung eigener Ideen. Für eine lebendige Klavierbegleitung im Schulchor werden gut spielbare Klavierpatterns in jeweils einer Harmonie vorgestellt, die dann auf die anderen Harmonien übertragen werden können. Je nach Gestus des Liedes werden mehrere Begleitmuster vorgeschlagen und den entsprechenden Abschnitten im Lied zugeordnet. 

Die zum Konzeptband gehörende DVD veranschaulicht die Vorgehensweise. Die darin enthaltenen Workshops zum Thema Stimmbildung, Dirigieren, Rhythmussprache, Moves und Klavierpatterns regen dazu an, sich auch zu Hause mit der eigenen Stimme auseinanderzusetzen. Leider ist die Navigation innerhalb der DVD nur am PC oder neueren Abspielgeräten uneingeschränkt möglich. Bei älteren DVD- Playern lässt sich die Navigation nicht immer verfolgen und macht die Ansteuerung einzelner Kapitel beschwerlich. 

Inga Mareile Reuther ist eine engagierte Frau der Praxis, die ihr Konzept nicht zu Hause am Schreibtisch entwickelt hat. So sieht man ihr die eine oder andere Ungenauigkeit in der Formulierung nach. Auch wird über manche Angaben im Kapitel Stimmbildung für Chorkinder und Lehrkräfte unter Fachleuten kontrovers diskutiert (z. B. wo die Registerübergänge ganz genau sind, ob es diese wirklich gibt etc.). Ob untrainierte Frauenstimmen tatsächlich bevorzugt zwischen dem kleinen e(!) und h2 singen, ist fraglich. Reuthers Praxiserfahrung wird auch durch die Lehr-DVD bezeugt, welche die jeweiligen Lerninhalte des Konzeptbandes anschaulich demonstriert, was vielen Grundschullehrkräften manche Inhalte überhaupt erst erschließen wird (z.B. den unterschiedlichen Klang der jeweiligen stimmlichen Register). 

Auf die Frage, was das Ziel ihrer vokalpädagogischen Arbeit ist, antwortet Reuther: „Zunächst wollte ich meine eigenen positiven Erfahrungen mit dem Singen an viele weitergeben. Ich selbst kann mir keinen Tag ohne Gesang vorstellen. Und wenn es nur das Summen beim Einkaufen ist. Ich habe das Gefühl, dass es möglich ist, die nächsten Generationen mit Hilfe der vielen Singprojekte in Deutschland wieder mit dieser wunderbaren und das Leben positiv begleitenden Kulturtechnik zu versorgen. Wenn die Kinder, die vier Schuljahre in kindgerechter Tonhöhe gesungen und die ganze Bandbreite ihrer Stimme kennengelernt haben, die ‚Singende Grundschule‘ schließlich mit einem auswendigen Liederschatz von etwa 60 Liedern verlassen, haben wir sehr viel erreicht.“ 

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