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Der Chor des Jungen Ensembles Berlin im Konzertsaal der Universität der Künste. Foto: René Arnold
Der Chor des Jungen Ensembles Berlin im Konzertsaal der Universität der Künste. Foto: René Arnold
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Haydn im Anthropozän

Untertitel
Der Chor des Jungen Ensembles Berlin setzte sich mit der „Schöpfung“ auseinander
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Der Dirigent Frank Markowitsch wagt es, im Zusammenhang mit Konzerten, die er mit dem Chor des Jungen Ensembles Berlin plant, Fragen zu stellen, die ungeahnte Perspektiven auf musikalische Werke eröffnen. Wie weitreichend dies gehen kann, zeigte das jüngste Projekt, das dem Oratorium „Die Schöpfung“ von Joseph Haydn gewidmet war und vom 6. bis 8. Februar stattfand.

Ein Kommunikationsprojekt zu Natur und Kultur“ nannte sich das Konzertprojekt im Untertitel, das auch ein Symposium mit hochkarätigen Musik-, Natur- und Geisteswissenschaftlern beinhaltete. Veranstaltet wurde das Symposium vom renommierten „Institute for Advanced Sustainability Studies“ in Potsdam. Die Themenpalette war beeindruckend und beinhaltete unter anderem folgende Aspekte: Welchen Blick haben wir auf die Schöpfung heute? Und welchen hatten die Menschen 1798 bei der Uraufführung des Oratoriums? Kann uns Haydns Musik sensibilisieren für ethische Fragen im Umgang mit der Natur? Vor welchen Herausforderungen stehen wir heute, wenn es um die Bewahrung der Schöpfung geht? Hierzu gab es kurze Impulsreferate, die dann im Dialog mit den Anwesenden vertieft wurden.

Einblicke aus musikwissenschaftlicher Sicht gaben Hartmut Fladt von der Berliner Universität der Künste und Christian Kaden von der Humboldt-Universität zu Berlin. Haydns Schaffen, so Fladt, war geprägt vom Ideal der „edlen Einfalt“. Demzufolge wurde eine allzu große Kunstfertigkeit als unnatürlich empfunden. Dem Genie bescheinigte man dementsprechend eine von der Natur gegebene künstlerische Anlage. Die Auseinandersetzung mit der Natur in der Kunst mündete wiederum in einer „Ästhetik des Erhabenen“, so wie sie Haydn zum Beispiel in der instrumentalen Einleitung seiner Schöpfung bei der „Vorstellung des Chaos“ vertont hat. Kaden verwies darauf, dass der Komponist gerade hier Satztechniken vorwegnahm, die erst Mitte des 19. Jahrhunderts Usus wurden. Auch Haydns tonmalerische Charakterisierungen der Tiere galten in seiner Zeit als ausgesprochen progressiv. Zugleich spielten aber auch neuere naturwissenschaftliche Erkenntnisse in der Musiktheorie eine Rolle. So wurde zum Beispiel der Quintfall schon von Rameau in Analogie zur Schwerkraft gesehen, die zuvor durch Newton wissenschaftlich beschrieben wurde.

Doch seit den Tagen von Haydn, darauf machten die geladenen Naturwissenschaftler aufmerksam, hat sich die Welt dramatisch verändert: Jährlich sterben 30.000 Arten aus und der Klimawandel nimmt bedrohliche Ausmaße an. Unstrittig dabei ist, dass der Mensch der Verursacher dieser Veränderungen ist. Der Begriff „Anthropozän“, wie er in jüngerer Zeit in der wissenschaftlichen Debatte geführt wird, postuliert diese neue, vom Menschen veränderte Erdepoche, die in Haydns Zeit durch die aufkommende Industrialisierung ihren Anfang nahm.

Allerdings war Haydns Weltbild noch religiös begründet. In seinem Oratorium vollzieht sich über weite Teile der biblische Schöpfungsmythos einer von Gott in sieben Tagen erschaffenen Welt. Gleichzeitig schwingt hier ein Demutsbegriff gegenüber der Natur mit, der uns heute größtenteils abhanden gekommen ist. Der Mensch selbst übernimmt inzwischen die Rolle des Schöpfers. Daher plädierte auch der Theologe Jürgen Manemann für ein „Leben jenseits des Machbarkeitswahns“; ein anders gelagerter Glaubensbegriff, so Manemann, könnte auch einen Glauben beziehungsweise ein Vertrauen an die selbstgestalterischen Kräfte der Natur beinhalten. Daran anknüpfend vertrat die Umwelthistorikerin Verena Winiwarter die Auffassung, dass wir uns in unserem Machbarkeitswahn überschätzen – schließlich sei unser Naturbild immer ein Spiegel unseres beschränkten Menschenbildes. Was uns zudem heute vor allem fehle, ist Zeit. Gleichzeitig befinden die Menschen sich, so Winiwarter, in einer massiven Sinnkrise.

An dieser Stelle richtete sich die Aufmerksamkeit wieder auf die beiden Konzerte des Jungen Ensembles, die in der Berliner Gethsemanekirche und dem Konzertsaal der Universität der Künste stattfanden. So waren sich die Teilnehmer darin einig, dass künstlerische Produktivität dem Leben Sinn geben kann. Im Falle des ambitionierten Chorprojekts gilt das nicht allein für die gut 80 Sängerinnen und Sänger des Chores. Es gelang auch, Musiklehrer zweier Berliner und einer Hamburger Schule mit ins Boot zu nehmen. So durften deren Schüler das Ensemble verstärken und dabei erleben, was es bedeutet, Mitglied einer hochkarätigen Aufführung zu sein. In einer weiteren Unterrichtseinheit beschäftigten sich Grundschüler mit dem Thema Schöpfung. Sie ließen sich dabei von Haydns Musik inspirieren, um mit eigenen Bildern und Texten persönliche Zugänge zur Natur zu finden. Wenn die Publizistin Adrienne Goehler auf dem Symposium forderte, dass Schulen neue Wege gehen müssten, um eine ästhetische Bildung zu fördern, die sich auch in der Praxis bewähren soll, dann ist zumindest hier ein gutes Beispiel gegeben. Es eröffneten sich tatsächlich neue Spiel-, Denk- und Fühlräume, die den Horizont der Schüler erweitern.

Und auch die Universität der Künste war eingebunden: Auf theoretischer Seite widmete sich ein musikwissenschaftliches Seminar der „Schöpfung“. Es gelang aber auch, mit dem Tenor Gerald Beatty und dem Bass Jongsoo Yang Studierende des Fachs Gesang zu gewinnen. Beide meisterten ihre Rolle mit großer Souveränität, wobei insbesondere Yang mit seinem sonoren und warmen Timbre das Publikum begeisterte. Die Absolventin Emma Moore überzeugte als Erzengel Gabriel wie auch als Eva mit großem Einfühlungsvermögen und enormem Stimmpotential. Erstaunlich gut gelang schließlich der gesamte dritte Teil, wo Moore und Yang im euphorischen Wechselgesang als Eva und Adam ein wunderbares Menschenpaar abgaben, das sowohl Himmel und Erde als auch sein eigenes Glück mit dem dazugehörigen Moment unterschwelliger Ironie feierte. Einfühlsam intervenierte immer wieder der Chor und führte die Harmonie der beiden zu vielstimmigen musikalischen Höhepunkten.

Der Chor arbeitet sozusagen nach dem Prinzip: mit Enthusiasmus zu Höchstleistung. Wenn man berücksichtigt, dass es sich hier um ambitionierte Laien handelt, ist es erstaunlich, wie klangfein und dezent die Sängerinnen und Sänger zum Beispiel in Nr. 2 den „Geist Gottes über dem Wasser“ schweben lassen oder mit welcher Intensität und Dynamik in Nr. 11 Gott am Ende des dritten Tages im Lobgesang gehuldigt wird.

Wie umfassend man sich künstlerisch mit Haydns Oratorium von 1798 befassen und dabei Ebenen herausarbeiten kann, die im Jahr 2015 auch eine politische und gesellschaftliche Relevanz aufzeigen, hat das jüngste Projekt des Jungen Ensembles beispielhaft vorgeführt. Nachahmung dringend empfohlen!

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