Als Chornation ist der Iran nicht unbedingt bekannt. Und doch gibt es dort eine kleine, sehr engagierte Chorszene, die den Austausch sucht. Im Spätsommer hatte der Chorleiter, Komponist, Workshopleiter und Musikpädagoge Markus Detterbeck Gelegenheit, sie näher kennenzulernen. Mit ihm sprach Juan Martin Koch.
neue musikzeitung: Wie kommt ein deutscher Chorleiter in den Iran?
Markus Detterbeck: Vor zwei Jahren habe ich beim Korofest Istanbul einen Chor aus dem Iran kennengelernt. Dessen Reise war von der Kulturmanagerin Adele Zamani organisiert worden, die mich dann zu einem Workshop Ende August nach Teheran eingeladen hat.
nmz: Welche Erwartungen hatte Frau Zamani an die Zusammenarbeit?
Detterbeck: Die Chöre, die ich im Iran kennengelernt habe, singen ein breites Repertoire von der Renaissance bis zu romantischer und zeitgenössischer Musik, aber auch traditionelle Musik aus dem Iran wie zum Beispiel persische oder kurdische Musik sowie Pop. Für unseren Workshop lag das Interesse vor allem darin, an Popmusik-Arrangements und an afrikanischer Musik zu arbeiten. Die über 100 Sängerinnen und Sänger, die vor allem aus fünf Chören stammten, hatten sich schon vorab mit den Stücken beschäftigt, sodass während der vier Workshoptage eine sehr konzentrierte und beglückende Probenatmosphäre entstand.
nmz: Unterscheidet sich der Chorklang, die Herangehensweise im Vergleich zu europäischen Formationen?
Detterbeck: Durch die englischen Poptitel spielt der Umgang mit der Sprache eine wichtige Rolle. Hier die Klanglichkeit zu erreichen, die diesem Repertoire angemessen ist, war ein Fokus der Arbeit, da die Stimmprägungen schon andere sind. Nach dem viertägigen Workshop und dem anschließenden Konzert waren wir noch in Kerman, einer Wüstenstadt rund 1.000 Kilometer südlich von Teheran. Dort war spürbar, dass es wieder andere Vorerfahrungen, eine andere Kultur und Klanglichkeit gibt.
nmz: Inwieweit war die Einladung eine offizielle, gab es politische Kontakte?
Detterbeck: Adele Zamani arbeitet als selbstständige Kulturorganisatorin und hat kürzlich ihre eigene Agentur Artasani gegründet. Sie setzt ganz unterschiedliche Kulturimpulse und hat zum Beispiel zum Weltfrauentag Aktionen im Iran initiiert. Sie lädt häufig Musiker aus Europa oder Amerika ein, aus dem klassischen Bereich, aber auch aus Jazz und Pop. Ihr geht es um Kulturaustausch und sie möchte ausgehend von diesem ersten Chorkontakt eine längerfristige Zusammenarbeit etablieren. Daran ist auch der Generaldirektor der Musikabteilung des Kultusministeriums Farzad Talebi interessiert, den wir getroffen haben. So entstand die Idee, an den Workshop einen kleinen Chorwettbewerb anzuschließen. Hier hat mich unter anderem mein Kollege Jan Schumacher als Juror unterstützt. Der Gewinner, das Tehran Vocal Ensemble, kann dann nächstes Jahr beim Harmonie Festival in Lindenholzhausen teilnehmen.
nmz: Was waren die Rahmenbedingungen der Reise, wie frei kann man sich kulturell bewegen?
Detterbeck: Zunächst einmal musste die Stückauswahl für den Workshop genehmigt werden. Alle Texte mussten auf Farsi übersetzt und eingereicht werden.
nmz: Gab es Beanstandungen?
Detterbeck: Es ist alles durchgegangen, überraschenderweise auch meine Chorkomposition „Set Your Sail“. Die Textpassage „freedom to live the life you believe in“ war im Konzert ein besonders intensiver Moment. Allgegenwärtig ist aber der Sicherheitsdienst Herasat, der über die Einhaltung religiöser Vorschriften wacht. Wegen eines Warm-Ups mit viel Körpereinsatz wären wir beinahe aus unserem Probenraum geflogen. Als nach dem Konzert bekannt wurde, dass das achtköpfige Dian Ensemble, der einzige iranische Frauenchor, zu einem Stück – noch dazu mit einer Soloeinlage – eine kleine Schrittkombination gemacht und ein Band geschwungen hatte, gab es Ärger: Ein weiterer Auftritt, den sich die Frauen mit dem Gewinn des Publikumspreises ersungen hatten, wurde abgesagt. Das belastete Verhältnis des Islam zur Musik war immer wieder spürbar.
nmz: Wie reagieren Kulturschaffende auf diese politisch-religiöse Situation?
Detterbeck: Man hat den Eindruck, dass ein Rückzug ins Private stattfindet. Die eigenen vier Wände sind ein kultureller Schutzraum, eine zweite Welt innerhalb dieses Systems, die oft als die eigentliche wahrgenommen wird. „Das ist, wie wenn es bei euch regnet“, sagte jemand zu mir, „da spannt ihr auch einen Regenschirm auf …“
nmz: Wie geht es weiter mit diesem Austausch und wie fällt das vorläufige Fazit aus?
Detterbeck: Zunächst steht, wie gesagt, der Besuch des Tehran Vocal Ensemble Ende Mai 2017 beim Harmonie Festival in Lindenholzhausen an. In einem weiteren Schritt ist geplant, dass ein Chor aus Deutschland in den Iran reist. Mich haben die Begegnungen mit diesen sympathischen, interessanten, tiefgründigen Menschen sehr bereichert – auf kultureller, musikalischer Ebene, aber auch persönlich. Die Vorstellungen, die oft vom Iran vorherrschen, sind ja stark von den politischen Spannungen geprägt. Da gibt es Unsicherheiten und Ängste, damit muss man sich im Vorfeld auseinandersetzen. Ein solcher Austausch birgt die Chance, einen anderen Blickwinkel einzunehmen auf ein Land mit einer großartigen kulturellen Tradition und musikalischen Neugier.