Dass die Blasmusikszene keine Nachwuchsprobleme kennt, ist immer wieder Stoff für die ungläubigen Blicke in Pressekonferenzen. Und dennoch: Im Gegensatz zu vielen anderen Bereichen der Musik in Deutschland verzeichnet die Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände e.V. (BDMV) jährlich steigende Mitgliederzahlen, kann gar von einem Jugendanteil von 60 Prozent der Mitglieder in den 18.000 Vereinsorchestern berichten.
Doch um es mit Kirkegaard zu sagen: „Wer aufhört, besser zu sein, der hat aufgehört, gut zu sein.“ Ein Ausruhen auf solchen Erfolgen scheint in mehrfacher Hinsicht gefährlich. Zum einen sagt ein hoher Jugendanteil nur wenig darüber aus, wie lange junge Menschen der Mitarbeit im Verein erhalten bleiben. Und hier tut sich bereits ein erstes Problemfeld auf: Viele Jugendliche beenden ihr Engagement relativ schnell wieder, sind spätestens mit Ausbildungs-, Studien- oder Berufsbeginn nicht mehr aktiv dabei. Zwei Ansatzpunkte könnten dieses Problem in den Griff bekommen: Die Vereine müssen stärker die Potentiale ansprechen, die auch nach Abschluss der Ausbildung am Ort bleiben, also verstärkt Haupt- und Realschüler werben und auf diese Zielgruppen zugeschnittene Angebote machen. Zum anderen müssen die Vereine ihre Arbeitsweise, die Organisations- und Satzungsstrukturen so ändern, dass junge Leute bereits vor dem berufsbedingten Rückzug ausreichend stark eingebunden sind. Flexiblere Arbeitskreise können dafür ein Instrument sein.
Die Jugendstudie von Shell aus dem Jahr 2000 stellt fest, dass der Anteil derjenigen jungen Vereinsmitglieder steigt, die auch bereit sind, eine Funktion im Verein zu übernehmen. Im Durchschnitt liegt dieser Anteil bei Kulturvereinen bei 23,1 Prozent (zum Vergleich: Im Sport engagieren sich gerade mal 12 Prozent der Jugendlichen in Funktionen). Allerdings sind Kontinuität und Umfang des Engagements geringer, entsteht eine Konkurrenzsituation gegen deutlich stärkere äußere Einflüsse und Ablenkungen. Dies stellt neue Anforderungen an eine Satzungsstruktur und an die Führungs- und Motivationskenntnisse des Vereinsvorsitzenden. Schließlich muss der Verein es schaffen, jugendliche Mitglieder einzubinden, sie zu motivieren und ihnen Gestaltungsspielräume einräumen, eigenverantwortliche Projekte zugestehen. Und dies bei deutlich höherer Unsicherheit darüber, wie stark das Engagement sein wird und wie lange die Motivation anhält. Dies führt letztlich dazu, dass mittelfristig der von ganz wenigen Funktionären geführte Verein nicht mehr existieren wird.
Die Anzahl der gleichzeitig an der Vereinsführung beteiligten Mitglieder wird steigen, weil jeder einzelne einen geringeren Anteil der Arbeit machen wollen wird. Dies erfordert eine Neugliederung der Funktionen und Organe, aber auch die Weiterbildung der koordinierenden Kräfte. Eine Führungsspanne von zwanzig und mehr Ehrenamtlichen zu bewältigen, ist für manche Profiführungskraft eine schwierige Herausforderung!
Nicht zuletzt deshalb hat der Blasmusikverband Baden-Württemberg mit Jahresbeginn 2000 die M-Reihe gestartet: In der Akademie Kürnbach können Vereinsführungskräfte in vier Stufen eine Management-Qualifikation erwerben (Infos unter www.bvbw-kuernbach.de oder per Tel. 07258/91 22-0).
Soweit also die Bindung von bereits im Verein engagierten Jugendlichen. Mindestens genauso wichtig ist aber die Gewinnung von neuen Vereinsmitgliedern. Diese wird auf Dauer nicht mehr über das rein musikalische Argument möglich sein. Schließlich konkurrieren Vereine bei der Gestaltung der knapp bemessenen Freizeit mit „moderneren” Formen und Stilrichtungen des Musizierens oder des Musikhörens.
Eine Konkurrenzanalyse zeigt, dass in einer Art „Mikro-Umwelt” der Verein sich zunächst gegen andere Formen des aktiven Musizierens durchsetzen muss. Das Musizieren in nicht organisierten Formen – in Rockbands beispielsweise – oder bei anderen Trägern, die mit anderem Repertoire aufwarten, sind ernsthaft zu berücksichtigen. Gibt es an der Schule eine Big Band? Was bietet die Musikschule an? Welche Stilrichtungen kommen bei jungen Leuten am besten an?
Die Shell-Studie weist darauf hin, dass die Beschäftigung mit Musik zu den meistgenannten Freizeitaktivitäten junger Leute gehört. In der nun zu analysierenden „Makro-Umwelt” geht es also um das Konkurrenzverhältnis zwischen dem eigenen Musizieren und anderen Formen des Beschäftigens mit Musik. Das Hobby des Musizierens muss sich hier durchsetzen gegenüber hochprofessionellen passiven Angeboten: Die Disco, die Stereoanlage, Musiksender im Fernsehen sind bequeme, jederzeit abrufbare Formen des Musikhörens. Für Jugendarbeit Verantwortliche müssen sich also fragen: Was kann der Musikverein bieten, was die genannten Konkurrenten auf Mikro- und Makro-Ebene nicht bieten können?
Vielleicht kann das etwas mit einem Gemeinschaftserlebnis zu tun haben. Vielleicht auch mit der Chance auf einen persönlichen Erfolg und auf Lernen. Diese Frage wird spezifisch jeder Verein für sich entscheiden müssen, wenn er die regionale Situation berücksichtigt. Zentral ist nun aber, diese erkannte Besonderheit, diese „U- nique selling proposition”, dieses Merkmal, das das Vereinsmusizieren von allen anderen Formen abhebt, in den Mittelpunkt der Werbung und Öffentlichkeitsarbeit zu stellen.
Nicht zuletzt bietet diese Analyse die Chance, dass sich auch langjährige Vereinsführungskräfte wieder einmal bewusst machen müssen, welche Ziele der Verein und welche Besonderheiten er verfolgt, wo die strategischen Schwerpunkte seiner Arbeit liegen sollten. Und das wiederum ist oft der Auslöser für die Umstrukturierung der Vereinsarbeit. Für die Modernisierung. Für das Einschlagen eines Erfolgskurses für die nächsten Jahre. Gemeinsam unter Einbindung von erfahrenen Profis und jugendlichen Querdenkern.