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Natur, Gesang, Vielfalt

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Die Bergfinken Dresden feiern ihr 100-jähriges Jubiläum als ältester deutscher Bergsteigerchor
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„Sänger herbei, wer es auch sei!“ war im September 1920 ein Aufruf in den Mitteilungen des Sächsischen Bergsteigerbundes überschrieben. Der Verein plante eine „Gesangsabteilung“, denn man betrachtete es als „eine ernste Aufgabe, sich um die Pflege des Gesanges unter den Bergsteigern zu bemühen, damit man oben in den Bergen einen frischen, wohllautenden Liedersang zu hören bekommt, während man jetzt oft nur durch ein wildes Gröhlen [!] oder aber ein ebenso unerträgliches ‚Leiern‘ verstimmt wird.“

Das, was als Geburtsstunde des Sportkletterns gilt, lag da bereits gut ein halbes Jahrhundert zurück: 1864 hatten vier Mitglieder des „Männer-Turnvereins zu Schandau“ den Falkenstein bei Bad Schandau bestiegen; in den folgenden Jahrzehnten eroberten Bergbegeisterte nach und nach die bizarre Felswelt der Sächsischen Schweiz. Und man kann annehmen, dass von Anfang an auch gesungen wurde, denn das Singen in der Natur lag im 19. Jahrhundert im Trend – auch für die Turnerbewegung etwa gehörten Wandern und Singen von Anfang an zum Programm. Und etwas davon hat sich bis heute erhalten: „Was wir singen, das haben die meisten von uns erlebt“, sagt Matthias Knorr, seit mehr als zehn Jahren Mitglied der Bergfinken und zuständig für Pressearbeit. „Lachende Sonne, strahlender Morgen, jubelnde Welt im Sonnenschein.“ „Schütze uns, oh Vater, schütze unser Leben, wenn wir zum hohen Gipfelkreuz hinstreben.“ Die Schönheit der Berge. Die Gefahren.

Zum ersten „Übungsabend“ der neugegründeten Gesangsvereinigung im Jahre 1920 hatten sich 56 sangesfreudige Bergsteiger im Restaurant „Zum Klosterkeller“ in Dresden eingefunden – übrigens ausschließlich Männer, zum Bedauern der Initiatoren, die eine gemischte Besetzung im Sinn hatten. Dabei ist es dann auch geblieben. Heute gehören den „Bergfinken“, wie sich der Chor seit den 1940er Jahren nennt, mehr als 90 Sänger an. Der jüngste ist 19, die ältesten sind über 80. „Es ist faszinierend, wie die verschiedenen Generationen durch das gemeinsame Singen und durch dieses gemeinsame Gefühl von Gebirge, Musik und Klettern verbunden sind“, findet Albrecht Michler, mit 28 Jahren einer der Jüngsten. „Ich habe schon in der ersten Probe gemerkt, dass mich das mitnimmt und ich mich zugehörig fühle, und so bin ich dabei geblieben.“

Wechselvolle Zeiten hat der Chor erlebt, nachzulesen im Band „100 Jahre Bergfinken“, der Anfang des Jahres erschienen ist: Einen raschen Aufschwung in den Anfangsjahren – nur ein paar Monate nach der Gründung zählte man bereits 80 Mitglieder. Erfolgreiche Konzerte (sogar eins mit Werken von Schubert und eins mit Opernchören, begleitet von einem Sinfonieorchester). Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten. Einbruch der Sängerzahl im Krieg. Das vorläufige Ende im Mai 1945. Die zunächst illegale Neugründung im August 1945. Politischer Druck und erzwungene Kompromisse in der DDR-Zeit. Neuorganisation in der turbulenten Situation nach der politischen Wende.

Geblieben ist über die Zeiten das Bewusstsein, mehr zu sein als ein Chor: eine soziale Vereinigung, eine, so formuliert es Ulrich Voigt, „sehr verbundene Gemeinschaft“. Voigt ist ein Urgestein unter den Bergfinken. Sein ers­tes Konzert hat er vor fast 70 Jahren mitgesungen – „das kann man sich kaum vorstellen, ich mir selber auch nicht!“ Der promovierte Physiker war nach der politischen Wende lange Jahre Vorsitzender des Sächsischen Bergsteigerbundes und hat sich intensiv für die Kultur als einen wichtigen Pfeiler der Vereinigung eingesetzt: für Kunstausstellungen, Vorträge, Literatur, für die große Bibliothek, die auch eine einzigartige Gipfelbuchsammlung umfasst. Und nicht zuletzt: gleich drei Chöre. Als er 1951 zu den Bergfinken stieß, hätten sie überall gesungen, erzählt Voigt, in der Eisenbahn, auf der Fähre über die Elbe, auf den Gipfeln. Das habe heute nachgelassen, dafür sei aber das Niveau höher als früher. Nicht zuletzt dank der ambitionierten Chorleiter.

„Das letzte, was der Chor braucht, ist, verstaubt-antiquiert zu sein“, sagt Ulrich Schlögel, der diese Aufgabe vor mehr als 20 Jahren übernommen hat. „Wenn wir junge Sänger heranziehen, müssen wir deren Bedürfnissen Rechnung tragen, auch was die Literatur angeht.“ Und so sucht er unermüdlich nach Brücken zwischen dem Kernrepertoire der Bergsteigerlieder und anderen Musikrichtungen von der Klassik bis zur außereuropäischen Musik. Gemeinsame Konzerte mit Alphornbläsern, einer Dixieland-Band, einem Akkordeonorchester, der „Banda Internationale“, einer Brass-Band, die sich gegen rechts engagiert. Traditionelles Singen in den Bergen, bei der Wintersonnenwend-Feier oder bei der Totenehrung am Gedenkstein auf der „Hohen Liebe“. Mitsingkonzerte. Die Chorfahrt alle zwei Jahre, bei der die Bergfinken nach dem Aufstieg über den Gletscher auch schon auf der Zugspitze gesungen haben. Das jährliche festliche Weihnachtskonzert in der Dresdner Annenkirche.

Es ist die Vielfalt, die für viele Chormitglieder einen besonderen Reiz ausmacht. Aber auch die Balance zwischen anspruchsvoller Chorarbeit einschließlich Registerproben und Stimmbildung auf der einen Seite und einer entspann­ten Atmosphäre, die auch mal ein Bier im Probensaal erlaubt, auf der anderen. Denn das Wichtigste sei doch, sagt Ulrich Voigt, dass das Singen Freude mache. Und: „Wenn ich aus der Chorprobe komme in meinem hohen Alter, habe ich immer gute Laune. Jede Woche.“ Das würden wohl so ziemlich alle Bergfinken unterschreiben. Und so sorgen sie bis heute für „frischen, wohllautenden Liedersang“. Nicht nur in den Bergen.

Das Jubiläumskonzert wurde wegen der Corona-Krise auf den 4. Oktober 2020 verschoben. Informationen unter www.bergfinken.de

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