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Offene Wünsche

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Porträts der Landesjugendchöre – ein Fazit
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Im vergangenen Jahr sind auf der Chorszeneseite der nmz einige Porträts von Landesjugendchören (LJC) aus dem ganzen Bundesgebiet erschienen. Die Beiträge aus dem Saarland, aus Sachsen und aus Niedersachsen haben bereits gezeigt, dass es zwar durchaus unterschiedliche Strukturen und Arbeitsschwerpunkte gibt, dass sich aber andererseits die Wünsche doch sehr ähneln. Nach diesen drei Chören klafft eine Lücke in der Serie, die so nicht gewollt war und welche die Redaktion auch einigermaßen verblüfft hat. Denn auf die Anfrage früh im Jahr und die später erfolgte Nachfrage kamen nur mehr ein komplett ausgefüllter Fragebogen aus Brandenburg und zwei Rückmeldungen aus Baden-Württemberg und NRW zurück. Wie sämtliche schriftlichen Antworten und auch Gespräche zeigen, hat dies nicht Interesselosigkeit als Grund, sondern führt uns zu einem Kernproblem, das wir hier mit einigen anderen Aspekten zusammenfassend und abschließend darstellen wollen.

Meist und unabhängig vom Träger (Landesmusikräte, Chorverbände etc.) fehlt es an hauptamtlichem Personal, um neben dem laufenden Betrieb Dinge wie Öffentlichkeitsarbeit oder den Austausch von Ensembles untereinander in angemessener Weise zu bewerkstelligen. Wie zeit- und kommunikationsintensiv die Aufgabe ist, Ensembles von bis zu 70 jungen Menschen rein organisatorisch auf die Reihe zu bekommen, kann man sich leicht vorstellen. Nun sollen aber Landesjugendchöre Botschafter ihres Bundeslandes und Repräsentanten für die junge Chorszene sein. Dies bedingt, dass der Kontakt zu Rundfunkanstalten und die Vermittlung attraktiver Auftrittsmöglichkeiten gepflegt und vorangetrieben werden müssen – Stoff für mindestens eine halbe Stelle. Aber: Bis auf einen Fall, in dem die künstlerischen Leiter komplett ehrenamtlich auch noch für all dies bis hin zur Buchung von Unterkünften zuständig sind, findet sich in Abstufungen nirgends eine absolut befriedigende personelle Ausstattung.

Auf der Wunschliste steht darüber hinaus – wie könnte es anders sein – generell einiges, was Geld kostet. So kann nach Streichungen im Etat im einen Bundesland seit Jahren kein chor-sinfonisches Werk mehr aufgeführt werden, im anderen gibt es massive Probleme, Sängerinnen und Sänger zu finden, weil Teilnahmegebühren erhoben werden müssen und Reisekosten nicht mehr voll bezahlt werden können. Im nächsten Fall wird bei seit zwölf Jahren gleichem Haushaltsansatz sukzessive die Zahl der Sängerinnen und Sänger reduziert, dann die Stimmbildung und schließlich die Chorassistenz gestrichen. Weitere probate Mittel der Einsparung: Reduktion der Proben- und Konzertphasen oder Streichung von Reisen.

Besonders bemerkens- und beklagenswert ist die Tatsache, dass sich auch auf der Positivseite ein Punkt bei allen gleichlautend findet: Die jungen Leute tragen diese Ensembles mit einem enormen Engagement und teils erheblichem persönlichen Aufwand an Zeit und manchmal auch an Geld. Chorbegeisterte sind im besten Sinne verrückt, und das wird von Fall zu Fall mehr oder weniger ausgenutzt. Dabei hat sich in den vergangenen Jahren die Belastung der Hauptklientel von jugendlichen Auswahlchören deutlich verstärkt: für Schülerinnen und Schüler in G-8-Zeiten sind außerschulische Engagements beinahe unmöglich geworden und Studierende haben auch nicht mehr die Freiheiten früherer Zeiten, von den Sorgen um die Finanzierung des Studiums einmal ganz abgesehen.

So kann man es hohen Tenören und tiefen Alt- wie Bass-Stimmen nicht verdenken, wenn sie im Zweifel eine gut bezahlte Aushilfe an einem Wochenende der atmosphärisch noch so schönen und musikalisch noch so wertvollen Probenphase des heimischen LJC vorziehen. Kein Geld im Sinne von Honorar für die Mitwirkung zu bekommen, ist wohl für 98 Prozent Ehrensache – Geld aber auch noch mitbringen zu müssen, stellt für einige eine Grenze dar. Das ist für viele keine Frage der inneren Haltung, sondern eine existenzielle – Teilhabe in Abhängigkeit vom Einkommen der Eltern ist an der Spitze nichts anderes als in der Breite.
Eine Frage war noch, ob die Landesjugendchöre als Konkurrenz zu den bestehenden Chören im Umfeld angesehen werden oder akzeptiert, gar unterstützt werden. Hier gab es unterschiedliche Rückmeldungen, zwei Hinweise kamen aber desöfteren: Zum einen werden LJCs in der Tendenz als Konkurrenz wahrgenommen und selten wird in Chören für eine Mitwirkung Werbung gemacht. „Wer macht schon Werbung dafür, dass eigene Leistungsträger aussteigen?“, ist eine Antwort, die es auf den Punkt bringt (die aber nicht namentlich zitiert werden möchte). Und zum anderen wurde bei dieser Frage mehrfach erwähnt, dass nicht unbedingt die Chöre vor Ort das größte Konkurrenzproblem darstellen, sondern dass natürlich auch überregionale Ensembles wie die AUDI-Jugendchor-akademie, das Chorwerk Ruhr oder auch das Junge Stuttgarter Bachensemble für ambitionierte junge Sängerinnen und Sänger höchst attraktiv sind und wiederum zu Abwanderungen aus den LJCs führen. Mit deren Ausstattung zu konkurrieren, ist für die meisten unmöglich.

Dennoch sind sie alle mit Feuer und Begeisterung bei der Sache. Das darf und muss so bleiben und freilich kann nicht alles finanziert werden, was wünschenswert wäre. Aber die Verhältnismäßigkeit macht’s – in Bezug auf die für andere Bereiche aufgewendeten Summen ebenso, wie mit Blick auf den von den jungen Leuten geleisteten Beitrag.
 

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