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Barnaby Smith von Voces8 beim chor.com-Workshop mit dem Mädchenchor Hannover. Foto: Rüdiger Schestag
Barnaby Smith von Voces8 beim chor.com-Workshop mit dem Mädchenchor Hannover. Foto: Rüdiger Schestag
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Sie singen, sie inspirieren und sie unterrichten

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Eindrücke von Konzert und Workshop mit Voces8 bei der chor.com in Hannover
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In einem Beitrag zu den Konzerten auf der chor.com 2019 in Hannover in der nmz Nr. 10/2019 haben wir versprochen, einen eigenen Beitrag zu Voces8 nachzuliefern. Anlass dafür ist die durchaus komplexe Gefühlslage, in der einen das Konzert mit Voces8, einem Schulchor und dem Mädchenchor Hannover zurückgelassen hat – vor allem wenn man in den vorangegangenen Workshops war, in denen erstere mit den beiden jungen Chören gearbeitet haben.

Fangen wir also ruhig von hinten an, beim Konzert. Wer in der letzten Ausgabe nachlesen möchte, kann die Begeisterung des Autors dieser Zeilen über den herausragenden Mädchenchor Hannover unter seinem tollen Leiter Andreas Felber noch einmal nachlesen, wiederholen müssen wir uns hier nicht. Angekündigt war das Konzert als gemeinsames Konzert der Hannoveraner Mädchen mit Voces8 mit den Worten „Den zweiten Teil des Abends gestalten beide Ensembles mit Werken von Max Reger und Samuel Barber.“ Insgesamt entsprach, was tatsächlich gesungen wurde, nicht unbedingt dem Programmzettel, aber wer eine größere „Portion“ Voces8 hören wollte, war sicher enttäuscht. Gerade einmal zwei Stücke durften wir vom Ensemble alleine hören, kaum mehr in Kombination mit dem Mädchenchor. Das ist sehr schade, denn singen können sie phantastisch. 

Sie singen

Ob in den beiden Workshops oder im Konzert: sie singen nicht nur technisch perfekt und intonatorisch lupenrein, sondern auch inspiriert und beizeiten mit wunderbarem Humor. Voces8 ist zurecht eine der gefragtesten a-cappella-Formationen international und sie haben einen eigenen Stil entwickelt und kultiviert, der sowohl der jahrhundertelangen Tradition geistlicher wie weltlicher Chormusik gerecht wird als auch populäre Arrangements völlig adäquat darstellt.

Sie inspirieren

In den Workshops, die quasi als Beispiele des Teamteachings angekün­digt waren, war die zweite bestechende Qualität des Ensembles bzw. der einzelnen Mitglieder zu erleben. Sie sind alle höchst charismatisch und inspirieren sicher jeden (Vokal-)Musik-Begeisterten, dem sie begegnen. Barnaby Smith moderiert charmant und mit britischem Understatement, Katie Jeffries-Harris fegt mit einem virtuos-temperamentvollen warm-up vor dem Mädchenchor auf und ab, die doch noch jung und in der Blüte ihrer Jahre stehenden Ensemblemitglieder liefern sportliche Höchstleistungen ab, wenn sie ihre jeweiligen Rhythmen verschiedenen Gruppen im Saal vorklatschen und im Taktabstand zur nächsten Gruppe rennen. Dazu immer eine eigene Attitüde, immer ein Darstellen im besten Sinne, weil das alles von innen kommt und dadurch überzeugt. Ja, sie inspirieren und begeistern damit. Nicht zuletzt tun sie das aber wiederum durch ihr Singen, das bei jedem Stück sofort in höchster Konzentration und doch mit soviel Ausdruckswillen aus der ganzen Show in musikalische Tiefe springt.

Einschub: Die Voces8-Methode und Paul Smith

Er singt nicht mehr im Ensemble, hat dies aber lange getan und hat dann eine Methode entwickelt und ein Buch bei Peters darüber veröffentlicht. Auch Paul Smith war mit einem Workshop vertreten und arbeitete unter dem Titel „Einsingen im Schulalltag – die Voces8-Methode“ mit dem Chor der Lutherschule Hannover.  In der nmz 4/2015 hat Florian Heigenhauser die damalige Neuveröffentlichung des Buches zur Methode rezensiert und der Kritik dem Buch gegenüber kann sich auch der Autor dieser Zeilen nach nochmaligem Durcharbeiten nicht entziehen; das Buch ist aber nicht der Hauptgegenstand dieses Beitrages – wer die Rezension online nachlesen möchte, kann das tun. Hier aber geht es um etwas anderes: Smith hat in Hannover zwar Elemente der Methode eingebaut, aber das eigentliche Ziel, eine Art Grundmusikalisierung zu leisten, kann man mit einem Schulchor, der immerhin „Sure on this shining night“ von Morten Lauridsen singt, natürlich nicht darstellen. So war im Workshop also weniger die verschriftlichte Methode präsent oder interessant, sondern mehr die Arbeit über die Anweisung „copy me“. Und da hatte Paul Smith klare Fortschritte im Singen des Chores vorzuweisen: die Technik wurde besser, die Bögen dichter, der Klang homogener und fundierter. Nun ist „copy me“ zwar keine neue „Methode“, aber klar: wenn ein so begnadeter Sänger vorsingt und die jungen Leute erreicht und sie ihm nacheifern, dann wird das am Ende besser klingen.

Sie unterrichten

Am Ende des Workshops war der Chor der Lutherschule deutlich besser als am Anfang – Erfolg für Paul Smith. Der Chor durfte auch in besagtem Konzert in der Christuskirche zu Beginn auftreten und sang Lauridsen (sie­he oben) sowie „Evening rise“. Und da war er nicht besser als zu Beginn des Workshops. Sicher waren die jungen Sängerinnen und Sänger vor diesem großen und fachkundigen Publikum aufgeregt, was die Leistung vielleicht etwas eingeschränkt hat. Vor allem aber funktioniert „copy me“ halt nur, wenn die Kopiervorlage vor dem Chor steht. Der eigene Leiter des Chores nahm die Tempi nämlich wieder etwas zurück und wollte offenbar vor allem Sicherheit, was auch den Schulchoralltag zu 90 Prozent prägen dürfte; man ist sehr froh, wenn es überhaupt klappt und funktioniert. So hätte man sich im Smith’schen Workshop den Transfer gewünscht, eine Arbeit mit dem Chor und mit dem Dirigenten. Nur so könnten diese zweifelsohne schönen Ergebnisse eine gewisse Nachhaltigkeit erlangen.

Und Voces8, die Mädchen aus Hannover und das Ergebnis? Ehrlich gesagt: enttäuschend. 75 Prozent des Programms im Konzert haben gezeigt, dass weder der Mädchenchor Hannover geschweige denn Andreas Felber (der im Workshop auch keinerlei Rolle ge­spielt hat – allem Teamteaching zum Trotz) Voces8 als Coaches brauchen, zumindest nicht in dieser Form. Sicher haben die Mädchen in der undankbaren Workshop-Akustik im zweiten/dritten Anlauf einige Barber-Linien schöner gesungen, wenn Andrea Haines oder Eleonore Cockerham per „copy me“ ihre Traumstimmen erklingen ließen. Aber noch viel besser als in jedem Workshopmoment haben sie unter ihrem eigenen Dirigenten gesungen. Und – noch einmal ganz ehrlich: das schlechteste Stück im Konzert war das von den drei Voces8-Damen in Gruppen dirigierte, es war nämlich einfach hoffnungslos auseinander. Die NDR-Aufzeichnung wird offenbaren, dass dies kein subjektiver Eindruck ist.

Ist dies hier also ein Verriss? Nein, das wäre ein großes Missverständnis. Es stellt sich nur die Frage, ob sowohl das Setting auf der chor.com als auch der grundsätzliche Ansatz des Unterrichtens auf diesem Weg zu einer Nachhaltigkeit geführt hat oder führen kann. Die Elemente der Methode sind gut, sie bilden nur keine echte „Methode“. Das inspirierende Arbeiten der Ensemblemitglieder tut sicher vielen wenn nicht den meisten Chören sehr, sehr gut, aber es braucht dann eben noch den letzten Schritt, eine Abrufbarkeit der Ergebnisse zu gewährleisten. Und zuletzt muss sich die Art der Arbeit an der Zielgruppe orientieren – da hat der Mädchenchor Hannover die Kolleginnen und Kollegen doch deutlich überfordert und die Lutherschule nicht alles mitnehmen dürfen, was es mitzunehmen gegeben hätte.

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