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Foto: Deutscher Musikrat / Jan Karow
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So stark wie noch nie

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Eine Bilanz des 10. Deutschen Chorwettbewerbs in Freiburg
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Seit 1982 findet alle vier Jahre der Deutsche Chorwettbewerb statt. In fast allen Kategorien treten dabei viele der besten Laienchöre Deutschlands gegeneinander an. Der vom Deutschen Musikrat veranstaltete Wettbewerb ist aber vor allem eines: Wichtiger Impulsgeber für eine große Chorszene, deren künstlerisches Niveau immer weiter steigt.

Die Kammerchöre waren so stark wie noch nie. Das war wirklich eine Freude, diesen Chören zu zuhören“, sagt Jürgen Budday, der den Gesamtvorsitz der Jurys beim Deutschen Chorwettbewerb innehatte und auch Vorsitzender der Jury für die Kammerchöre (bis zu 36 Mitwirkenden) war.
Dementsprechend regnete es auch Preise, denn es wurden unter den 15 teilnehmenden Chören der erste, zweite und dritte Preis jeweils zweimal vergeben. Seit jeher finden die Kammerchöre beim Deutschen Chorwettbewerb besondere Beachtung. Sie stellen quasi die Königsdisziplin des Chorgesangs dar. Zum einen erstreckt sich das Repertoire vom 15. bis ins 20. Jahrhundert, wodurch fast alle relevanten Epochen vertreten sind. Zum anderen müssen sich die Darbietungen an bereits bestehenden höchsten Interpretationsansprüchen messen.

Alle Chöre, die bei diesem Wettbewerb antraten, hatten bereits die Wettbewerbe auf Landesebene gewonnen, dies erklärt sicherlich deren hohe Professionalität. So ist es inzwischen mehr oder weniger üblich, dass die etwa 20 Minuten dauernden Wettbewerbskonzerte auswendig gesungen werden – obwohl dies vom Reglement her nicht unbedingt verlangt wird. Doch durch dieses in- und auswendig kennen der Stücke können die Sängerinnen und Sänger während der Konzerte sehr frei agieren und sich voll auf die Musik konzentrieren.

Der Kammerchor der Musikhochschule Mannheim war einer der beiden ersten Preisträger. Einen Schwerpunkt legte der Chor auf herausfordernde Kompositionen aus dem 20. Jahrhundert. Mit zwei Stücken des Esten Veljo Tormis erzielte das Ensemble beeindruckende dynamische Wirkungen.

Gleichzeitig scheute der Chor auch vor vokalexperimenteller Musik nicht zurück, die man mit viel Spaß an neuen Tönen interpretierte. Den zweiten ersten Preis erhielt der Kammerchor Josquin des Préz aus Leipzig, der vor allem mit Musik aus der Renaissance und Romantik überzeugte. Das Ensemble „HamburgVokal“ wiederum, das „mit hervorragendem Erfolg“ einen zweiten Preis erhielt, erzeugte vielleicht nicht immer den perfekten Klang, doch gelang es ihm, die Zuhörer in jedem Stück durch sehr anrührende und beherzte Interpretationen zu fesseln.

Zu der großen Ensemblevielfalt, trugen sicherlich auch die beteiligten Hochschulchöre bei. Erstmals traten diese vor vier Jahren in Weimar bedeutsam in Erscheinung, wo sie plötzlich so viele Preise einheimsten wie nie zuvor. In Freiburg bestätigte sich dieser Trend, denn auch in der Kategorie der großen gemischten Chöre erhielt der aus etwa 55 Sängerinnen und Sänger bestehende Kammerchor der Hochschule für Musik und Theater Hamburg mit dem Höchstergebnis von 24 Punkten einen ersten Preis. Die sehr gut ausgewählten Stücke von der Renaissance bis in die Moderne wurden alle ganz locker, zugleich quicklebendig und in perfekter Klanghomogenität interpretiert. Aber genauso hinreißend war auch die Leistung der Stuttgarter Kantorei, mit ihren gut 80 Sängerinnen und Sängern: Mit diesem Riesenchor das intime, dennoch fidele und vokalpolyphone „I Love, Alas“ von Tomas Morley in ganz feiner Modellierung aufzuführen, den Silcher-Satz, „Wenn alle Brünnlein fleißen“ schön abgestuft und mit absoluter Textverständlichkeit darzubieten, das Piazzolla-Pflichtstück „Adios nonino“ mit vielen Raffinessen zu singen und dann neben weiteren Stücken noch Schönbergs polyphones und am äußeren Rand der Tonalität stehendes „Friede auf Erden“ überzeugend darzubieten – alles auswendig – das hätte so auch ein professioneller Rundfunkchor nicht besser machen können.

Populäre Chormusik

Bereits beim letzten und vorletzten Deutschen Chorwettbewerb hat sich gezeigt, dass die Kategorie der Populären Chormusik einen unglaublichen Boom erfährt, selbst der große Konferenzsaal der Messe reichte nicht aus, um den Publikumsandrang zu bewältigen.

„Ich glaube“, sagt Anne Kohler, Professorin für Chorleitung in Detmold, „wir sind jetzt über ein Schubladendenken hinweg, wo klassische Musiker, zu denen ich mich ja auch zähle, sagen, die andern klatschen immer nur und machen ein bisschen hu, hu, hu über drei Popakkorde. Dieses Klischee ist jetzt ein für alle Mal vom Tisch und man nimmt sich gegenseitig ernst.“ Tatsächlich ist die populäre Chormusik mittlerweile auf einem den klassischen Chören gleichwertigen Niveau angelangt. Und wie bei den Kammerchören wurden jeweils zwei erste, zweite und dritte Preise vergeben. So erhielt Kohlers Hochschulchor „Pop-Up Detmold“, neben dem „Jazzchor der Uni Bonn“ (der aus Studierenden und Alumni vieler Fachrichtungen besteht) einen ersten Preis. Auch hier bereichern also Hochschulchöre die Landschaft der Spitzenchöre. Wie man sehr locker, dennoch perfekt und mit viel „Spirit“ musiziert, Swing-Nummern in wunderbarer Phrasierung darstellt, aber auch klang- und lautexeperimentelle Stücke tänzerisch darstellt, zeigte Kohlers Ensemble. Die zweiten Preise gingen an die Ensembles „Twäng“ aus Freiburg und „Greg Is Back“ aus Augsburg unter der Leitung von Martin Seiler.

Seiler gehört zugleich zu den Chorleitern, die für ihre Ensembles eigene Arrangements schreiben, er beherrscht fast alle Facetten der populären Chormusik bis hin zu originellen Filmmusikbearbeitungen. „Die Spitze der deutschen Chorleiter, die auch arrangieren“, erläutert Jurymitglied Matthias E. Becker, „ist absolut top!“ In der Tat wird die Jazz- und Popchorszene in Deutschland immer bedeutender und kann sich inzwischen auch im internationalen Vergleich hören lassen.

Vokalensembles und Jugendchöre

Seit 2010 gibt es die Sektion „Vokalensemble“ beim Deutschen Chorwettbewerb und auch diese Kategorie entwickelt sich in rasantem Tempo. Kleine Ensembles mit solistisch agierenden Sängerinnen und Sängern wachsen hierzulande fast schon wie Pilze aus dem Boden und gelangen schnell an die Spitze. „Das ging ja mit ehemaligen Knabenchorsängern los“, sagt Claudia Reinhard, Jurymitglied und selbst Sängerin beim Vokalensemble „Singer Pur“. „Wir hatten zunächst sehr gute Herrenensembles und dann wurden auch andere Chorsänger mutiger und bildeten eigene Ensembles mit tollen Klangergebnissen.“ Bei allen acht Vokalensembles war Reinhard „angetan von der hohen musikalischen Qualität“.

Zudem kann der Wettbewerb für die Ensembles auch als Karriere-Sprungbrett dienen. So hat das Gewinnerensemble von 2010 „Quartonal“ schon längst auf der Profiebene reüssiert und auch das „Ensemble Nobiles“ – Sieger 2014 – beschreitet zurzeit sehr erfolgreich diesen Weg. In dieser Kategorie, anders ist dies vielleicht auch gar nicht möglich, kommen die Mitglieder zumeist neben versierten Knabenchören aus den Musikhochschulen. So auch die diesjährige Gewinnerensembles „Voktett Hannover“, „Vokalgruppe VIP“, „Das Herrengedeck“ und das Frauenensemble „Sy’zan“. Letzteres erhielt übrigens auch den Sonderpreis in der Kategorie „Zeitgenössische Musik“.

Und wie steht es um den musikalischen Nachwuchs bei den Kinder- und Jugendchören? „Das ist ein Quantensprung, was wir hier erlebt haben“, sagt der Juryvorsitzende für Jugendchöre Klaus-Jürgen Etzold: „Wir waren erfreut über die sehr, sehr guten Leistungen.“ Überraschend war dabei, dass auch Chöre aus ganz normalen Schulen auf erstaunlich hohem Niveau singen. Dies ist sicherlich, wie man gesehen hat, auch den vielen jungen, charismatischen Musiklehrerinnen und -lehrern zu verdanken, die es schaffen, innerhalb weniger Jahre hervorragende Chöre aufzubauen.

Männer- und Frauenchöre

Gespalten sieht die Bilanz bei den Männerchören aus, denn die Kammerchorbesetzung unterschied sich deutlich von den großen Männerchören ab 32 Mitwirkende. Dies lag vor allem daran, dass nur vier große Männerchören aus drei Bundesländern antraten, die zugleich einen relativ hohen Altersdurchschnitt aufweisen. Insofern scheinen Spekulationen über das Aussterben von Männerchören nicht ganz unbegründet. Doch immerhin erzielten die angereisten Chöre sehr gute bis gute Ergebnisse, wobei wieder die hessische „Liedertafel“ von Jürgen Faßbender besonders herausragte. Unter den Jury-Mitgliedern scheint man mehrheitlich die Meinung zu vertreten, diese Kategorie auf jeden Fall erhalten zu wollen, denn, so Hans-Joachim Lustig „sind großen Männerchöre ein Kulturgut und haben ihre Funktion.“
Dass sich auf diesem Gebiet dennoch einiges tut, konnte man bei den Männerkammerchören im Wettbewerb beobachten, denn hier gab es zahlreiche Ensembles, in denen vor allem junge Männer singen – viele von ihnen wurden in renommierten Knabenchören ausgebildet. Die herausragenden Konzerte, die man hier hören konnte, hauchen dem Genre neues Leben ein.

Eine willkommene Verjüngung lässt sich auch in der Kategorie der Frauen­chöre feststellen. So teilten sich mit dem Vokalconsort des Berliner Mädchenchores und dem Vokalkreis des Telemann-Konservatoriums Magdeburg zwei noch sehr junge Frauenchöre den 2. Preis. Wie man über Jahrzehnte auf höchstem Niveau Beständigkeit erzielen kann, zeigte wiederum der Frauenchor Cant’ella unter Bine Becker-Beck, der bereits vor genau 20 Jahren den 1. Preis erhielt.

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