In der Regensburger Kulturdatenbank sind 16 Chöre aufgeführt. Vermutlich kann aber davon ausgegangen werden, dass in der Welterbestadt an der Donau mehr als 30 Chöre aktiv sind. Genug auf jeden Fall, um einen Kinosaal mehrmals zu füllen.
Darauf hoffen die beiden Filmemacher Simone Dobmeier und Torsten Striegnitz. Auf einer Preview-Tour mit ihrem Musikfilm „Unsere Herzen – Ein Klang“ machten sie auch in Regensburg Station, wo sich allerdings nur eine überschaubare Zahl musikbegeisterter Kinogänger einfand. Die allerdings gerieten sichtlich in den Bann der Dokumentation, die die gelegentlich auch unterhaltsame Arbeit des britischen Chorleiters Simon Halsey und zweier weiterer Chorleiterinnen in den Mittelpunkt stellt und dabei die Magie des Singens einfängt.
Gesungen wird viel in dem Film, aber immer nur kurz. „Our Passion“, klingt es zu Beginn mit Nachdruck aus dem Off. Dieses Bekenntnis zur Leidenschaft gibt ganz klar die Richtung der Doku vor. Auf der chor.com, dem jährlichen Treffen der deutschen Chorszene, treffen die junge angehende Dirigentin Hyunju Kwon und die Sängerin und Pädagogin Judith Kamphues in einer Masterclass für Chordirigenten mit dem britischen Star zusammen. „Es gibt keine Master“, behauptet der berühmte Dirigent nonchalant und lässt mit lässigem Gestus seinen Chor alleine, ohne Leitung, singen. Eine hohe Messlatte einerseits, Vertrauen in das Vermögen, die musikalischen und emotionalen Fähigkeiten der Singenden auf der anderen Seite. Die Kamera begleitet und beobachtet die drei Hauptakteure in Proben, bei der Vorbereitung großer Projekte, im privaten Rahmen und – was einen ganz besonderen Einblick vermittelt – durch die zurückliegenden Pandemiejahre. Singen, von dem eine stärkende und heilende Kraft ausgeht, wurde plötzlich zur potenziell tödlichen Bedrohung. „Ich hasse Technik und will euch endlich wieder richtig treffen“, seufzt eine ältere Sängerin während einer Online-Probe beinahe verzweifelt. Und man kann sie verstehen. Wenn sich die Sängerinnen bei einem Workshop endlich wieder in den Armen liegen und voller Hingabe ihrer Leiterin in die stillen Ecken der Musik und dem Crescendo bis zum laut jubelnden vollen Klang der Stimmen folgen, leuchten die Gesichter. „Beim Singen werden die gleichen Stoffe ausgeschüttet“, erläutert Kamphues an einer Stelle, wie beim gemeinsamen Kuscheln.
Auch im Gesicht der koreanischen Chorleiterin lässt sich viel ablesen: glückliche Momente, Erschöpfung, volle Konzentration. Manchmal übergeht sie dabei die Interaktion mit den Chorsängern und -sängerinnen. In Kommentaren zeigt sie auch die Einsamkeit des Chorleiters auf, der zwar die volle Verantwortung trägt und die Singenden zu Höchstleistungen führen, anschließend aber nicht an den Gemeinschaftsgefühlen teilhaben kann.
In ihrem Fall hat das mit ihrer Herkunft und dem Konkurrenzdruck in der koreanischen Kultur zu tun. „Wenn du in der Klasse nicht die Beste bist, hast du verloren“, beschreibt Kwon den ungeheuren Druck, der sich durch alle Lebensphasen zieht. Dobmeier und Striegnitz rücken das Zusammenspiel zwischen Chorleiterin und Chor ins Zentrum. Sie spüren den Interaktionen nach und zeigen die unglaubliche Leistung, welche die Dirigenten erbringen, um aus höchst unterschiedlichen Menschen, Laien allemal, das herauszuholen, was in ihnen steckt.
Unerwartet und ganz sicher unfreiwillig sind die Filmemacher nach Beginn ihrer Dreharbeiten in die Zeit von Lockdowns und Einschränkungen des kulturellen Lebens gestolpert. So fieberte Halsey 2020 einem riesigen Mitsingkonzert in New York entgegen, für das er eine Komposition für 1000 Chorsänger in Auftrag gegeben hatte. Aber dann wird er durch die Pandemie von einem Tag auf den anderen ausgebremst. Man sieht ihn daheim in England, ebenso Kwon und Kamphues in ihren vier Wänden oder am Rechner in einem Videogespräch. Als Halsey für ein Online-Mitsingkonzert des WDR endlich wieder nach Köln fliegen darf, erzählt er davon, wie ungewohnt es war die Abende daheim zu verbringen.
Kamphues stellt dagegen bei ihren Bemühungen fest, dass der Frauenchor über Videokonferenz nicht proben kann: Die zeitliche Verzögerung macht das gemeinsame Singen schlicht unmöglich. Aber die Frauen kommen später wieder zusammen. Kwon verbringt einige Monate in Korea in ihrem Elternhaus und studiert dann bei Professor Georg Grün in Saarbrücken. Schließlich begleitet der Film die hart arbeitende Künstlerin zu einem internationalen Wettbewerb für Chordirigenten nach Turin. Kwon will, wie sie einmal sagt, in Deutschland auch mal Geld verdienen mit dem, was sie so gerne tut.
Ab 22. September, da kam „Unsere Herzen – Ein Klang“ offiziell in die Kinos, laden der Deutsche Chorverband und der Filmverleih Chöre in ganz Deutschland dazu ein, ihre Freude am gemeinsamen Singen mit dem Kinopublikum zu teilen. Interessierte Ensembles können sich beim Filmverleih melden und werden dann mit einem lokalen Kino verkuppelt. Wenn ein Termin gefunden ist, schaut sich der Chor den Film an, zusammen mit dem übrigen Kinopublikum. Anschließend kann der Chor ein eigenes Lied wählen oder einen vorgeschlagenen Kanon von der Website mit dem Kinopublikum einüben. Dann wird hoffentlich auch ganz real etwas spürbar, worüber im Film wenig gesprochen, dafür mehr nonverbal vermittelt wird: „Wenn Stimmen sich vereinen – ist es wie Magie.“ Das haben Torsten Striegnitz und Simone Dobmeier in ihrer Musikdoku ganz gut eingefangen.
- „Unsere Herzen – Ein Klang“ (seit 22. September im Kino), Deutschland 2022, 108 Min., Regie: Torsten Striegnitz & Simone Dobmeier. https://unsereherzen-einklang.de