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„Was willst du mir sagen?“ Juliane Dennert und Manuel König in René Leibowitz’ „Todos Caerán.“ Foto: Thilo Ross
„Was willst du mir sagen?“ Juliane Dennert und Manuel König in René Leibowitz’ „Todos Caerán.“ Foto: Thilo Ross
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Verstörende Gegenwärtigkeit

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Mit dem Festival „Diktaturen“ feierte das Klangforum Heidelberg seinen 25. Geburtstag
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Die Vorgeschichte dieses ungewöhnlichen Jubiläums-Festivals lässt sich auf zweierlei Weise erzählen. Die ernste Version geht so: Wo das Verbrechen beschwiegen wird, wo der Mord ungesühnt bleibt, wo die Hilfe unterlassen, verweigert wurde, kann die Kunst nicht schweigen.

Die andere sagt zwar nichts anderes, nur auf andere Weise. Hier am Anfang ein Dokumentarfilm: „Das Mädchen – Was geschah mit Elisabeth K.?“ Minutiös aufgerollt darin die skandalöse Chronik der Ermordung der Studentin Elisabeth Käsemann im März 1977 in einem argentinischen Junta-Foltergefängnis im Umfeld eines sogenannten Fußballfreundschaftsspiels. Ein Schweige-Komplott aus bundes­deutschen DFB-Funktionären und Macht-Politikern: Schmidt, Genscher, Neuberger. Die genannten Herren wussten um die Entführung, kannten die Gefahr und taten – nichts. Im Film spricht Paul Breitner von einer „ungeheuren Schweinerei“. Man kann ihm darin nur zustimmen. Nach der Premiere 2014 titelte die überregionale Presse: Entführt von der Junta, ignoriert vom Auswärtigen Amt.

„Da müssen wir etwas machen!“

So die spontane Reaktion von Klangforum-Gründungs­dirigent Walter Nußbaum auf die beklemmende filmische Dokumentation des Grimme-Preisträgers Eric Friedler. Als erste Maßnahme vergibt er Kompositions­aufträge. In vier Konzerten in Heidelbergs Hebelhalle führten Schola Heidelberg und ensemble aisthesis einmal quer über die politische Weltkarte, öffneten, ganz im Sinn des Ensemble-Ethos ein Forum, einen Echoraum für ‚gewisse Vorkommnisse‘ in Argentinien, Chile, Uruguay, China, Türkei, Spanien, Ungarn, Italien. Soweit die mehr oder weniger bekannten Diktaturen in diesen Ländern aus dem 20. Jahrhundert ins 21. hineinreichen, sind sie unangestanden. Noch immer, so erfuhr man, haben viele „Verschwundene“ der Franco-Diktatur kein ordnungsgemäßes Begräbnis bekommen. Eine Situation, die – dies das Spannende an diesen Heidelberger Tagen – in der politischen Wissenschaft ebenso diskutiert wird wie in der Musik. Alberto Hortiguela, Komponist aus dem spanischen Burgos, hatte in sein Stück „Zu Unrecht: Pamphlet“ die Expertise einer UN-Menschenrechtskommission eingearbeitet. Demnach sind zwischen dem 17. Juli 1936 und Dezember 1951 114.226 „victims of enforced disappearance“ zu beklagen, was übrigens in krassem Missverhältnis stand zu den Zahlen, die eine Vortrags-Matinée zum Thema anbot. Differenzen, die schlaglichtartig zeigten, wie unausgestanden dies alles noch ist. Was auch die Kompositionen spüren ließen. Deswegen der insistierende Ton, den diese Arbeiten alle an den Tag legten. Hortiguela verarbeitete Briefpassagen des am 8. Oktober 1936 ermordeten Komponisten Antonio José, einem von Maurice Ravel hochgelobten Künstler. In die finalen Passagen montierte Hortiguela Fragmente eines von José in seinen „Evocaciones“ zitierten Volksliedes. „Zu Unrecht: Pamphlet“ war eines der berührendsten Werke dieses Festivals, das Komponisten, Ausführende, Veranstalter bewusst in der Tradition der Tombeau- und Gedächtnis-Musiken des 20. Jahrhunderts verortete. Bestätigt fand man eine alte Einsicht: Die Komposition ist selbst zu einem Ort der „Evocaciones“, der Erinnerungen geworden.

Was für Letztere übrigens keine Atempause bedeutet. Die Situation nämlich ausgesprochen prekär. Da sind auf der einen Seite noch nicht einmal sämtliche Opfer der spanischen und lateinamerikanischen Dikaturen exhumiert - da sieht sich die viel beschworene Erinnerungskultur auf der anderen Seite schon von neuen Gewalt­erfahrungen überlagert, bedrängt. Natürlich heißen diese nicht so, wollen alle ja doch nur „Republik“ sein, manchmal, zugegebenermaßen, auch ein bisschen „illiberale Demokratie“, Hybridregime, die einen das Gruseln lehren können. Und es auch taten – in den klingenden wie in den dem Wort vorbehaltenen Teilen des Festivals.

Klangzeichen

Wenn man sich mit Dániel Péter Biró – umfassend gebildet, mehrsprachig, als Komponist wie als Musikdenker und Musikforscher gleichermaßen profiliert – über die Situation in seinem Geburtsland Ungarn unterhielt, überraschte die Häufigkeit ebenso wie der Ernst, mit dem Biró zwischen On- und Off-Records unterschied. Sein „Nulla Res Singularis“ für fünf Singstimmen und fünf Streichinstrumente, Klangforum Heidelberg auf den Klangleib geschrieben, faszinierte in seinem dialogischen Gewebe aus Vokalem und Flageoletttönen der Streicher. Für Biró Symbol und Klangzeichen für das Ringen um Ausdruck und Verständnis. So schwer die eingearbeiteten Teile aus Spinozas Ethik „verständlich“ waren, so schwer hat es die selbstbewusste Individualität in den, so Biró, „neuen Diktaturformen“ unserer Gegenwart, womit der in Kanada lebende Komponist auf aktuelle Entwicklungen in den Vereinig­ten Staaten anspielte. „Dabei überlege ich auch, wie meine Familienmitglieder mit vergangenen faschistischen und kommunistischen Diktaturen umgingen und wie diese Erfahrung mit der heutigen Zeit in Beziehung steht.“

Apropos „heutige Zeit“. Es ist dies alles, mit dieser Einsicht ward der Fes­tivalbesucher in die Nachdenklichkeit entlassen, keineswegs „vorbei“. Karin Haußmann zum Beispiel. In ihrem „Fragment für E.K.“ hörte man diese verstörende Gegenwärtigkeit. Der Mord an Elisabeth Käsemann mag Jahrzehnte her sein, die Empörung darüber, über das Nichtstun, das Geschehenlassen, stand dieser Arbeit wie die Zornesröte ins Partiturgesicht geschrieben. Vom bebenden Klagen bis ins verschwindende Verstummen der fünf Frauenstimmen der Schola, darüber das perkussiv-bläsergrundierte Grummeln und Pochen eines ensemble aisthesis. Noch so ein Gedenkstein, der unter die Haut ging. Dann aber: So ganz ohne Hoffnungszeichen konnte dieses Diktaturen-Festival natürlich ebensowenig bleiben. Mit Szenen aus „Todos Caerán“, der letzten Oper von René Leibowitz, fügte Walter Nußbaum dem eingeschlagenen Leibowitz-Schwerpunkt einen weiteren Akzent hinzu. Cornelius Schwehr hatte Teile des großbesetzten, bis heute unaufgeführten Werks von 1972 in eine Kammermusikfassung gebracht. Ein Kreisen um politische Rebellion, Eifersucht, Verrat, Betrug. Aber mit einem Motto, das man gerne hörte. Alle werden fallen!

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