Bewegend war bereits der musikalische Auftakt: Der Gebärdenchor des Berufsbildungswerkes Leipzig, eine Gruppe junger hör- und sprachgeschädigter Menschen, singt nicht mit der Stimme, dieser Chor „singt“ mit dem Körper in Gebärdensprache gleich einer Choreographie zur ihn umgebenden Musik. Damit werden nicht nur Liedtexte für gehörlose Zuschauer zugänglich, die Schönheit der Gebärdensprache fasziniert auch das hörende Publikum als eigenständiges, künstlerisches Ausdrucksmittel.
Besonders eindrucksvoll war dabei das von den knapp 500 Kongressteilnehmern mit dem Chor auf der Bühne gemeinsam gesungene und „bewegte“ „Can you hear me?“ von Bob Chilcott, gipfelnd in einem nicht hörbaren, aber sichtbaren „Applaus“, bei dem den jungen Leuten einfach zugewinkt wurde.
Die menschliche Stimme entsteht durch das Zusammenwirken verschiedenster Organsysteme unseres Körpers. Dadurch wird auch die Funktion des Stimmapparates durch Körperhaltung, muskuläre Spannung und Konstitution des gesamten Organismus beeinflusst. Diese Wechselwirkungen spielen für singende Kinder und Jugendliche eine zentrale Rolle, insbesondere, da sich während des Wachstums ihr Körper und die Wahrnehmung ihres Körpers ständig verändern. Diese Bewegung, die den jungen Körpern, dem sich ständig entwickelnden System „Stimme“ innewohnt und dem Stimmklang zugrundeliegt, ihn begünstigt, fördert oder hemmt, wurde von verschiedenen Referenten und Workshopleitern aus unterschiedlicher Perspektive beleuchtet.
In seinem Einführungsvortrag „Mikrobewegungen für die Stimmentstehung: Stimmlippenschwingungen bei Kindern und Jugendlichen“ erklärte Michael Fuchs, Leiter der Sektion für Phoniatrie und Pädaudiologie der Universitätsklinik Leipzig und Initiator sowie Moderator des Symposiums, warum die Kinderstimme noch nicht so belastbar ist wie die Erwachsenenstimme. So differenziert sich das Innere der Stimmlippen erst bei der Mutation vollständig aus, und die Randkantenbeweglichkeit ist bei Kindern und Jugendlichen demnach noch nicht komplett ausgebildet.
Es folgten weitere Vorträge von Eckart Altenmüller zum Thema „Singen als Bewegungskunst: Zur Neurobiologie stimmlichen Lernens und sängerischen Ausdrucks“, von Michael Knoll zu „Körperwahrnehmung, Körperbild, Körperschemastörung“ und von Stephan Sallat zur Problematik „Singen und Bewegung hilft – aber nicht immer. Musikverarbeitung bei Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen“.
Der gelungene Beitrag „Die Didaktik des populären Gesangs“ von Sascha Wienhausen schlug den Bogen zur erfreulichen Fortführung des bereits bei den vergangenen Symposien thematisierten Feldes Populargesang. Die Kombination mit dem professionellen Musical-Auftritt der überwiegend stimmlich überzeugenden und beeindruckend choreographierten Jugendlichen der Musical Akademie für Teens unter der Leitung von John Lehman hat hier sicher das doch immer noch bei manchen „Klassikern“ vorhandene Eis der Vorbehalte ein klein wenig mehr zum Schmelzen gebracht und für weitere Akzeptanz ernsthafter und verantwortlicher Stimmarbeit im Popularbereich gesorgt.
Nicht nur in diesem Spannungsfeld wird deutlich: Das Wertvolle und Besondere an diesem interdisziplinären Symposium ist der Austausch zwischen Bereichen, die sich anderweitig zu wenig unmittelbar begegnen. Hier treffen sich jährlich die der jungen Stimme zugewandten Experten zum gemeinsamen und partnerschaftlichen Austausch und widmen sich jeweils einem besonderen Aspekt. Im kommenden Jahr findet das Symposium vom 24. bis 26. Februar unter dem Thema „Kooperation zwischen Stimmforschung und -praxis“ statt. Es lohnt sich, diesen Termin vorzumerken und sich rechtzeitig anzumelden: 2011 mussten die Veranstalter wegen übergroßer Nachfrage erstmals Interessenten abweisen.