Knapp 500 Chöre mit gut 20 000 Sängerinnen und Sängern kamen vom 7.-10. Juni nach Frankfurt zum Deutschen Chorfest 2012. Das großdimensionierte Fest der Chöre wird seit 2008 vom damals neu konstituierten Deutschen Chorverband organisiert und findet alle vier Jahre statt, wobei immer eine andere Stadt als Austragungsort vorgesehen ist. 2008 war Bremen Gastgeber des Chorfests, und bereits damals war der neu etablierte Chorwettbewerb eine besondere Attraktion. Beim diesjährigen Chorfest in Frankfurt beteiligten sich mehr als 80 Ensembles am Wettbewerb. Durch die besondere Konzeption und Ausrichtung ist es gelungen, auf unkonventionelle Art und Weise möglichst viele Chöre zur Teilnahme zu animieren.
Chöre, die sich einmal in der Woche zum geselligen Gesang treffen, sollen nicht bedingungslos mit semiprofessionell arbeitenden Ensembles gemessen werden“, sagt Klaus-Jürgen Etzold, Mitglied der Wettbewerbs-Jury in der Kategorie „Moderne“. Tatsächlich stand bei diesem Wettbewerb die freundschaftliche Begegnung im Vordergrund und damit zugleich eine enorme Aufgeschlossenheit für ein vielseitiges Chor-Repertoire in den unterschiedlichsten Kategorien. Anders als beim Deutschen Chorwettbewerb, dem hierzulande renommiertesten Wettbewerb für Chorsänger, gab es keine strenge Einteilung in Gattungen wie Mädchenchor, Männerchor oder gemischter Kammerchor, sondern vorwiegend eine Klassifizierung nach Epochen und Genres. Auch machte man keinerlei Vorgaben, was die Auswahl bestimmter Stücke anbelangt; auf Pflichtstücke, die bei anderen Wettbewerben zur vergleichenden Referenz dienen, verzichtete man ganz. So konnte es passieren, dass in der Kategorie „Moderne“ Arrangements von Songs wie „Butterfly“ von Rajaton oder „Engel“ der Band Rammstein genauso vertreten waren wie avantgardistische Stücke in graphischer Notation. Auffallend war in dieser Kategorie allerdings eine Vorliebe für Komponisten aus dem skandinavischen Raum und dem Baltikum, wie etwa Trond Kverno, Knut Nysted oder Vytautas Miskinis. Hier scheuten die Sänger und Sängerinnen auch nicht davor zurück, sich intensiv mit den Besonderheiten der jeweiligen Sprachen auseinanderzusetzen.
Damit allerdings überhaupt eine Vergleichbarkeit der Chöre gewährleistet war, gab es zwei verschiedene Niveaustufen: In der Kategorie B sangen Ensembles, für die, wie oben ausgeführt, Singen einfach ein schönes Hobby ist. Die Kategorie A dagegen bestritten zumeist sehr ambitionierte Laienchöre, von denen manche selbst beim hochkarätigen Deutschen Chorwettbewerb hätten antreten können. Genau diese enorme musikalische Vielfalt zeichnete den Wettbewerb des Chorfests aus, denn auf diese Weise konnte man dem ausgeprägten Spektrum der deutschen Chorlandschaft wie unter einem akustischen Vergrößerungsglas gewahr werden. Ähnlich bunt wie in der „Moderne“ präsentierten sich die Chöre im Bereich „Jazz, Pop, Gospel“. Überhaupt herrscht auf diesem Gebiet zurzeit ein enormer Aufbruch. Seit einigen Jahren schießen nämlich neue Jazz- und Popchöre wie Pilze aus dem Boden und haben sich in atemberaubendem Tempo auf hohem künstlerischem Niveau entwickelt. Noch in den 90er-Jahren waren es vorwiegend klassische Chöre, die diesen Bereich einfach mit ins eigene Repertoire aufnahmen; sie sangen zwar schön, aber kaum stilecht. Mittlerweile haben reine Jazz- und Popchöre das musikalische Regiment übernommen, wo selbst in der Kategorie B die Authentizität des Stils sehr gut getroffen wird. Neben einem authentischen Sound sticht vor allem die Art der Präsentation hervor. Auswendiges Singen und viel Bewegung auf der Bühne sind dabei selbstverständlich, nicht selten treten auch einzelne Sängerinnen und Sänger als überzeugende Solisten hervor. Solche Aspekte wurden beim Wettbewerb durch die ganz neue Kategorie „Show/Musical“ noch weiter geschärft. Hier konnte man allerdings auch beob-achten, dass trotz einiger origineller Ideen wirklich mitreißende Showeinlagen noch fehlen. Dank der großen Neugierde und Experimentierfreude der Ensembles wird sich dies allerdings mit Sicherheit ändern, denn das Potenzial auf diesem Gebiet ist enorm.
Typisch für Wettbewerbsveranstaltungen des Chorfests ist auch das große Gegenseitige Interesse der Chöre füreinander. Im Mozartsaal der Alten Oper, diversen Kirchen oder den Konzertsälen der Hochschule für Musik herrschte enormer Andrang und eine hervorragende, teilweise ausgelassene Stimmung. Auch stellte sich bereits am ersten Tag ein besonderes Applaussystem ein, das sich vielleicht als Markenzeichen des Chorfest-Wettbewerbs patentieren lässt: Da zwischen den einzelnen Stücken einer Präsentation nicht geklatscht werden durfte, flatterten von Seiten der Zuhörer einfach die Hände in die Lüfte, was immer wieder ein begeisterndes, dennoch geräuscharmes Bild hervorrief.
Als ausgesprochen bereichernd stellte sich auch die neue Kategorie „Folklore und World Music“ heraus. Hierfür waren einige Chöre eigens aus China angereist, wo sich das Singen in Chö-ren erst in den letzten Jahren etwas breiter etabliert hat und sich seitdem auf sehr hohem Niveau entwickelt. Viele dieser Chöre holen sich hochprofessionelle Chorleiter und proben mehrmals die Woche. So waren die originell arrangierten Folklorestücke in Ausdruck und Intonation den Leistungen von Spitzenchören vergleichbar. Auch außerhalb des Wettbewerbs fanden die freundlichen und aufgeschlossenen Sänger aus China Kontakt zu ihren deutschen Mitstreitern.
Zu den erfreulichsten Beobachtungen dieses Wettbewerbs gehört, dass sich in allen Kategorien auffallend viele junge Chöre mit hochmotivierten jungen Chorleitern beteiligten. Hier bestätigt sich, dass in der Chorszene schon seit geraumer Zeit ein enormer Aufbruch herrscht. Dass Singen als leidenschaftliches Hobby von jungen Leuten betrieben wird, hätte man noch vor einigen Jahren nicht für möglich gehalten. Den Sonderpreis für den besten Chor in allen Kategorien gewann übrigens der Landesjugendchor Saar.