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Es geht um einen kompletten Kulturwandel

Untertitel
Lea Maria Breuer von der Vertrauensstelle Themis im Gespräch
Vorspann / Teaser

Die unabhängige Vertrauensstelle Themis gegen sexuelle Belästigung und Gewalt in der Kultur- und Medienbranche berät Betroffene psychologisch und juristisch. Die Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten (bukof) empfiehlt der RKM und RKK, Themis offiziell beizutreten, um die Beratungsangebote aller Kunst- und Musikhochschulen durch diese externe Beschwerdestelle zu ergänzen. Antje Kirschning hat für die nmz Lea Maria Breuer, bei Themis als Juristin für die Musikbranche zuständig, zum Thema befragt.

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neue musikzeitung: An den künstlerischen Hochschulen werden die Kulturschaffenden von morgen ausgebildet. Warum waren diese bei der Gründung der Themis 2018 nicht dabei?

Lea Maria Breuer: Die Initiative zur Gründung einer überbetrieblichen und unabhängigen Vertrauensstelle ging 2018 vom Bundesverband Schauspiel (BFFS) aus, der sich mit der Idee zuerst an branchennahe Verbände gewandt hat. Infolgedessen saßen erst einmal nur Verbände aus den Bereichen Fernsehen, Film und Bühne am runden Tisch. Bei der Gründung der Themis Vertrauensstelle am 31. Mai 2018 war aber gemeinsamer Konsens, dass zukünftig auch Erweiterungen auf andere Branchen und Kulturzweige gewünscht sind, da es eben um einen kompletten Kulturwandel gehen sollte. Deswegen wurde die Gründung auch maßgeblich durch die damalige Kulturstaatsministerin Monika Grütters gefördert. Aus unserer Sicht ist es überaus wichtig, den Hochschulbereich mit in unsere Beratung zu integrieren. Gerade am Anfang einer Berufsausbildung ist echt wichtig, Selbstschutz und Empowerment als Grundlagen für die weitere Berufslaufbahn zu schaffen.

nmz: Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)?

Breuer: Leider sind Studierende keine vom AGG unmittelbar geschützte Personengruppe. Dies sind Arbeitnehmer*innen und arbeitnehmerähnliche Personen. Das AGG bildet jedoch die zentrale Basis für unsere juristische Beratung. Dies ist ein großes Defizit des Gesetzes. Dies kann ausgeglichen werden, indem durch interne Satzungen der Hochschulen selbst der Schutzbereich des AGG auch auf die Studierenden erweitert wird. Dies eröffnet uns die Möglichkeit, Studierende auch auf der Grundlage des AGG juristisch zu beraten. Eine psychologische Erstberatung für Studierende ist bereits jetzt bei Bedarf möglich. Perspektivisch ist es wichtig, dass das AGG hierhingehend reformiert wird. Durch das Bündnis „AGG-Reform jetzt“ arbeiten Expert*innen und vulnerable Gruppen an sinnvollen Vorschlägen zur Novellierung des AGG als Appell an den Gesetzgeber (https://agg-reform.jetzt/#home). Das Bündnis legt eine gemeinsame Stellungnahme von 100 Organisationen von verbandsübergreifenden und zentralen Änderungen für die Stärkung des AGG vor. Eine der zentralen Forderungen des Bündnisses ist es, den persönlichen Anwendungsbereich auch auf öffentliche Stellen auszuweiten. Dadurch wären Studierende staatlicher Hochschulen sodann auch mitgeschützt.

nmz: Wie viele Personen von künstlerischen Hochschulen wenden sich bereits jetzt an die Themis?

Breuer: Uns erreichen in regelmäßigen Abständen Beratungsanfragen von betroffenen Studierenden oder Hochschulberatungsstellen, die sich hinsichtlich der Umsetzung präventiver Maßnahmen Unterstützung wünschen. Genaue Zahlen können wir aufgrund unserer strikten Schweigepflicht leider nicht öffentlich nennen.

nmz: An Hochschulen sind Hierarchien extrem ausgeprägt und damit das Machtgefälle etwa zwischen Lehrenden und Studierenden. Wie kann die Themis hier präventiv wirken?

Breuer: Wir können Schulungen für die Hochschulleitungen anbieten, in denen wir die Aufgaben und Ziele des AGG sowie den psychologischen Umgang mit Zeug*innen und Betroffenen erläutern. Zudem können wir bei dem Entwerfen und Erlassen von internen Satzungen, die den AGG-Bereich auf die Studierenden erweitern sollen, hilfreich juristisch ergänzen. Auch bei der Installation einer seit 2006 für Arbeitgeber*innen verpflichtenden AGG-Beschwerdestelle können wir beratend tätig werden. Hierzu können Termine bei unseren Juristinnen und Psychologinnen vereinbart werden.

nmz: Gibt es nach Ihren Erfahrungen Besonderheiten in der Musikbranche, die sie von anderen Kulturbranchen unterscheiden?

Breuer: Im Bereich der Klassik ist es auffällig, dass Personen oft als „Genie“ ihres Faches stilisiert und dadurch unantastbar werden. Diese Ehrfurcht wirkt sich so weit aus, dass die Toleranz gegenüber solchen Genies grenzenlos erscheint. Dies macht es einfacher, Übergriffigkeiten auszuüben. Solche müssen nicht immer mit böser Absicht geschehen. Deshalb sollten didaktische Schulungen für Lehrende an Musikhochschulen verpflichtend sein und eine Zero-Tolerance-Policy gegenüber jedermann von allen Hochschulen kompromisslos und deutlich kommuniziert werden. Auch der Einzelunterricht für Studierende ist ein musikbranchentypisches Phänomen. In einem solchen Rahmen können wertvolle künstlerische Synergien entstehen. Es sollte trotzdem durch Satzungen und Code of Conducts dafür Sorge getragen werden, dass der Einzelunterricht klaren Rahmenbedingungen unterliegt.

nmz: Die bukof prognostiziert, „Student*innen würden über die bundesweite Hotline kostenfrei beraten werden können, ohne Angst haben zu müssen, dass ihre Beschwerde an der eigenen Hochschule bekannt wird und ihrer Karriere schaden könnte. Umgekehrt würde die Themis-Vertrauensstelle durch einen Beitritt der Hochschulen nachhaltig gestärkt und könnte ihre Beratungsformate perspektivisch gegebenenfalls mehrsprachig anbieten, ein Service, den sich einzelne Hochschulen nicht leisten können.“ Teilen Sie diese Einschätzung?

Breuer: Wir sind der Ansicht, dass die Themis als externe Beratungsstelle Studierenden eine niedrigschwellige Anlaufstelle bieten kann. Die Themis ist unabhängig von den an den Musikhochschulen herrschenden Machtverhältnissen, die es in jeder Institution zwangsläufig gibt. Auf Wunsch ermöglichen wir betroffenen Personen auch eine anonyme Beratung. Unser Ziel ist stets, dass Betroffene am Ende eine informierte Entscheidung darüber treffen können, ob sie eine offizielle Beschwerde an den Arbeitgeber/die Arbeitgeberin richten möchten oder diese Möglichkeit selbstbestimmt unterlassen. Dennoch sind interne Antidiskriminierungsstrukturen unerlässlich. Insbesondere da unser Mandat momentan noch auf sexualisierte Belästigung und Gewalt begrenzt ist und andere Diskriminierungsmerkmale im Hochschulkontext auch Relevanz haben. Ein Zusammenwirken externer und interner Strukturen kann längerfristig einen allgemeinen Kulturwandel unterstützen.

https://themis-vertrauensstelle.de/

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